Heft 
(1890) 19
Seite
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Sie dochdavon wird es nicht besser! i

Nehmen Sie lieber einen Nordhäuser, der bringt Sie schon ! wieder auf die Beine!"

Er schob Hudetz das gefüllte Schnapsglas zu, das der Wirth soeben vor ihn niedergesetzt hatte, und der ehemalige Student hob ^ es mit zitternden Fingern an die Lippen, als müßte er heute ^ willenlos jede Weisung befolgen, die ihm von irgend einer Seite ! her zutheil wurde. Seit den Tagen seiner frühesten Kindheit ' hatte er stets einen unbezwinglichen Ekel gegen alle geistigen ^ Getränke empfunden. Der bloße Geruch des Branntweins er- s weckte ihm mit Naturnothwendigkeit die Erinnerung an jene j wüsten und grauenhaften Auftritte, deren Zeuge er in seinem ! Elternhause, dem Hause des unverbesserlichen Schnapstrinkers, ge- ! wesen war. Und auch jetzt schüttelte ihn der Widerwillen, als ! er den ersten brennenden, abscheulich schmeckenden Tropfen auf seiner Zunge fühlte. Ein Erdarbeiter, der ihm gegenüber saß und ihn beobachtete, brach in rohes Gelächter aus; der Maurer, aber ermunterte ihn gutmüthig:

Nur hinunter damit! Die Wirkung kommt erst, wenn man ihn im Magen hat."

Und sie ließ in der That nicht lange auf sich warten, diese Wirkung, die so wunderbar war und so unbeschreiblich wohlthätig. Wie ein- Strom flüssigen Feuers rann es durch seinen Körper, als er mit furchtbarer Anstrengung den ganzen Inhalt des Glases hinabgeschüttet hatte; der bohrende Schmerz in den Schläfen und den Augen verwandelte sich in einen dumpfen, um vieles leichter zu ertragenden Druck, und ein Kraftgefühl, wie er es kaum jo gekannt hatte, war urplötzlich an die Stelle der bisherigen Mattigkeit getreten.

Er besaß nicht mehr als zehn Pfennig, als er die steile Kellertreppe wieder emporklomm. Aber diese Mittelly^gkeit machte ihm keine Sorge. Er hatte überhaupt keine Sorgen in diesen glücklichen Augenblicken. Der Anblick eines eiligen Zeitungsjungen, j der ihn mit seiner großen Mappe-unsanft in die Seite gestoßen ! hatte, erinnerte ihn an sein Erlebniß vom gestrigen Abend, an ! den Patriarchen und an das menschenfreundliche Anerbieten des­selben. Er lachte still in sich hinein bei der Vorstellung, wie sich ! das ehrwürdige Antlitz des Weinhändlers Wohl verwandelt haben ! würde, wenn er ihm geantwortet hätte, daß er auch einer von denen sei, die bereits im Gefängniß gesessen haben . . . Als ^ wenn es etwas so Außerordentliches wäre, dies Bestraftsein!. . . ^ Waren nicht zu allen Zeiten große Männer eingekerkert worden? ^ Und gab es nicht unter den lebenden Berühmtheiten einige, die ! in den Sturmjahren der Revolution sogar zum Tode verurtheilt worden waren? . . . Am Ende kam es doch nur darauf an, sich nicht erwischen zu lassen! . . . Was hatte es denn für die Allgemein­heit zu bedeuten, ob ein Paar seltene Kupferstiche die Freude eines ! armen Studenten ausmachten, oder ob sie in den Mappen eines > reichen Liebhabers verschlossen blieben! .. . Nicht einmal das Be- ! Hagen und das Wohlbefinden dieses Liebhabers hatte es länger ! als für eine flüchtige Stunde zu stören vermocht, daß er die ! wenigen Blätter genommen, und er er sollte es trotzdem büßen mit der Zerstörung seines ganzen Daseins? - Nein, das war keine Gerechtigkeit das konnte nicht der Wille desjenigen ge­wesen sein, welcher dem Weltenlauf seine ewigen Gesetze vorge­schrieben! Man hatte ein Recht, sich dagegen aufzulehnen . . . ^ und er wollte sich auflehnen gewiß, es war sein fester Ent- ^ schluß, das zu thun! Wenn man nicht die Kraft besaß, diese unsinnige soziale Ordnung mit einem Ruck übern Haufeil zu werfen, so mußte man sie verhöhnen , mall mußte sich über sie lustig machell, wie die schwärmenden Mücken sich vielleicht über den starken, alles beherrschenden Menschen lustig machen, den sie ungescheut reizen und peinigen, obwohl ein einziger Druck seines Fingers hinreichen würde, sie zu tödten, wenn er sie nur in seiner Gewalt hätte! . . . Ja, wenn er sie hätte - - das war eben der Humor davon!

