Heft 
(1890) 19
Seite
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Sie hätten nicht darauf achten sollen," sagte Adelheid mit sichtbarer Unruhe.Solch ein junger Hitzkopf pflegt alles gleich tragisch zu nehmen. Was hat er Ihnen denn eigentlich gesagt?"

Im Grunde nichts. Er behauptet, Ihnen sein Wort ge­geben zu haben, zu schweigen, und nicht ohne Ihre Erlaubniß sprechen zu dürfen, aber er scheint seinen Schwager förmlich zu hassen. Was soll das alles heißen?"

Die junge Frau schwieg, diese Erörterung schien ihr im höchsten Grade Peinlich zu sein. Falkenried sah sie forschend an, wahrend er fvrtfuhr:

Sie wissen, es ist nicht meine Art, mich in fremde Geheim­nisse zu drangen, ich nehme überhaupt wenig Antheil mehr an dem Thun und Treiben anderer, aber hier kommt die Ehre meines Jugendfreundes in Betracht, gegen die jene Andeutung eine Verdächtigung enthielt. Ich duldete das natürlich nicht, aber als ich es Ihrem Bruder vorhielt und mit Wallmoden selbst zu sprechen drohte, gab er mir zur Antwort: ,Dann wird mein Herr Schwager Ihnen die Sache .diplomatisch' erklären, er hat sich ja dabei als ein so großer Diplomat gezeigt. Fragen Sie Ada, wenn Sie die Wahrheit erfahren wollen!' So frage ich Sie denn zuerst; wenn Sie mir nicht antworten können oder wollen, dann aller­dings muß ich mit Ihrem Manne reden, dem ich eine derartige Aeußernng nicht verschweigen darf."

Er sprach kalt und gemessen, ohne jede Aufregung, die An­gelegenheit selbst flößte ihm offenbar gar keine Theilnahme ein, er hielt es nur für nothwendig, sie zu erörtern, weil ein Ehren­punkt dabei in Frage kam.

Schweigell Sie gegen Herbert, ich bitte Sie!" fiel Adelheid hastig ein.Ich muß Ihnen wohl Auskunft geben, da Eugen sich einmal so weit hat fortreißen lassen, aber er hat die Sache voll Anfang an viel zu schwer genommen, es ist ja nichts Un­ehrenhaftes dabei."

Das hoffe ich, da es sich um Wallmoden handelt," sagte der Oberst mit Nachdruck.

Die junge Frau dämpfte die Stimme, aber sie vermied es, den Blicken ihres Zuhörers zu begegnen, als sie begann:

Sie wissen ja, daß meine Verlobung vor einem Jahre in Florenz erfolgte. Mein Vater war damals schon sehr leidend und die Aerzte verlangten, daß er den Winter in Italien zubringe. Wir gingell vorläufig auf zwei Monate nach Florenz, die weiteren Entschlüsse sollten von dem Befinden des Kranken abhängen; mein Bruder hatte uns begleitet, sollte aber im Beginn des Winters wieder nach Hause zurückkehren. Wir bewohnten eine Villa außerhalb der Stadt und lebten selbstverständlich sehr zurückgezogen. Eugen sah Italien zum ersten Male und es war so traurig für ihn, Tag für Tag in dem einsamen Krankenzimmer zu sitzen, sodaß ich seinen Wunsch, auf kurze Zeit nach Rom zu gehen, unterstützte und das auch durchsetzte. Hätte ich es doch nie gethan! Ich konnte ja nicht ahnen, wie tief ihn seine Unerfahrenheit dort verstricken würde."

Das heißt, er ging leichtsinnigen Abenteuern nach, während sein Vater bereits dem Tode ins Auge sah?"

Urtheilen Sie nicht so hart! Mein Bruder war damals kaum zwanzig Jahre alt und hatte stets unter den Augen eines liebevollen, aber trotzdem strengen Vaters gelebt, die kurze Freiheit wurde ihm verhängnisvoll. Man lockte den jungen Deutschen, der noch so gar keine Welterfahrung hatte, in einen Kreis, wo hoch und, wie sich später ergab, auch falsch gespielt wurde, wo eine Anzahl schlimmer Elemente sich unter äußerlich bestechenden Formen zusammenfand. Eugen, in seiner Unkenntniß, durchschaute das nicht und verlor bedeutende Summen, bis die Gesellschaft plötzlich von der Polizei aufgehoben wurde. Die Italiener wider­setzten sich, es kam zu einem förmlichen Kampfe, in den auch Eugen hineingerissen wurde. Er vertheidigte sich nur, aber er hatte das Unglück, einen der Polizisten schwer zu verwunden, und wurde mit den anderen verhaftet."

Der Oberst hatte schweigend zugehört, aber sein Gesicht blieb unbeweglich und sein Ton war ebenso hart wie vorhin, als er sagte:Und das mußte Stahlberg an seinem Sohne erleben, der bis dahin ein Muster von Wohlerzogenheit gewesen war!"

Er hat es nie erfahren! Es war ja nur eine augenblick­liche Verirrung, mehr Verführung als Schuld, und sie wird sich nicht wiederholen, Eugen hat mir sein Ehrenwort darauf gegeben."

