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könnte es nicht ertragen, müßte ich die Augen Niederschlagen vor diesem Erinnerungsbilde. — Sie haben wohl keinen Vater mehr?"
Es folgte eine lange, schwere Pause; Hartmut antwortete nicht, aber sein Haupt senkte sich unter diesen Worten, von deren zermalmendem Gewicht die junge Frau keine Ahnung hatte, und sein Blick bohrte sich in den Boden.
„Nein!" sagte er endlich dumpf.
„Aber Sie haben die Erinnerung an ihn und an Ihre Mutter?"
„Meine Mutter?" fuhr Rojanow jäh und heftig auf. „Sprechen Sie nicht von ihr, in dieser Stunde nicht — sprechen Sie mir nicht von meiner Mutter!"
Es war ein erschreckender Ausbruch, ein Gemisch von grenzenloser Bitterkeit, von Anklage und Verzweiflung. Die Mutter wurde gerichtet von ihrem Sohne in diesem Ausruf, er wies ihr Andenken von sich als eine Entweihung dieser Stunde.
Adelheid verstand ihn nicht, sie sah nur, daß sie einen Punkt berührt hatte, der keine Erörterung vertrug, aber sie sah auch, daß der Mann, der jetzt vor ihr stand mit diesem düsteren Blick, mit diesem Ton der Verzweiflung, ein anderer war als jener, der vor einer Viertelstunde vor sie hingetreten war. Es war eine dunkle, räthselhafte Tiefe, in die sie blickte, aber sie flößte ihr keine Furcht mehr ein.
„Lassen Sie uns diese Unterredung endigen," sagte sie tiefernst. „Sie werden keine zweite suchen, ich glaube es Ihnen; aber ein Wort noch, ehe wir scheiden. Sie sind ein Dichter, ich
habe es trotzalledem gefühlt, als ich Ihr Werk kennen lernte, und Dichter sind Lehrer der Menschheit, sie können zum Heil und zum Verderben führen. Die wilden Flammen Ihrer Mrivancü schlagen aus der Tiefe eines Lebens auf, das Sie selbst zu hassen scheinen. Sehen Sie dorthin!" sie deutete in die Ferne, wo es eben wieder aufleuchtete in lodernder Gluth. „Das sind auch Flammenzeichen, aber sie stammen aus der Höhe und sie weisen einen anderen Weg — leben Sie wohl!" -—
Sie war längst verschwunden und Hartmut stand noch immer wie an den Boden gefesselt. Er hatte kein Wort erwidert, keine Bewegung gemacht, er blickte nur mit heißen, starren Augen dorthin, wo jetzt Blitz auf Blitz die Wolken zerriß und die ganze Landschaft in einen feurigen Mantel hüllte, und dann nieder zu dem kleinen dunklen Waldsee, der so seltsam dem Burgsdorfer Weiher glich, mit seinem wehenden Schilf und der trügerischen, nebelathmen- den Wiese, die sich auch hier so dicht an das Gewässer schmiegte.
Unter solchem flüsternden Schilf hatte der Knabe einst davon geträumt, emporzusteigen wie die Falken, von denen sein Geschlecht den Namen führte, in schrankenloser Freiheit, immer höher, der Sonne entgegen, und an demselben Orte war die Entscheidung über sein Schicksal gefallen, in jener dunklen Herbstnacht, da die Irrlichter ihren Gespensterreigen führten. Aber der Flüchtling war nicht zur Sonne gestiegen, die Erde hatte ihn festgehalten, die üppig grüne Wiese, und ihn tief, tief hinabgezogen. Er hatte es wohl bisweilen gefühlt, daß der berauschende Trank der Freiheit und des Lebens, den die Hand der Mutter ihm reichte, vergiftet war, aber ihn schützte kein theures Erinnerungsbild — er durfte es nicht wagen, an seinen Vater zu denken.-
Immer dunkler zog es sich zusammen dort in der wetterumlagerten Ferne, immer wilder kämpften und rangen die Wolkengestalten miteinander, und mitten in diesem Kampfe und diesem Dunkel leuchteten sie immer wieder siegreich auf — die mächtigen Flammenzeichen aus der Höhe!
In der Haupt- und Residenzstadt des Landes hatte bereits das winterliche Gesellschaftsleben begonnen, in dem das künstlerische Element eine hervorragende Rolle spielte. Der Herzog, der die Kunst liebte und förderte, setzte seinen Stolz darein, bedeutende Vertreter derselben in seine Nähe zu ziehen und möglichst an seine Hauptstadt zu fesseln, und die Gesellschaft huldigte größtenteils derselben Richtung. Der junge Dichter, der von dem Hofe so sehr begünstigt wurde, und dessen erstes größeres Werk jetzt auf der Hofbühne aufgeführt werden sollte, war daher von vornherein eine interessante Persönlichkeit für alle Welt, und was man sonst über ihn vernahm, diente nur dazu, dies Interesse zu steigern.
