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Teufels, daß Ihr es wagt, Euch in meiner Gegenwart in solcher Weise aufzuführen? Wenn Ihr nun einmal nicht Frieden halten könnt, so geht Euch meinetwegen aus dem Wege! Aber ich bitte mir's ernstlich aus, daß jeder neue Skandal vermieden werde. Und ein beispielloser Skandal wäre es, wenn Du wirklich daran dächtest, Lothar, wegen dieser verwünschten Geschichte die Beziehungen zu Deinen Angehörigen in auffälliger Weise abzubrechen. Du weißt, daß wir der Familie Hainried nur mit Mühe eine halbwegs zufriedenstellende Erklärung für den Vorfall auf dem Bazar und für seine Folgen zu geben vermochten. Ein Zer- würfniß zwischen uns, dessen eigentliche Ursache man bald errathen haben würde, wäre ganz danach angethan, alle meine Bemühungen zu vereiteln."
„Trotzdem muß ich thun, Vater, was mein Gewissen mir vorschreibt. Ich kann den Treubruch und die Ungerechtigkeit, deren man sich hier gegen ein argloses Mädchen schuldig gemacht hat, nicht dadurch stillschweigend gutheißen, daß ich in der alten Weise mit Euch verkehre. Glaubt Ihr Euch berechtigt, Marie künftighin als nicht mehr zur Familie gehörig zu betrachten, so laßt mich immerhin dieses Schicksal theilen. Ich stehe mit meiner ganzen Ueberzeugung auf ihrer Seite, nicht auf der Euren!"
Das ohnedies stets so rosige Antlitz des Generals hatte sich tief dunkel gefärbt. Eine rasche Entgegnung, vielleicht ein begütigendes oder gar bittendes Wort schien ihm auf den Lippen zu schweben; aber die Gegenwart Engelberts, der durch ein recht deutliches Gebärdenspiel seine Verwunderung über die Langmuth des Vaters zu erkennen gab, mochte ihn daran hindern, es auszusprechen. Er legte sein Gesicht vielmehr plötzlich in jene hoch- müthig stolzen Falten, welche die Offiziere der ihm unterstellten Regimenter als unheilverkündend besonders fürchteten, und sagte in einem gänzlich veränderten Ton:
„Danach ist es allerdings überflüssig, daß wir noch weiter miteinander verhandeln. Du bist großjährig und meiner Unterstützung nicht bedürftig. Wenn es Dir also angemessen erscheint, Dich von uns loszusagen, so habe ich weder die Macht, noch auch länger den Wunsch, Dich daran zu hindern. — Guten Morgen!"
Er drehte sich kurz um und ging zur Thür des Nebenzimmers. Als er dieselbe bereits geöffnet hatte, rief er noch einmal scharf und befehlend zurück:
„Engelbert! -- Ich wünsche auf der Stelle mit Dir zu sprechen!"
Es klang wie ein militärisches Kommando, und der Dragoneroffizier gehorchte ohne Widerstreben, obwohl der feindselige Blick, welchen er im Gehen auf seinen Bruder warf, etwas wie ein drohendes „Auf später!" zu enthalten schien.
Lothar war allein, und wie ein Schatten tiefer Traurigkeit legte es sich über sein Antlitz, als er zum letzten Mal die Umgebung betrachtete, an welche sich so viele traute Erinnerungen seiner Jünglingsjahre knüpften. Dieser Abschied vom Elternhause mochte ihm doch ungleich schwerer und schmerzlicher sein, als es noch soeben seiner ganzen Haltung nach den Anschein gehabt hatte. Aber in der zaudernden Langsamkeit, mit welcher er nun dem Ausgange zuschritt, war doch nichts von Reue über das, was er gethan hatte.
Schon hatte er sich draußen von dem Diener den weiten Mantel, dessen er sich wegen des gebrauchsunfähigen Armes bedienen mußte, um die Schultern hängen lassen, als Cilly ihm nacheilte und sich ganz gegen ihre sonstige Art zärtlich an seine Seite schmiegte.
„Ich habe alles gehört, Lothar," flüsterte sie, während der Diener sich sofort zurückzog, „alles, und ich leiste Dir von ganzem Herzen Abbitte für jedes Unrecht, das ich Dir jemals in meinen Gedanken zugefügt habe. Wie muthig bist Du ihnen entgegen getreten, wie mannhaft und edel!"
Er lächelte ein wenig, und es war überraschend, wie sehr dies kleine, rasch verschwindende Lächeln sein Gesicht zu verschönen vermochte.
„Es freut mich, daß ich Deine Zustimmung habe, liebe Cilly, wenn ich auch Deine Bewunderung ablehnen muß. Und es ist mir lieb, daß ich noch Gelegenheit finde, Dir Lebewohl zu sagen."
„Also Du gehst wirklich fort? Und Du willst nie, nie wieder zu uns kommen?"
