Nachgelassene Gedichte von Gottfried Kinkel.
^ Iw seinem Schreibtische sitzt ein Mann., groß und kräftig; sein Haupt umrahmen weiße Locken und ein weißer Bart, klare Ge- danken wohnen auf seiner Stirn, ein starker Charakter prägt sich aus in den festen Linien seiner Züge und sinnende Weitbetrachtung leuchtet aus den Hellen Augen — Weisheit, Kraft und Phantasie in einem Bilde.
Aber noch einen Zug trägt das Bild -- Glück, vollkommenes, gesättigtes Glück leuchtet auf dem ernsten Antlitz.
Der Mann schreibt eifrig mit der rechten Hand. Den linken Arm aber hat er um ein liebliches Mädchen geschlungen, das still auf seinem Schoße sitzt, das Köpfchen an seine Wange gelehnt —- still, um die Arbeit des Geistes nicht zu stören, mit sinnendem Blick, als wüßte es, daß es so dem Gedankenfluge des Schreibenden Schwingen verleiht.
Es ist Gottfried Kinkel, und das Kind auf seinem Schoße ist sein jüngstes Töchterchen Gerda.
So war es einst, vor mehr als zehn Jahren. Tochter und Vater sind seitdem lange in das Grab gesunken.
Nach dem Tode seiner ersten Frau Johanna, die bekanntlich zu London durch einen Sturz aus dem Fenster ein vielbetrauertes Ende fand, hatte sich Gottfried Kinkel 1862 wieder verheirathet. Seit Jahresfrist etwa lebte er als Professor der Kunstgeschichte am Züricher Polytechnikum an der Seite seiner zweiten Gattin in freundlichen und glücklichen Verhältnissen, als ihm, das letzte von mehreren Kindern- 1867 sein Töchterchen Gerda geboren wurde.
'Es war ein zartes Kind. Ganz klein noch, rang es um sein junges Leben, und einmal hatte schon der Arzt die Eltern auf den Tod des Lieblings vorbereitet. Es wurde gesund. „Als Gerda," so erzählt uns die heute noch in Zürich lebende Witwe Gottfried Kinkels, der wir diese Mittheilüngen und die Ueberlassung der unten folgenden Gedichte verdanken, „als Gerda zum ersten Male in ihrem rothen Röckchen durch die blühende Wiese lief, da stürzte der Vater sich in das Gras, umschlang das Kind mit seinen Armen und heiße Freudenthränen rannen ihm über die Wangen."
In Märchen liest man es Wohl, daß ein Kind durch den Wald geht und die Thiere fürchten sich nicht vor ihm. Gerda war ein solches Märchenkind. „Die Vögelchen ließen sie ganz nahe kommen und blieben sitzen, wenn sie mit ihrem leichten Schritt vorüberging." Alles liebte sie. „Bohnenblüthe" nannte sie eine Freundin des Hauses und andere Freunde hatten andere liebliche Namen für sie.
Den beglückendsten Zauber aber übte sie auf ihre beiden Eltern aus. Auf Spaziergängen ließ sie des Vaters Hand nicht los; und oft hat er sie auf seinen Schultern halbe Stunden weit getragen, wenn die Gänge sich weiter ausdehnten. Im Studierzimmer war sie wie zu Hause; der Vater hatte ihr eine eigene Spielschublade dort eingerichtet und das eine und das andere Mal sah man dort jenes glückselige Bild, wie wir es eingangs" gezeichnet haben.
Sie hatte die volle Anmuth des Gemüths. Schnell fand sie heraus, was den andern Freude machen konnte, und sie scheute kein Opfer, es zu vollführen. Ihrer Mutter gehörte sie jede Minute, die diese den anderen Pflichten abgewinnen konnte.
Und dieses Kind sollte den Eltern entrissen werden! Gerda war noch nicht zwölf Jahre alt, als sie, im Herbst des Jahres 1879, erkrankte. Drei Monate lag sie danieder an einer Brustfellentzündung und später an einem Herzleiden. Rührend entfaltete sich ihre Selbstlosigkeit und ihre Sorge um die Mutter, die ihre einzige Pflegerin war. An den Vater, der auf einer Vortragsreise sich befand, schrieb sie, fast schon sterbend: „Komm nach Haus, die Mama ist so traurig, wir müssen Dich haben!"
