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er sonst für den Grafen empfand, konnte er ein Gefühl brennender Eifersucht nicht unterdrücken. Hatte sie gefürchtet, daß er ihr Vertrauen mißdeuten könnte? -—- An all die anderen zarteren Beweggründe, die Susanne veranlaßt haben konnten, sich in ihrer Herzensnoth nicht an ihn zu wenden, dachte der sonst so kluge Mann in seiner ersten Erregung nicht.
Er sagte sich nur, daß all seine Mühe, ihr zu dienen und wenn nicht ihr Gatte, so doch der erste nach diesem, ihr Freund zu sein, umsonst gewesen, daß er ihr nichts war als eben ein Diener, den man bezahlte wie die anderen. So hatte es der alte Erwins gehalten, und sie war seine richtige Tochter. Wozu sich länger Plagen um einen Preis, der doch nie zu erringen war!
Selbst die Arbeit brachte ihm nicht mehr den gewohnten Trost. Er sah Vergangenheit und Zukunft im dunkelsten Licht, und die durch den Brand entstandene Geschäftsstörung, die mancherlei Sorgen und Wirrnisse, die das Ereigniß mit sich brachte, trugen nur dazu bei, seine trübe Stimmung noch mehr zu verdüstern. Vergebens suchte ihn Alten aufzuheitern. Er sprach von Aufgabe seiner Stellung, er war matt, zum Tode matt.
Als aber dann Frau Erwins, derihreTochter von Schloß Snarre aus die Katastrophe und deren Veranlassung in einem ausführlichen Brief gemeldet hatte, sich schriftlich an ihn wandte, um seinen Rath und Beistand in der bereits eingeleiteten Scheidungsklage zu erbitten, gewann er Plötzlich wieder neues Leben und sein altes Pflichtgefühl regte sich.
Susanne und Gras Snarre waren sich durch die besonderen Verhältnisse in wenigen Stunden näher getreten als sonst Menschen in Wochen und Monden, und die Nachwirkung der ungeheuren Erregung über das Geschehene und das Vertrauen, das die junge Frau in ihren Beschützer setzte, ließen sie in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes auf dem Schloß kaum einmal zu dem Gedanken gelangen, daß ihr Verweilen daselbst trotz der Anwesenheit der Verwandten des Grafen, der alten Gräfin Snarre, sich mit den herkömmlichen Auffassungen in Widerspruch befinden könnte. Als sie endlich nach einem Aufenthalt von einigen Tagen ihrem Wunsche Ausdruck gab, nach Kiel zurückzukehren, machte ihr Graf Snarre die Mittheilung, daß Tromholt ihm geschrieben habe, er werde nach wiederholter Rücksprache mit Utzlar nach Snarre kommen, um über das Ergebniß seiner auf Wunsch der Frau Erwins geführten Verhandlungen mit ihm zu berichten.
Bevor aber Tromholt eintraf, hatte Snarre eine Unterredung mit Susanne, die ihn über ihre Stellung zu Tromholt, Susanne aber über des Grafen Gefühle für sie aufklärte.
Die Gräfin Snarre hatte sich wegen eines leichten Unwohlseins nach dem Abendessen zurückgezogen, und Snarre war neben seinem schönen Gast um so lieber allein zurückgeblieben, als er unter dem Eindruck stand, daß dann Susanne leichter zu dem vertraulichen Ton des ersten Tages zurückkehren werde. Ihre Schönheit, ihr ungekünsteltes Wesen, ihre ernste Liebenswürdigkeit hatten wie mit einem Zauberschlage eine starke Neigung für sie in seinem Innern geweckt, und die sich ihm durch die Verhältnisse aufdrängende Zurückhaltung machte ihn nur noch unruhiger und leidenschaftlicher.
Bisher fand er für seine Hoffnungen wenig Ermunterung. Susanne sah ihm, wenn sie mit ihm sprach, mit jener ruhigen Unbefangenheit, die jedes andere Gefühl als das eines freundschaftlichen Vertrauens ausschließt, in die Augen. Trotzdem drängte es ihn heute, sich ihr in anderer Weise zu nähern.
„Wie denken Sie sich die Zukunft, verehrte Frau Gräfin?" Hub er nach einer kurzen Einleitung an. „Werden Sie in Kiel bleiben, oder habeil wir, wenn auch später, Aussicht, Sie in Limforden wiederzusehen? Ich muß gesteheil —hier stockte Snarre und veränderte den Ton seiner Stimme, „daß ich mir nicht ansdenken mag, Sie nun ganz wieder missen, von den Rechten der Freundschaft, die Sie mir eingeräumt haben, keine Vortheile mehr ziehen zu sollen."
Susanne, welcher der veränderte Ton nicht entging und die aus den letzten Worten die Absichteil Snarres ahneil mochte, erwiderte mit einem Anflug voll Schwermuth:
„Nach Limforden werde ich, auch wenn alle jetzt noch bestehenden Hindernisse beseitigt sind, schwerlich zurückkehren. Es sind weniger die peinlichen Erinnerungen der jüngsten Zeit, die mir den Aufenthalt dort verleiden, als die Gegenwart eines Mannes, dessen Anblick wie ein schwerer Vorwurf auf meine Seele drückt,
eines Mannes, dem ich viel Leids angethan habe, ohne daß er dadurch in seinen großmüthigen Bemühungen für mein Wohl im geringsten zu erschüttern gewesen wäre, dessen Freundschaft, ja dessen Achtung ich nun aber für immer verloren zu haben fürchte."