„Ich darf nicht wiederkommen, Cilly, so lange die Umstände fortbestehen, die mich jetzt nöthigten, so unfreundlichen Abschied zu nehmen."
„Ich kann Dir keinen Vorwurf daraus machen, denn es ist schändlich, wie sich Engelbert gegen die arme Marie benommen hat. O, ich vermag Dir nicht zu sagen, wie ich diese Gräfin Hainried jetzt verabscheue, denn sie ist mit ihren Koketterien an allem schuld, und ich bin überzeugt, daß sie sich gar keine Mühe gegeben hätte, ihn mit ihren Hexenkünsten einzufangen, wenn sie nicht bemerkt hätte, daß Marie ihn liebte. Aber ich zeige ihr auch kein freundliches Gesicht mehr; sie soll schon merken, daß ich alles durchschaut habe."
Die Hellen Thränen funkelten in den sonst so lustigen Augen, und es war nicht daran zu zweifeln, daß es ihr wirklich so ums Herz war, wie sie sprach. Liebkosend streichelte Lothar mit der gesunden Rechten über ihr lockiges dunkles Haar.
„Ich habe auch noch eine Bitte an Dich," fuhr Cilly zaghaft fort, „eine große Bitte, die Du mir nicht abschlagen darfst, wenn Du mich nur ein klein wenig lieb hast. Ich leide schrecklich unter der Vorstellung, daß Marie mich im Einverständniß mit Engelbert glaubt, und daß sie mich nun ebenso haßt und verachtet wie ihn. Natürlich habe ich ihr gleich, sobald ich ihren Aufenthalt erfuhr, einen langen Brief geschrieben und sie um eine Zusammenkunft gebeten. Aber der Brief ist uneröffnet zurückgekommen mit ein paar Zeilen, die so kühl und so fremd waren, als wenn sie gar nicht von ihr herrührten. Woher soll ich nun den Muth nehmen, zu ihr zu gehen? Und doch muß ich sie sprechen, es koste, was es wolle. Sie darf mich nicht für schlecht und herzlos halten, und sie darf auch nicht zum Theater gehen, wo sie gewiß nur neuen Kummer erfahren würde. Nun sollst Du ein gutes Wort für mich einlegen, Lothar! Du bist jetzt ihr Beschützer, und wenn Du ihr nur recht eindringlich vorstellst, wie unschuldig ich an der ganzen Geschichte bin und wie lieb ich sie noch immer habe, so wird sie sich gewiß nicht mehr weigern, mich zu empfangen."
Um die Lippen des Assessors zuckte es, als er erwiderte:
„Du bist leider in einem gewaltigen Jrrthum, meine liebe Cilly! Ich befinde mich Marie gegenüber in derselben Lage wie Du, und keiner wäre weniger geeignet, bei ihr den Fürsprecher zu machen, als ich. Die Thür ihrer Wohnung ist mir für immer verschlossen, und ich habe nicht den mindesten Anspruch darauf, für ihren Beschützer zu gelten."
„Steht es so zwischen Euch?" fragte Cilly verwundert. „Das Hütte ich nach Deinem vorigen Auftreten wahrlich nicht erwartet. Nun gut, dann bleibt mir nur noch ein einziger Weg, zu ihr zu gelangen, und ich werde ihn Anschlägen, wie sauer es mich auch ankommen mag."
„Und darf ich nicht erfahren —"
„Nein, nein, Lothar! Es ist besser, wenn ich das auf meine eigene Hand und meine eigene Gefahr unternehme. Du brauchst übrigens keine Sorge zu haben; denn die Gefahr dabei ist wohl nicht allzu groß. — Und nun, auf Wiedersehen! Denn das klingt doch wohl besser als das traurige Lebewohl!"
Sie drückte ihm hastig die Hand, weil sie einen sporenklirrenden Schritt in der Nähe gehört hatte, und drängte ihn mit sanfter Gewalt zum Gehen. Dann huschte sie behend auf ihr Zimmer, da sie nicht die geringste Neigung fühlte, nach diesem Gespräch mit Lothar ihrem Bruder Engelbert zu begegnen.
Sie war fertig zum Ausgehen gekleidet, als sie eine halbe Stunde später in das Zimmer der Generalin trat.
„Ich möchte ein wenig frische Luft schöpfen, liebste Mama! Du hattest doch hoffentlich nicht die Absicht, gerade heute mittag Besuche mit mir zu machen?"
Ihre Excellenz befand sich eben inmitten einer überaus wichtigen Berathung mit der rothwangigen Beherrscherin der Küche, und bei Verhandlungen so bedeutsamer Art ließ sie sich nicht gerne stören. So gab sie ihrem Töchterchen nur durch einen stummen Wink zu erkennen, daß sie nichts gegen den beabsichtigten Spaziergang einzuwenden habe, und Cilly schlüpfte eilig hinaus, froh, dem Zwang einer Nothlüge entronnen zu sein.
(Fortsetzung folgt.)