Illustriertes Lamilienblatt. - B-gründet von Ernst Keil 1853 .
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Oortsetzung.)
adonna im Wosenstag.
Roman von Weirrbol'd Gr:Lmcrrrrr.
keuchendem Athem und verwirrten Gedanken stieg Hudetz ^ ein paarmal s- die Treppe zu seiner Wohnung empor. Die Wirthin stand ! können einen am Herd und rührte in einem dampfenden, unangenehme Zwiebelgerüche ausströmenden Topfe. Mit ihrer starkknochigen, abgemagerten Gestalt, ihren harten Zügen und dem wirren grauen Haar legte sie den Vergleich mit den Bewohnerinnen einer Hexenküche nahe. Sie schenkte dem Eintritt ihres Miethers anscheinend keine Beachtung, aber als er eben die Thür seiner Stube hinter sich schließen wollte, redete sie ihn an:
„Machen Sie sich darauf gefaßt, einen Besuch zu bekommen ! Ich glaube, er wird Ihnen nicht angenehm sein, aber ich kann nichts dagegen thnn."
Welch eine neue Hiobspost war es, die da auf ihn wartete!
„Einen Besuch?" wiederholte er, bemüht, seine Gedanken zu sammeln. „Wer könnte das sein?"
„Der Gerichtsvollzieher!" sagte sie, gleichmüthig in ihrer Beschäftigung fortfahrend. „Es ist merkwürdig, was für eine Anhänglichkeit diese Art von Menschen für mich hat. Ich war noch nicht sechs Jahre alt, da nahm ein solcher Kerl — damals hieß er Exekutor — meiner Mutter das letzte anständige Kleid weg, das sie im Schranke hatte, und den Schrank dazu. Seitdem ist kein einziges Jahr vergangen, ohne daß ich die unselige Uniform nicht einmal oder 19
hätte zur vergessen -
Ire JomsLraße in Wnrzlmrq.
Zeichnung von R. Püttner.
Thür hereinkommen sehen. Alle anderen - der nicht, nnd wenn ich einmal kalt und todt da auf dem Lumpenbündel von Bett liege, wird noch der Gerichtsvollzieher kommen und meine Wohnung vergeblich nach einem pfändbaren Stücke durchstöbern."
Sie hustete heftig und lange. Es war, als ob sie mit der Gefahr der Erstickung zu kämpfen habe; zum ersten Mal machte Hudetz die Wahrnehmung, daß sie seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft um vieles hinfälliger geworden war. Aber es gab jetzt näher liegende Sorgen als diese. Der angekündigte Besuch mußte unter allen Umständen verhindert werden.
„Um was handelt es sich denn?" fragte er. „Ist die Summe groß?"
„Für Rothschild nicht — für mich, ja! Es sind Steuern oder so was. Das bezahl' ich nie! Was Hab' ich denn davon? Vielleicht, daß unter den Linden Asphaltpflaster gemacht wird und elektrisches Licht? Sie sollen einer armen alten Frau meinetwegen das Hemd vom Leibe nehmen, wenn sie's verantworten können! Freiwillig aber — freiwillig geb' ich nicht eineil Pfennig!"
Hudetz strich sich das dunkle Haar aus der Stirn.
„Ich werde die Steuern für Sie bezahlen, Frau Haberland," sagte er mit einem leisen Seufzer. „Wir dürfen nicht erst den Gerichtsvollzieher kommen lassen."
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