„Ich verstehe nicht ganz," sagte Snarre, befremdet aufblickend.
„Ich meine Tromholt," fuhr Susanne freimüthig fort. „Ich fühle, daß er das erste Anrecht hatte, von mir in einer so wichtigen Lebensfrage, wie sie mein Zerwürfniß mit Graf Utzlar ist, ins Vertrauen gezogen zu werden. Ich habe es unterlassen, obwohl ich weiß, daß ihn die Umgehung seiner Person schwer kränken muß, daß er die Gründe, die mich dazu bewogen, bei aller Vorurteilslosigkeit, die sonst sein Wesen kennzeichnet, kaum richtig würdigen wird. Es war ein Gefühl der Scham, des Trotzes, das mich hinderte, ihn, gerade ihn in die grausamen Enttäuschungen einzuweihen, die diese Ehe mir bereitet hat. Und doch hätte ich es thun sollen, thun müssen, es bedrückt mich, daß ich es unterließ."
Sie schwieg in einer Art von schmerzlicher Verwirrung, und es entstand eine peinliche Pause.
„Ich begreife, Frau Gräfin," Hub Snarre endlich an.
„Sie sagten?" unterbrach ihn Susanne hastig, wie aus einen: Traum erwachend.
„Daß es für Sie Peinlich ist, einem Mann von so hochachtbarer Gesinnung, wie es Herr Tromholt ist, Grund zu einem Mißverständniß gegeben zu haben, und doch glaube ich, daß er sicherlich über jede kleinliche Auffassung Ihrer Handlungsweise erhaben ist. Tromholt ist ein Mann, der alles begreift und mit seiner edlen Seele auch alles verzeiht."
„Ja, er ist ein seltener Mann," fiel Susanne mit fast stürmischer Wärme ein, dann aber legte sie die Hand über die Augen und fuhr schwermüthig sinnend fort: „Und doch, Herr Graf, giebt es etwas, das auch er nicht begreifen wird, wie — wie ich es selbst kaum begreife-"
Susanne machte eine Bewegung, als ob sie einen Gedanken zu verscheuchen strebe, und sprach dann in ruhigem Tone weiter:
„Doch zu etwas anderem! Ich sehe, daß ich mich in Kiel werde einzurichten haben, obschon mir nach dem Vorgefallenen nichts schwerer sein kann, als dorthin zurückzukehren. Das ist's ja auch, was mich neben allem Uebrigen so sehr bedrückt. Ich werde keine Heimath mehr haben "
Susanne brach abermals ab und starrte vor sich hin.
„Und das Haus Ihres Freundes," wagte Snarre, dem der Augenblick für seine Werbung günstig schien, zu sagen, „das Haus, das Ihnen eine Zuflucht bot, die es Ihnen heute und immer bietet: dieses mein Haus — und das Ihrige, wenn Sie so wollen — vermöchte es nicht, Ihnen die Heimath zu ersetzen?"
Er suchte bei seinen Worten ihr Auge, sie aber sah ihn groß an und erwiderte mit ruhigem Ernst und einer Bestimmtheit, die ihn verwirrte: „Ich schwieg schon vorher, Graf Snarre, als Sie von einer Entbehrung sprachen, die Sie erleiden würden, wenn ich fortginge. Auch jetzt möchte ich lieber einer Antwort ausweichen. Sie wissen, daß ich Ihnen für Ihre Güte, namentlich für das zarte Wie Ihrer freundschaftlichen Hilfe von ganzem Herzen dankbar bin, und daß ich nicht zu den Naturen gehöre, die Menschen nur benutzen und sie nach Laune wieder abschütteln. Aber ich bitte, beschweren Sie mein Gemüth nicht durch neue Erregungen. Ich ergreife die Hand des Freundes," — Susanne betonte das Wort —- „und möchte sie halten dürfen fürs Leben!"
Sie streckte ihm ihre Rechte entgegen und erbat durch ihre Blicke, was sonst noch ihr Mund sprechen wollte. Und da beugte sich der Mann mit fast demüthiger Unterwerfung herab, berührte leise mit seinen Lippen ihre Hand und verließ langsamen Schrittes das Gemach.
„Wer ist da?" klang's schroff aus Richard Tromholts Munde.
„Peter Elbe aus Trollheide!" erwiderte die alte Marieken schüchtern und zog sich Zurück.
Nun trat der alte Mann mit den: langen Haar und der Jacke mit den silbernen Knöpfen in Richards Arbeitszimmer. Er sagte nichts, er verbeugte sich und blieb an der Thür stehen wie ein lebloses Bild.
„Was ist? Gutes oder Böses auf Trollheide? Es giebt genug von dem letzteren hier!" stieß Tromholt heraus und winkte den: Alten, sich niederzulassen.