Falkenried lachte plötzlich auf, so grell und höhnisch, daß die junge Frau ihn erschreckt anblickte.

Sein Ehrenwort! Ja, warum denn nicht? Das ist ja ebenso leicht gegeben als gebrochen! Sind Sie wirklich noch so gläubig, daß Sie dem Worte eines solchen jungen Burschen ver­trauen?"

Ja, das bin ich!" erklärte Adelheid verletzt, während ihr Auge ernst und vorwurfsvoll dem Blick des Mannes begegnete, dessen furchtbare Bitterkeit sie sich nicht erklären konnte.Ich kenne meinen Bruder, er ist trotzalledem der Sohn seines Vaters und er wird mir und sich selber Wort halten, ich weiß es."

Wohl Ihnen, daß Sie noch glauben und vertrauen können ich habe es längst verlernt!" sagte Fnlkenried dumpf, aber doch in milderem Tone.Und was geschah weiter?"

Mein Bruder hatte es wenigstens erreicht, daß man ihm gestattete, mir sofort Nachricht zu senden. ,Verschweige es dem Vater, es würde ihm den Tod geben!' schrieb er mir. Ich wußte es besser als er, daß der Schwerkranke eine solche Nachricht nicht ertragen konnte, aber wir waren allein im fremden Lande, ohne Freunde und Beistand, und es mußte augenblicklich gehandelt werden. In dieser Angst dachte ich an Herbert, der sich damals bei der Gesandtschaft in Florenz befand. Wir kannten ihn flüchtig von früher her, und er hatte uns gleich nach unserer Ankunft ausgesucht und sich zur Verfügung gestellt, wenn wir irgendwie der Vermittelung unseres Gesandten bedürften. Seitdem kam er öfter in unser Haus und kam auch jetzt unverzüglich auf meine Bitte. Ich vertraute mich ihm an, ich sagte ihm alles, erflehte Rath und Hilfe von ihm und erhielt sie auch."

Um welchen Preis?" fragte der Oberst mit finster zu­sammengezogenen Brauen.

Adelheid schüttelte abwehrend das Haupt.

Nein, nein, es ist nicht so, wie Sie denken, wie Eugen es noch immer glaubt ich bin nicht gezwungen worden, Herbert ließ mir freie Wahl. Er verhehlte mir allerdings nicht, daß der Vor­fall noch viel schlimmer war, als ich fürchtete, daß jene im Spiel verlorenen Summen trotzalledem bezahlt werden müßten, wenn man die Sache der Oeffentlichkeit entziehen wolle, daß es vielleicht dennoch zu einer Gerichtsverhandlung kommen werde wegen der Verwundung des Polizisten. Er erklärte mir, daß man es gerade ihm in seiner Stellung sehr verübeln würde, wenn er sich persön­lich in solche Angelegenheiten mischte. ,Sie verlangen, daß ich Ihren Bruder rette,' sagte er. ,Vielleicht kann ich das, aber ich setze meine Stellung, meine ganze Zukunft dabei aufs Spiel, und ein solches Opfer bringt man doch höchstens seinem eigenen Bruder oder seinem Schwager!'"

Falkenried stand plötzlich auf und machte einen Gang durch das Zimmer, darin blieb er vor der jungen Frau stehen und sagte in grollendem Tone:

Und das haben Sie natürlich geglaubt in Ihrer Todes­angst?"

Meinen Sie, daß es nicht so war?" fragte Adelheid betroffen.

Er zuckte mit einem halb verächtlichen Ausdruck die Achseln.

Möglich! Ich kenne diese diplomatischen Rücksichten nicht, ich weiß nur eins, Wallmoden hat sich in der That als ein ,großer Diplomat' gezeigt in der ganzen Sache. Was antworteten Sie ihm?"

Ich erbat mir Bedenkzeit, es stürmte alles so plötzlich auf mich ein. Aber ich wußte ja, daß keine Stunde zu verlieren war, und noch am Abend desselben Tages gab ich Herbert das Recht für seinen Schwager einzutreten."

Natürlich!" murmelte der Oberst mit tiefer Bitterkeit.Der kluge Herbert!"

Er nahm sofort Urlaub und reiste selbst nach Rom," fuhr die junge Frau fort.Nach acht Tagen kehrte er in Begleitung meines Bruders zurück. Es war ihm gelungen, Eugen frei zu machen und ihn überhaupt der ganzen Angelegenheit zu entziehen, nicht einmal die Zeitungen brachten den Namen des jungen Deutschen, der darin verwickelt war. Durch welche Mittel das geschah, weiß ich nicht. Wenn man mächtige Verbindungen hat und das Geld nicht schont, ist vieles möglich. Herbert hatte es mit vollen Händen nach allen Seiten hin gespendet und alles benutzt, was seine langjährige diplomatische Thätigkeit ihm an Verbindungen öffnete. Auch für jene Spielschulden hatte er bereits Deckung geschafft, allerdings nur durch seine persönliche Bürgschaft. Er sagte mir später, daß er damals mit der Hälfte seines Ver­mögens sür alle jene Summen eingetreten sei."