57V
eine Regung des Bedauerns anuehmen kann. Brenckendorf ist ein so ausgezeichneter Soldat..."
„Aber er ist unmöglich geworden, Herr Graf, ganz unmöglich. ; Und überdies wird es an einem Pflaster für die Wunde nicht ! fehlen. Im Vertrauen gesagt, Seine Majestät hat ihm eine un- ! gewöhnlich hohe Ordensauszeichnung zugedacht — die erste Klasse ! des Rothen Adlers." j
„Ah, das ist allerdings eine königliche Belohnung seiner ^ treuen Dienste! Doch ich halte Sie auf, mein lieber Herr Oberst! Auf Wiedersehen!"
„Auf baldiges Wiedersehen, Excellenz! — Weiß der Himmel — es ist ja ein allerhöchster Auftrag, aber ich wünschte doch, daß ich erst um eine Viertelstunde älter wäre!" —
Aufrecht und straff, mit stolz erhobenem Haupte, begrüßte der General von Brenckendorf seinen neuen Besucher. Seine Miene war kalt und gefaßt; aber es war die Gefaßtheit eines Mannes, welcher bereit ist, den Todesstreich zu empfangen. —
-i-
Die Generalin und ihre Tochter hatten sich eben zu einem Besuch gerüstet, als der Herr des Hauses in das Zimmer trat.
„Es thut mir leid, daß Ihr auf den Spaziergang oder was Ihr sonst vorhabt, verzichten müßt," sagte er mit vollkommener Ruhe; „aber es ist hohe Zeit, die Vorbereitungen zur Reise zu treffen. Wir fahren morgen mit dem Frühzuge nach Groß-Hagenow."
„Wie? Nach Groß-Hagenow? Auf das Land?" fragte Ihre Excellenz in maßlosem Erstaunen. „Jetzt — mitten im Winter?"
„Es läßt sich nicht ändern," erklärte der General mit einer Bestimmtheit, welche seine Angehörigen kannten. „Ich glaube, der Schlag würde mich treffen, wenn ich nur noch einen einzigen Tag inmitten dieser jämmerlichen Lügengesellschaft zubringen sollte. Packt die Koffer, sage ich Euch! Ich lechze danach, die ehrlich dummen Gesichter unserer Bauern wiederzusehen!"
Fassungslos war die Generalin in einen Sessel gesunken.
„Nein, es ist ja nicht möglich! Was, um Gotteswillen, ist denn geschehen?"
„O, nichts von besonderer Bedeutung! Zwei kleine Ueber- raschungen, von denen Ihr die eine schon heute aus den Zeitungen erfahren könnt, während die andere erst in einigen Tagen zum Behagen unserer guten Freunde bekannt werden wird. Lothar hat sich mit einer Theaterprinzessin verlobt —"
„Mit Marie?" fiel ihm Cilly fast jubelnd ins Wort, nnd selbst der streng verweisende Blick ihres Vaters scheuchte das freudige Aufleuchten nicht von ihrem Gesicht. „O, es kann ja keine andere sein als Marie!"
„Lothar hat sich mit einer Theaterprinzessin verlobt," wiederholte der General mit vermehrtem Nachdruck, „und er hat es für angemessen gehalten, mich diese hübsche Neuigkeit zuerst aus den Spalten eines Klatschblattes erfahren zu lassen. Zum anderen: man hat mir den Abschied gegeben!"
„Den Abschied?" Die beiden Damen riefen es wie aus einem Munde. Das war allerdings eine Neuigkeit, die ihnen wie ein Märchen klingen mußte.
„Ja! Wenn auch nicht gerade mittels blauen Briefes wie einem überschuldeten Lieutenant. Aber es kommt im Grunde auf eins hinaus. Ich werde also aus Gesundheitsrücksichten um Enthebung von meinem Kommando bitten, der amtsmüde Kriegsminister von Reckenstein wird mein Nachfolger werden, und auf d»em Ministersessel wird unser ausgezeichneter, trefflicher Freund Hainried Platz nehmen, der ehrliche Mann, der an diesen Dingen natürlich so unschuldig ist wie Dein Bologneserhündchen."
„Ist es möglich? Ist es möglich?" jammerte die Generalin. „Und nun sollen wir nicht einmal morgen mehr das Essen bei dem österreichischen Botschafter mitmachen?"
„Nein! Wir werden mit englischem Abschied verschwinden, wie es gefallenen Größen ziemt. Mir graut vor der Theilnahme unserer lieben Freunde und vor ihren zärtlichen Erkundigungen nach dem Stande meiner erschütterten Gesundheit!"
Ihre Excellenz ergab sich seufzend in das Unabänderliche.
„Dann muß ich wenigstens die Köchin heute nach Groß- Hagenow vorausschicken. Wir können uns doch nicht morgen am Tische des Oberverwalters beköstigen lassen!"