Der Vergleich gefiel Hudetz außerordentlich, er dünkte ihm so treffend, daß er mit dem Behagen eines-Dichters, der einen glücklichen Gedanken gefunden zu haben meint, dabei verweilte. ! Was war er denn auch anderes als eine solche arme, harmlose - Mücke? Ein einziges Mal nur hatte er sich seines Daseins freuen ^ wollen, und um des winzigen, kaum fühlbaren Stiches willen, den dabei ein anderer empfangen hatte, wollte man ihn nun er- s barmungslos zerdrücken und vernichten! Er war eben so thöricht '

gewesen, sich erwischen zu lassen er hatte gar keinen Versuch gemacht, dem Verhängniß zu entrinnen, weil ihm irgend jemand in seiner Kindheit eine Lhörichte Ehrfurcht eingeprägt hatte vor dieser verrückten Weltordnung, in welcher die Gesellschaft mit dem rohen Rechte des Stärkeren durch Keulenschläge jeden Nadelstich erwidern darf. Er hatte seinen Nacken unter die Keulenschläge gebeugt, ohne sich zu fragen, ob dies in Wahrheit ein gerechtes Abwägen sei zwischen seiner Schuld und ihrer Sühne. Jetzt aber war ihm diese Frage gekommen; die belebenden, wunderthätigen Geister des Branntweins hatten sie in irgend einem Winkel seiner Seele geweckt, und diese nämlichen Geister raunten ihm nun auch die Antwort zu mit einem tausendmal wiederholten Nein! Er wollte sich auflehnen, sich rächen; aber er wollte sich nicht er­wischen lassen das war der letzte Schluß, in welchem alle diese sprunghaften und verworrenen Gedanken unfehlbar immer wieder endeten.

Daß seine Rache nur in der Entwendung von van Eycks Madonnenbilde bestehen konnte, war ihm in all den wirren Ge­dankenwirbeln seines berauschten Gehirns nicht einen Augenblick zweifelhaft gewesen. Nicht allmählich und mit Widerstreben war der Entschluß dazu in ihm gereift, sondern er war plötzlich fest und unverrückbar dagewesen wie etwas Selbstverständliches, das schon seit langem all sein Sinnen und Trachten beherrscht hatte. In Wirklichkeit hatte er gestern durchaus nicht daran gedacht; jetzt aber galt es ihm als gewiß, daß er das Bild schon gestern fortgenommen haben würde, wenn nicht die beständige Anwesen­heit des Museumsdieners ein solches Beginnen unmöglich gemacht hätte. Und die Furcht, daß sich die Gelegenheit auch heute nicht günstiger erweisen möchte, war die einzige Sorge, welche sich zu­weilen für die Dauer einer Sekunde lähmend auf seine beinahe freudige und von einer brennenden Ungeduld gestachelte Enll schlossenheit legte.

Vor der Eingangsthür des Museums hatte sich ein kleines Häus­lein Harrender angesammelt, die sich verdrießlich und durchfroren in die warmen Räume stürzten, als ihnen endlich geöffnet wurde. Hudetz beeilte sich gar nicht, ihnen zu folgen. Er befand sich in der heiteren und behaglichen Stimmung eines Menschen, der zur Erhöhung des Sinnenkitzels den Augenblick eines höchsten Genusses hinaus­schiebt, weil er sicher ist, daß dieser Genuß ihm nicht mehr geraubt werden kann. Und es war merkwürdig, ein wie lebhaftes Ver­gnügen ihm heute selbst die gleichgültigsten und geringfügigsten Dinge zu bereiten vermochten. Die Amazone und der Löwen- tödter auf den Treppenwangen die mächtige Granitschale auf dem freien Platze mit ihrem plumpen hölzernen Deckel ja, selbst das alte, verhutzelte Weiblein, das immer mit dem näm­lichen Tonfall der dünnen, quiekenden Stimme ihr:Katalog gefällig?" undFührer durch die königlichen Museen?" her­plapperte er sah sie alle nur wie durch einen feinen Schleier und in eigenthümlich verschwimmenden Umrissen, aber sie erschienen ihm nichtsdestoweniger so hübsch und so vergnüglich anzuschauen, daß er gar nicht zu begreifen vermochte, wie ihm das Dasein bei so viel reizvoller Abwechslung jemals hatte leer und unerträglich dünken können.

Mit dem überlegenen Lächeln eines Weisen, der soeben die Lösung einer weltbewegenden Frage gefunden hat, trat er endlich in das Haus. Einer von den Museumsdienern, die im ersten Saale des Erdgeschosses standen, blickte ihn scharf an, aber das hatte heute durchaus nichts Verwirrendes für den ehemaligen Studenten. Vielmehr ergötzte er sich innerlich über die Dummheit dieses Menschen, der trotz allen Anstarrens ancht aus seinen Mienen heraus lesen konnte, was er vorhatte. Er mußte an sich halten, um ihm nicht im Vorbeigehen gerade ins Gesicht zu lachen. Wozu standen diese Aufpasser nun da in ihren schönen Uniformen, wenn sie doch genöthigt waren, die Spitzbuben ungehindert eintreten zu lassen gleich den ehrlichen Leuten!

Es waren erst wenige Besucher in dem westlichen Flügel der Gemäldegalerie, aber vor den Madonnenbildern van Eycks stand ein junges Paar, dem die Abgelegenheit des kleinen Kabinetts gerade recht schien für den Austausch geheimnißvoller Mittheilungen, welche sie sich mit sehr verliebten Gesichtern in die Ohren flüsterten. Es wäre gewiß ein Leichtes gewesen, sie zu verscheuchen, aber Hudetz war zu rücksichtsvoll, etwas derartiges zu versuchen. Mochten sie immerhin erst zu Ende kommen er hatte ja keine Eile!