Es war schon ungewöhnlich, daß dieser Rojanow als Rumäne ein Werk in deutscher Sprache dichtete, wenn man auch erfuhr,
daß er seine Erziehung in Deutschland empfangen habe. Außerdem war er der Busenfreund und auch hier in der Stadt der Gast des Fürsten Adelsberg, und man erzählte sich allerlei rührende und wundersame Geschichten über diese Freundschaft. Vor allem aber schuf Hartmuts Persönlichkeit ihm eine bevorzugte Stellung in allen Kreisen, wo er verkehrte. Der junge, schöne und geniale Fremde, den ein halb romantischer, halb geheimnißvoller Hauch umgab, brauchte auch hier nur aufzutreten, um aller Augen auf sich zu ziehen.
Die Proben zu „Arivana" hatten unmittelbar nach der Rückkehr des Hofes in die Stadt begonnen, unter persönlicher Teilnahme des Dichters und des Fürsten Adelsberg, der sich in seiner Begeisterung für das Werk seines Freundes zu einer Art von Regisseur umwandelte und dem Intendanten das Leben schwer machte mit allen nur möglichen Anforderungen hinsichtlich der Besetzung der Rollen und der Ausstattung des Dramas. Er wußte seinen Willen auch durchzusetzen, die äußere Zurüstnng war eine glänzende, die Rollen wurden durchweg mit den ersten Kräften des Hoftheaters besetzt, und sogar das Opernpersonal wurde herangezogen, da eine der Rollen eine ziemlich bedeutende Gesangspartie enthielt. Einer Schauspielerin konnte man das nicht zumuthen, so wurde denn eine junge Sängerin, Marietta Volkmar, damit betraut. Die Aufführung, die ursprünglich weit später stattfinden > sollte, wurde jetzt so viel als möglich beschleunigt, weil man bei Hofe fürstlichen Besuch erwartete und das neue Drama, das sich so poetisch und märchenhaft auf dem Hintergründe der indischen Sagenwelt abspielte, den hohen Gästen vorführen wollte. Man versprach sich einen ungewöhnlichen Erfolg davon.
Das war die Lage der Dinge, als Herbert von Wallmoden zurückkehrte, der natürlich dadurch aufs peinlichste überrascht wurde. Er hatte allerdings auf eine kurze, wie beiläufig hingeworfene Frage von seiner Frau erfahren, daß Rojanow noch in Fürstenstein verkehre, aber er hatte auch nicht auf ein plötzliches Verschwinden desselben gerechnet, das nothwendig hätte auffallen müssen. Dagegen war er der festen Ueberzeugung, Hartmut werde, trotz seiner hochmüthigen Erklärung, bleiben zu wollen, sich eines Besseren besinnen und, sobald Fürst Adelsberg Rodeck verließ, seinen Rückzug antreten. Jedenfalls durfte er es nicht wagen, an der Seite des Fürsten in der Stadt zu erscheinen, wo man ihm mit den angedrohten „Aufklärungen" das Auftreten unmöglich machen konnte.
Aber der Gesandte hatte nicht mit dem unbeugsamen Trotze des Mannes gerechnet, der in der That auch hier ein hohes Spiel wagte. Jetzt, nach wenigen Wochen, fand er ihn bereits in einer nach allen Seiten hin bevorzugten Stellung, im engsten Verkehr mit dem Hofe und der Gesellschaft. Wenn man jetzt, unmittelbar vor der Aufführung eines Werkes, das der Herzog so auffallend begünstigte, von dem bereits die ganze Stadt sprach, Enthüllungen über das Vorleben des Dichters brachte, so mußte das in allen Kreisen ebenso peinlich berühren als gehässig erscheinen. Der erfahrene Diplomat verhehlte sich nicht, daß die tiefe Mißstimmung, die dann zweifellos bei dem Herzog eintrat, auf ihn selbst znrück- fallen würde, weil er nicht rechtzeitig, bei dem ersten Erscheinen Rojanows, gesprochen hatte. Es blieb nichts übrig, als einstweilen noch abzuwarten und zu schweigen.
Wallmoden war weit entfernt, zu ahnen, daß gerade ihm von jener Seite eine schwere Gefahr gedroht hatte, denn er nahm an, seine Frau kenne Hartmut höchstens als Begleiter des Fürsten Adelsberg. Sie hatte den Namen nicht wieder ausgesprochen, seit sie damals bei ihrer Ankunft in Berlin auf eine anscheinend flüchtige Frage eine ebenso flüchtige Antwort gab, und er hatte das gleichfalls nicht gethan. Sie sollte und durfte nicht von jenen alten Beziehungen erfahren, die er ihr von Anfang an verschwiegen hatte.
Aber seinem Neffen Willibald gegenüber durfte er nicht schweigen, wenn er nicht eine ähnliche Erkennungsscene erleben wollte wie damals auf dem Hochberg. Der junge Majoratsherr hatte seine Verwandten nach Süddeutschland begleitet, sollte aber nur einige Tage in der Residenzstadt bleiben und sich dann nach Fürstenstein zu seiner Braut begeben, denn der Oberforstmeister forderte nachdrücklichste, daß der im September so plötzlich abgebrochene Besuch nunmehr nachgeholt werde.
„Ihr seid kaum acht Tage hier gewesen," schrieb er seiner Schwägerin, „und jetzt bitte ich mir meinen Herrn Schwiegersohn doch auf etwas länger aus. In Eurem vielgeliebten Bnrgsdorf