„Entscheide diese wichtige Angelegenheit ganz nach Deinem Ermessen, meine Liebe," erwiderte der General mit leisem Spott,
„ich werde unterdessen die Anordnungen für die Erledigung der laufenden Dienstgeschäfte während meines Urlaubs treffen. Wenn Engelbert kommt, so sagt ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche. Und sorgt mir vor allem, daß die Abreise nicht irgend welcher Hindernisse wegen verschoben zu werden braucht! Ich habe einen Ekel vor allem, was mich hier umgiebt!"
„Mein armes, armes Kind!" klagte die Generalin fast weinend, als sie mit Cilly allein war. „Gerade diese Saison ließ sich so lustig für Dich au. Wie viel Bälle hättest Du noch mitmachen können und wie viel ausgezeichnete Mahlzeiten! — Und jetzt sollst Du auf das Land! Es ist eine furchtbare Grausamkeit!"
Cilly aber lachte fröhlich auf und umschlang den Nacken der Betrübten, so weit es bei dem Umfange desselben möglich war.
„Nein, es ist reizend, Mama, es ist himmlisch, und ich freue mich darauf wie ein Kind! Das Schönste aber ist doch, daß Marie und Lothar ein Paar werden sollen — ich könnte mich rein auf den Kopf stellen vor Vergnügen."
„Cilly! Cilly!" rief Ihre Excellenz entsetzt. „Wenn das Dein Vater gehört hätte! — Hast Du denn nicht gesehen, daß diese That Lothars ihn bis ins Herz getroffen hat?"
„Nein, Mamachen, davon habe ich wirklich nichts bemerkt. Glaube mir, im Grunde islls ihm ganz lieb so, wenn er sich das auch vielleicht heute und morgen selber noch nicht gestehen mag. Wenn man bei strotzender Kraft wegen erschütterter Gesundheit seinen Abschied nehmen soll, muß man wohl ein wenig knurrig und verbissen sein; aber ich wette, nach kaum drei Monaten ist der Papa zu der Erkenntniß gekommen, daß es doch im Grunde viel lustiger und behaglicher sei, den Gutsherrn auf Groß-Hagenow zu machen. Und dann, meine liebe, theure, einzige Herzensmama — dann wird sich auch alles andere finden!"
Sie küßte die verwunderte Herzensmama schallend auf den Mund und flog in ihr Zimmer, um mit eilender Feder einige kleine Briefchen zu schreiben: ihre überströmenden, jubelnden Glückwünsche für Lothar und Marie und zehn kurze Zeilen für Wolfgang Brenckendorf:
„Der Kriegsschauplatz ist verlegt; aber der veränderte Boden macht uns den Sieg gewiß. Wir haben Wind und Sonne für z uns, da kann's nicht mehr fehlen! Morgen früh geht's mit Sack und Pack nach Groß-Hagenow. Wenn ich Dir nicht binnen heut und einem halben Jahre telegraphirt habe: Komm! — so muß ich wohl inzwischen gestorben sein. Und dazu fühlt sich durchaus nicht aufgelegt Deine seelenvergnügte Cilly."
Während die Generalin sorgenvoll überlegte, was man bei einer so überstürzten Uebersiedelung zur ungünstigsten Jahreszeit morgen im Herrenhause zu Groß-Hagenow wohl werde auf den Tisch bringen können, sang und jubilirte es hell wie Lerchengezwitscher durch das Haus:
„Kein Fluß ist so tief, keine Mauer so hoch,
Wenn zwei sich nur gut sind, sie finden sich doch!"
Und diesmal wenigstens hatte sich das übermüthige Töchterchen des Generals als eine treffliche Menschenkennerin bewährt. Wohl wandelte Herr von Brenckendorf ein paar Wochen lang mit der Miene eines Menschenfeindes in den Gefilden seines prächtigen Besitzthums umher, und es hatte durchaus nicht den Anschein, als ob die reichlich gebotene Gelegenheit zum Anblick von Bauerngesichtern ihm die gehoffte Erquickung bereitete. Aber der Rothe Adlerorden und das überaus huldvolle königliche Handschreiben, welches bald in allen Zeitungen zu lesen war, konnten ihre heilsame Wirkung auf sein verbittertes Gemüth nicht verfehlen. Auch machte sich allgemach der Einfluß des zugleich vergnüglichen und bequemen Landlebens mit seinen großen und kleinen Jagdausflügen und seinem lebhaften Verkehr der Gutsnachbarn wohl- thuend fühlbar. Nach kaum zwei Monaten war der General frischer und heiterer als seit Jahren, und Cilly, die im Verkehr mit ihrem Vater ein bewundernswürdiges diplomatisches Geschick offenbarte, hatte in einer besonders günstigen Stunde den Muth, ihm mit allerlei vorbereitenden Umschreibungen ihr großes Ge- heimniß zu offenbaren. Es schmetterte sie durchaus nicht nieder, ja, es schien ihr nicht einmal unerwartet, daß der General mit einem schneidenden „Niemals!" alle ihre Hoffnungen auf seine Nachgiebigkeit im Keime zu ersticken gedachte. Ohne Thränen und ohne Widerspruch entschlüpfte sie seinem ersten, ziemlich heftig aufwallenden Zorn, und zu seiner geheimen Ueberraschung zeigte