Heft 
(1890) 19
Seite
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Reich?" wiederholte er.Wovon kann mall reich werden in diesen schweren Zeiten? Wer Gottes Segen nicht auf seinem Geschäft hat, der bleibt ein armer Teufel sein Leben lang. Soll ich Ihnen etwas sagen, junger Mann? Als ich in Ihren Jahren war oder darunter, bin ich hierher gekommen mit fünf Groschen in der Tasche und Hab' nicht gewußt, wo ich mein Haupt hin­legen sollte in der Nacht. Und da, all der nämlichen Stelle, wo Sie stehen, habe ich gestanden und um eine Zehrung gebeten für meinen Weg. Aber der, der damals der Herr war in diesem Haus, war übel gelaunt und hieß mich mit einem unfreundlichen Äort von dannen gehen. Ich sage nicht, daß es recht von ihm war, denn wer da hat, der soll seinem Bruder geben, daß er auch habe. Aber wir sind alle nur Menscheu und haben unsere Fehler wie Menschen. Also ging ich still hinaus und kaute auf einem Strohhalm, weil mich hungerte, wie einen gesunden Men­schen von zwanzig Jahren hungert, der in fünfzehn Stunden nichts Warmes und nichts Kaltes zwischen den Zähnen gespürt hat. Und wie ich im Finstern die Treppe hinabgehe, da stößt mein Fuß an was Hartes, und wie ich es aufhebe, ist es ein

Geldbeutel mit elf harten Thalern. Elf Thaler sind nicht viel

für einen, der im Ueberflusse sitzt; aber es ist sehr viel für einen, der seit fünfzehn Stunden hungert und nicht weiß, wo er sein Haupt hinlegen soll. Nun, was meinen Sie, daß ich gethan habe? Umgekehrt bin ich, den Geldbeutel Hab' ich auf den Tisch

gelegt und gesagt: ,Zählen Sie's nach, ob etwas fehlt von dem,

was darill gewesen istÜ> Und von Stund' all bin ich als Ge­hilfe hier im Hause geblieben, und sechs Jahre später Hab' ich die Tochter desselben Mannes geheirathet, der mich hinausgeschickt hatte. Und dann bin ich Herr geworden im Haus, und Gottes Segen ist auf meinem Geschäft gewesen. Null, was meinen Sie, warum ich Ihnen die ganze alte Geschichte erzählt habe?"

Hudetz hatte ihm nur mit halbem Ohr zugehört, denn die Ungeduld verzehrte ihn, und er empfand nicht die geringste Theil- nahme für die Erinnerungen des Patriarchen.

Ich weiß ill der That nicht," stammelte er,es war gewiß ein sehr merkwürdiger Zufall aber"

Zufall - - warum Zufall? Und ich will es Ihnen gerade heraus sagen! Ihr Geschäft ist kein gutes Geschäft, denn Sie kommen dabei niemals auf einen grünen Zweig. Ich aber kann ganz gut noch einen ehrlichen, zuverlässigen Menschen brauchen für die Schreibstube und für das Lagern Da melden sich so viele mit den rechtschaffensten Gesichtern und den schöllstell Redensarten, und hinterher kann mall froh sein, wenn sie nicht vielleicht gar scholl im Gefängniß gesessen haben.- Nun, was ist denn, warum haben Sie's mit einem Male so eilig, junger Manu?"

Hudetz stand schon in der geöffneten Thür. Das Blatt, das er noch immer in der Hand Hielt, war nicht viel weißer als sein Gesicht.

Sie sind sehr gütig," stieß er hervor,aber ich kann wirk­lich nicht es geht nicht und und ich darf mich nicht länger aufhalten guten Abend!"

Er rannte davoll, als hätte er statt des menschenfreundlichen Anerbietens Stockschlüge von dem Patriarchen erhalten. Seine Geschäfte in den Expeditionen derMorgenpost" und derAbend- glocken" waren rasch erledigt, und er erreichte die Stellerkaffe eben noch unmittelbar vor Thoresschluß. Als er wieder heraustrat, war sein Besitz an barem Gelde geringer als die Barschaft, mit welcher einst der Weinhändler nach Berlin gekommen war, um seiu Glück zu machen. Er kaufte sich etwas Gebäck bei einer alten Frau, die trotz der schneidenden Kälte mit ihren Kuchen- körben im Lustgarten saß, und während er essend vor der großen Freitreppe des Museums auf und nieder ging, kehrten stille Ge­danken zu dem einzigen Gegenstände zurück, der jetzt noch Werth und Bedeutung für ihn hatte.

Die Dunkelheit, welche ihn umgab, übte einen beruhigenden Einfluß auf ihll aus. Wie weit er auch voll einer Empfindung der Sicherheit und des Geborgenseins entfernt war, er wagte doch endlich, ganz schüchtern der Vorstellling Raum zu geben, daß seine Befürchtungen vom Mittag grundlos gewesen sein könnten, und er. rang sich endlich nach vielem Zaudern und Verwerfen zu der Entschließung durch, morgen noch einmal auf jede Gefahr- Hin den Besuch' der Galerie zu wiederholen. Er wollte die äußerste Vorsicht aufwenden und sich von dem eigentlichen Ziele

seiner Sehnsucht so lange fernhalten, bis er die Gewißheit erlangt hatte, daß man ihn nicht beobachte. Wenn er die Augen offen hielt, mußte ihm ja unter allen Umständen noch Zeit genug zum Rückzuge bleibell, sobald sich irgend etwas Besorgnißerregen- des zeigte.