Er kam, um sie sterben zu sehen. Am 13. November, genau drei Jahre vor ihrem Vater, verschied sie.
Und nun lassen wir den Dichter, den Väter reden! Er hat die nachfolgenden Gedichte geschaffen im Ringen mit seinem ungeheuren Schmerze und sie der tiefgebeugten Mutter zugeeignet. Gedruckt sind sie noch nicht, bis auf das zweite, welches seinerzeit in einen Nachruf auf Gottfried Kinkel in der „Schweizerischen LehrerzeitüNg" (1882) verwoben wurde. Oft wird man sich der Wahrnehmung nicht entziehen können, daß die Verse noch nicht die letzte feilende Hand erfahren haben, die der Dichter jedenfalls an sie gelegt hätte, wenn es ihm selbst noch vergönnt,gewesen wäre^ seine Lieder der Oeffentlichkeit zu übergeben. Wir haben uns bei der überlieferten Gestalt beschieden und wollten uns nicht vermessen,, den Dichter Zu verbessern.
urch des Fensterladens Spalte §
-Bricht des Morgens grauer Schein, ! Wo am Bettchen Wacht ich hatte Bei dem kranken Töchterlein.
Und die Äugst fragt, ob am Ende Dieses Tags ihr Herzchen bricht?
Oder ob sich aufwärts wende ^
Neu der Pfad zum holden Licht?
Äus der Feigheit, die zum bösen Götzendienst des Nichts dich dringt,
Kann, wie bald, ein Kind dich lösen,
Wenn es bang ums Leben ringt.
Jede Frucht dir sü st und voll 7 - Äch, daß sie vom Lebensbaume Nie ihr Händchen brechen soll!
Wenn die Bahn von dünnem Eise Unterm Stahl schuh klagend singt,
Ob wohl noch ihr Blut die Kreise ^ Heist durchs Herz des Mädchens schwingt?
Wenn der Lenzwind küstt die Nose,
Die noch schüchtern vor ihm stiehl,
Ob der Traum vom eig'nen Lose Durch die zarte Seele zieht?
Wenn beim Fall, der Blüthenstocken Wogt Las Saatfeld grün und dicht,
Ob ste dann durch blonde Locken Den Cyanenkranz sich sticht?
Herbst im Schmuck von goldnem Laube! Ob, ein weistes Tuch im Haar,
Sie noch schneiden wird die Traube, Jauchzend in der Winzer Schar?
Äuch die höchste Liebesstunde Wird vielleicht ihr noch beschert:
Erster Kust vom trauten Munde,
Der allein des Lebens werth!
iK'V Wevsta. ^
Meder glänzt in wachem Traume-,
Was dir selbst am Reiz des Lebens In der müden Hand zerrinnt.
Wie so wcrth als Ziel des Strebens Scheint es heut dir für dein Kind!
Äus dem schwülen Krankenzimmer, - Äus dem Dunkel, halb erhellt Von des Nachtlichts Mattem Flimmer, O wie farbig strahlt die Welt!
er Erde bunte Schöne Hüllt sanft sich dir in Flor, Der Strasten rauhe Töne Vernimmt nur leis dein Ohr.
Will dich ein Lüftchen fächeln, Dir ichs nicht mehr Genust, , Es schwand dein süßes Lächelns Selbst bei der Mutter Kust. .
Du nimmst mit? dürren Lippen Vom Ärzt den bittern Trank — Vom süsten Wein zu nippen Wardst du schon lang zu krank.
Die heiße Lust am Leben Ward in den Ädern still, Und dn fügst dich ergeben, Wie dein Geschick es will.
, Du bist von uns geschieden,
Eh noch der Tod dich nahm — Du lösest dich in Frieden,
Und uns zerreißt der Gram.
-oA-O
XXXVIII. Nr. 14.
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