Heft 
(1890) 19
Seite
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Es war ihr nicht der Mühe werth, auch nur den Kopf zu erheben.

Da auf dem Tisch liegt.der Mahnzettel," meinte sie,bis heute abend muß es in Ordnung sein."

Sie kostete von ihrer Suppe, um dann noch etwas Salz hinznzufügen. Trotz des rauhen Gleichmuths, den sie an den Tag legte, war doch ein ausgeprägter Zug von Lebensmüdigkeit ^ aus dem harten alten Gesicht mit dem fest zusammengepreßteu, zahnlosen Munde. -

Hudetz nahm den Zettel und las den darauf angegebenen Betrag. -Derselbe war nicht eben groß, aber er überstieg die kleine Baarschast, über welche der ehemalige Student noch ver­fügte, doch um ein Beträchtliches. Er war es ja gewöhnt, von der Hand in den Mund zu leben, und die Einkünfte waren in den letzten Tagen besonders spärlich geflossen, weil er sich mit vermehrtem Eifer seiner wissenschaftlichen Arbeit hiugegeben hatte. !

Es wird mir hoffentlich gelingen, das Geld noch rechtzeitig zu beschaffen," sagte er, den Zettel zusammenfalteud und sich zum ! Gehen' wendend.

Wollen Sie nicht zuvor etwas essen?" rief ihm die Alte nach.Brotsuppe mit Zwiebeln ich setze sie Ihnen nicht auf die Rechnung."

Aber er lehnte mit einigen Dankesworten ab. Nicht um ^ den höchsten Lohn hätte er jetzt einen Bissen über die Lippen bringen können. Unten auf der Straße überlegte er eine Weile, ^ was sich unternehmen ließe, uni die fehlende Summe aufzubringen. ' Dann erinnerte er sich eines Weiuhündlers, von dem er wieder­holt kleinere Jnseratenanstrüge für verschiedene Berliner Zeitungen erhalten hatte. Er hatte bei dem Manne seit geraumer Zeit nicht mehr Vorgesprächen; wenn er heute ein geneigtes Ohr bei ihm stand, mochte der auf ihn selbst entfallende Gewinnantheil wohl hinreichen, das dringende Bedürsniß des Augenblicks zu befriedigen.

Aber die Aussichten schienen nicht sehr günstig, denn als Hudetz das kleine Kontor betrat, fand er den Weinhändler, einen alten Herrn von dem würdevollen Aussehen eines biblischen Patriarchen, in sehr eifrigem Gespräch mit mehreren Besuchern.

Was wünschen Sie denn schon wieder?" klang es ihm wenig ermunternd entgegen.Kommen Sie ein anderes Mal! Oder meinetwegen mögen Sie auch warten, bis ich Zeit habe, , mich mit Ihnen zu befassen!" I

Ohne ein Wort zu erwidern, schlich sich Hudetz in eine Ecke ^ des kleinen, überheizten und von Cigarrendampf erfüllten Raumes. ! Er war entschlossen, nicht eher von der Stelle zu gehen, als bis ^ er seinen Zweck erreicht hatte. Die rückständigen Steuern seiner - Wirthin mußten ja bezahlt werden um jeden Preis. !

Die Unterhaltung, welche der Patriarch mit seinen Kunden ^ führte, war von schier unendlicher Dauer, und als dieselben ! schließlich gegangen waren, hatte der Alte den stillen Besucher in ^ der Ecke beim Ofen augenscheinlich vergessen. Er rechnete und ! schrieb, und das Kritzeln seiner Feder war lange Zeit das einzige Geräusch, welches die Stille der. kleinen Arbeitsstube unterbrach.

Aber es war nicht nur Bescheidenheit, daß Hudetz noch immer schweigend und regungslos ans seinem Stuhle hockte. Seine Ge­danken hatten sich längst weltenweit von dem Zwecke seines Hier­seins entfernt, und auf der schmucklosen, mit einer unsäglich häß- ! liehen Tapete beklebten Zimmerwand, die er unausgesetzt anstarrte, ! hob sich längst von dem tiefgrünen Hintergründe blüthenbedeckter ^ Rosenhecken die holdselige Gestalt der jungfräulichen Gottesmutter im lang niederwallenden, weißen Gewände ab, diese süßeste aller Madonnen, die er nie - - nie mehr Wiedersehen sollte!

Es war nicht gerade wunderbar, daß ihm das Bild mit fast > all seinen Einzelheiten im Gedüchtniß haften geblieben war; aber ^ es war merkwürdig, daß ihn gerade in Bezug auf das Autlitz ! der Maria seine Erinnerung vollständig im Stiche ließ. Und je ! mehr er sein Gehirn zermarterte, um deu verwischten Eindruck ! wieder herauf zu beschwören, desto hartnäckiger schob sich ein anderes, lichtblondes Köpfchen in den Rahmen des Phantasiege­bildes ein, desto deutlicher trug die lichtnmflvssene Madonna im ; Rosenhag die lieblichen Züge jener vornehmen Flurnachbarin, ! deren entflohenes Vögelchen er einst mit Gefahr des eigenen ^ Lebens vor den mordgierigen Krähen errettet hatte. Und er i fühlte sich plötzlich ergriffen von einer Empfindung namenlosen, ^ heißen, inbrünstigen Sehnens, voll einem unklaren und doch all- '

gewaltigen Verlangen, das jede Fiber seines Wesens erfaßte. Es drängte ihm die Thränen in die Augen und ließ ihn doch zu­gleich in der dunklen Vorahnung einer Glückseligkeit erschauern, der er keinen Namen zu geben wußte, obgleich es ihn unwider­stehlich trieb, sie mit dem Einsatz seines ganzen Daseins zu erringen.