Gestärkt und mit einem Gefühl der Spannung, wie es ihm in seinem aufreibenden Kampfe ums Dasein seit langem fremd geworden war, kehrte er nach langem Umherwandern ill seine Wohnung zurück. , Die Alte lag hustend und nach Athem ringend auf ihrem Bette. Seine Mittheilung, daß die bedrohliche Ange­legenheit geordnet sei, schien sehr geringen Eindruck auf sie zu machen. Sie brummte nur etwas, das "Hudetz nicht verstand, und auf seine besorgte Frage, ob sie sich vielleicht ernstlich unwohl fühle, fuhr sie ihn fast zornig an:

Wenn's schon so wäre, könnten Sie mir etwa helfen? Gehen Sie nur und legen Sie sich schlafen! Hat mall dreißig Jahre allein gelebt, kann mall am Ende auch allem verenden!"

Er wagte es nicht, ihr zu widersprechen; aber seine Be­sorgnis;, daß ihr etwas zuftoßen könnte, veranlaßte ihn doch, sich ül den Kleidern auf das Bett zu legen. Sein Schlaf war in­folge dessen unruhig und vielfach durch Träume unterbrochen, die fast den Charakter voll Fieber-Phantasien hatten. Erst gegen Morgen, als auch der bellende Husten der Alten minder häufig und beängstigend durch die dünne Scheidewand tönte, fiel er in tieferen, halbwegs erquickenden Schlummer.

Und er träumte, daß sich van Eycks Madonna im Rosenhag nicht mehr im Besitz der Berliner Galerie, sondern in feinem eigenen engen Stübchen befand. Das Bild schwebte frei ill der Luft mitten im Gemache, und es ging ein wunderbares Leuchten von ihm aus, ein überirdischer Glanz, der ihm zuletzt eine schmerz­liche Empfindung in den Augen verursachte. Und diesen stechen­den, bohrenden Schmerz fühlte er auch noch beim Erwachen. Der Kopf war ihm so schwer, daß er ihn nur nach Minuten langem Kampfe und mit dem Aufgebot seiner ganzen Willenskraft voll dem Kissen zu erheben vermochte. Eine furchtbare Mattigkeit machte ihm selbst die geringfügigste Bewegung der Glieder zu planvoller Anstrengung.

Sicherlich wäre er in seinem heutigen Zustande ganz un­fähig gewesen, irgend einen Entschluß zu fassen, welcher morali­schen Muth oder Spannkraft des Geistes zur Voraussetzung ge­habt hätte. Aber der Vorsatz vom gestrigen Abend wirkte selt famerweise in ihm nach wie der Befehl einer höheren Macht, vor­der es kein Entrinnen und gegen die es kein Widerstreben gab.

Er hatte sich nie so schwach, so hinfällig und so zaghaft gefühlt als gerade heute, und trotzdem stand es ihm unumstößlich fest, daß er auf jede Gefahr hin ill das Museum gehen werde.

Scholl während er sich ankleidete, dachte er all nichts anderes als daran. Er zauderte, den weiten grauen Mantel anzulegen, den ein betrügerischer Kleiderhündler ihm aufgeschwatzt hatte, und der in den Tagen seilles Glanzes wohl für zwiefach breitere Schultern reichlich bequem gewesen war. Das auffällige Kleidungs­stück mußte es ja dem Beamten leicht machen, ihn wiederzuer- kennen. Aber mit einem Male ging es ihm durch den Sinn, wie mühelos man einen Gegenstand, der etwa die Größe des van Eyckschell Madonnenbildes hätte, unter den Falten dieses .Mantels würde verbergen können. Zwar vermochte fein schmer­zendes Gehirn diesen sonderbaren Gedanken ebensowellig festzu halten wie irgend eine andere von den tausend abenteuerlichen Vorstellungen, die sich unablässig hinter der fiebernden Stirn jagten; aber er hüllte seine hagere Gestalt nun doch ohne weiteres Zögern in das gefährliche Kleidungsstück ein und machte sich auf den Weg.

In einem fast ausschließlich voll Arbeitern besuchten Kaffee keller der Challsseestraße versuchte er ein einfaches Frühstück zu sich zu nehmen. Aber der erste Bissen schon quoll ihm im Munde, und die verpestete Luft des niederen Raumes, dessen Fenster nicht geöffnet worden waren, obwohl mehr als ein Dutzend Menschen sich rauchend und schnapstrinkend bis zum Morgengrauen darin aufgehalten hatten, verursachte ihm unerträgliche Uebelkeit. Er war wirklich nahe daran, ohnmächtig zu werden, und das mochte sich ziemlich deutlich auf seinem Antlitz ankündigen, denn ein älterer Mann in der gestrickten Wolljacke eines Maurers, der sich neben ihll auf die hölzerne Bank geschoben hatte, redete ihll plötzlich all:Ihnen ist nicht ganz wohl was? - Lassen