Er hörte und sah es nicht, daß der Weinhändler aus dem Inhalt des Geldschrankes Geld auf die Platte seines Pultes Zählte. Der verführerisch Helle Klang des Goldes erreichte sein Ohr so wellig wie das lockende Knistern der Kassenscheine- und es riß ihn erst aus seineil Träumereien auf, als eine jugendliche Frauen­stimme aus dem Nebenraume rief:

Ach, Papa, komm doch herein- nur für einen Augen­blick! Unser Hugo hat eben gelächelt wahrhaftig gelächelt; die Wärterin sagt, sie habe das noch nie erlebt bei einem Kinde von kaum vier Wochen!"

In den Zügen des Patriarchen leuchtete es auf wie Heller Sonnenschein. Als gälte es, ein Geschäft mit hundert Prozent Gewinn zu machen, eilte er zu der Thür des Nebengemaches. Und was hätte er wohl sechs Wochen früher demjenigen geant­wortet, der ihm prophezeit hätte, daß er jemals ein paar tausend Mark unbeaufsichtigt bei unverschlossener Thür auf seinem Pulte liegen lassen würde, nur um das vermeiutliche Lächelu eines Kindes von vier Wochen zu sehen? Er würde den Propheten für verrückt erklärt haben, aber er war eben damals noch nicht Großvater gewesen wie heute.

Minute ans Minute verrann eine lange Viertelstunde, und Joseph Hudetz war noch immer allein mit dem blinkenden Golde und den verführerisch bunten Kassenscheinen. Doch nicht für die Dauer eines Herzschlages wandelte ihn die Versuchung an, seine Hand anszustrecken nach den: fremden Gute. Der Tag neigte sich bereits dem Abend zu; seit dem frühen Morgen hatte er weder Speise noch Trank zu sich genommen, und es war wenig Aussicht vorhanden, daß er die Mittel erlangen würde, das Versäumte später nachznholen. Aber er dachte nichtsdesto­weniger keiner! Augenblick an die Möglichkeit, eine dieser glän­zenden Münzen, eines dieser bunten Papiere an sich zu nehmen uud mit uuhörbareu Schritten das Weite zu suchen.

Er würde niemals aus Hunger gestohlen haben niemals!

Der Weinhändler trat wieder auf die Schwelle. Sein erster Blick streifte die zusammengekauerte Gestalt in der Ecke bei dem Ofen der zweite flog blitzschnell nach denn Pulte hinüber.

Sie sind noch immer da?" fragte er, und aus dem Klang seiner Stimme war es zu hören, wie schwer ihm sein beispielloser Leichtsinn noch nachträglich auf die Seele siel.Sind Sie die ganze Zeit hindurch dagewesen?"

Ja," erwiderte Hudetz bescheiden,Sie forderten mich ja auf, zu warten, bis Sie Zeit für mich haben würden."

Der Patriarch brummte etwas vor sich hin und begann von neuem sein Geld zu zählen. Es fehlte nichts davon, und als er es bis auf den letzten Thaler in den diebessicheren Eisenschrank eingeschlossen hatte, wandte er sich wieder gegen seinen Besucher.

Eine Anzeige soll ich Ihnen geben für die Morgenposll und für die Mbendglockeill, nicht wahr? Nun, ich habe nicht gesehen, ob es mir in meinem Geschäft genützt hat, aber es hat mir auch nicht geschadet, denn mein Geschäft geht gut. Also sollen Sie sie haben, die Anzeige."

Er kritzelte einige Worte auf ein Blatt Papier, drückte seinen Firmenstempel darunter und reichte es dem erleichtert auf- athmenden Hudetz.

Ich danke Ihnen," erwiderte dieser, indem er hastig nach seinem Hute griff und Miene machte, sich zu entfernen. Wohl­gefällig streichelte der Patriarch seinen langen grauen Bart.

Nun, warum haben Sie es mit einen! Male so eilig, da Sie doch Zeit hatten, eine Stunde oder darüber zu warten? Es ist Ihr Geschäft, herumzulaufen und sich Jnseratenanstrüge von diesem und jenem geben zu lassen! Nun ja warum nicht? Mancher wird sie geben und mancher wird sie nicht geben. Es ist ein Geschäft wie jedes andere. Aber ich glaube nicht, daß es ein gutes Geschäft ist das heißt: eiu einträg­liches Geschäft ich glaube es nicht."

Freilich, man kann nicht reich davon werden," sagte Hudetz, dem der Boden unter den Füßen brannte.

Mit einem tiefsinnigen Lächeln wiegte der Patriarch das ehrwürdige Haupt.