Heft 
(1890) 34
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sie ihm später weder eine schmollende noch eine trübselige Miene. Aber bei der ersten passenden Gelegenheit lieferte sie ihm durch ein lachend hingeworfenes Wort den Beweis, daß ihr Sinn sich nicht im mindesten geändert habe. Der General gab sich den Anschein, als habe er es nicht bemerlt, denn Cillys heiteres Ge­sicht und ihr Helles Lachen waren ihm längst viel zu unentbehrlich geworden, als daß er sich ohne zwingende Noth der Freude an ihnen hätte berauben sollen. Und das nämliche Spiel wiederholte sich immer häufiger und immer offener, bis der General, fast ohne es selber zu bemerken, allgemach dahin kam, Cillys An­spielungen ohne jede Anwandelung von Aerger vernehmen zu können. Die vollständige Kapitulation aber hätte vielleicht doch noch eine geraume Weile auf sich warten lassen, wenn nicht rasch nach einander verschiedene Ereignisse.eingetreten wären, welche Seine Exeellenz wohl in gute Laune versetzen mußten.

Da war zunächst der Rücktritt des neuen Kriegsministers Grafen Hainried, welcher ihm eine nur schlecht verhehlte tief­innige Genugthuung bereitete. Der schmiegsame und liebens­würdige Generallieutenant hatte offenbar die besonderen Er­wartungen nicht erfüllt, welche man auf seine Talente gesetzt hatte; in einer schwierigen, parlamentarischen Klemme hatte er eine von der Regierung sehr peinlich empfundene Niederlage erlitten, und sein Abtreten vom Schauplatze der Öffentlichkeit gestaltete sich demgemäß zu einem viel weniger ehrenvollen, als es das des Generals von Brenckendorf gewesen war. Wenn es dem letzteren aber in diesem Falle aus naheliegenden Schicklichkeitsgründen nicht gestattet war, seiner Freude einen lauten Ausdruck zu geben, so entfiel dieser Zwang um so vollständiger der zweiten Neuigkeit gegenüber, welche Engelbert auf einem Urlaubsbesuche in Groß- Hagenow überbrachte. Der Dragoneroffizier hatte augenscheinlich nicht allzu schwer an dem Schmerz getragen, welchen die Auf­hebung seiner noch nicht einmal öffentlich verkündeten Verlobung mit der Gräfin Hainried ihm bereitet hatte. Er strahlte in Ge­sundheit, Schönheit und guter Laune wie nur je und platzte schon in der ersten Viertelstunde mit dem Bekenntniß heraus, daß Amors Rosenketten ihn abermals gefesselt hielten, und diesmal, wie er versicherte, unauflöslich und unzerreißbar. Die Besorgnih, welche sich bei dieser Erklärung auf dem Antlitz des Generals ausprägte, mußte wohl eine völlig unbegründete gewesen sein, denn nachdem ihm Engelbert in einer ernsthaften Unterredung unter vier Augen den Namen seiner Angebeteten genannt und über den Stand der ganzen Angelegenheit berichtet hatte, war der Herr Vater in der allerbesten Stimmung und ließ zur Mittagstafel die für besonders festliche Gelegenheiten aufgesparten, erlesensten Schloß­abzüge aus dem Weinkeller holen.

Schon hatte man bei der heiteren Mahlzeit in dem kleinen Familienkreise auf die verschiedensten Gesundheiten angestoßen, als Engelbert sich plötzlich an die Stirn schlug und ausrief:

Teufel, wie selbstsüchtig man doch wird, wenn man verliebt ist! Da vergesse ich wahrhaftig, daß ich noch etwas Besonderes zu erzählen habe. Lothar ist als Hilfsarbeiter in das Justiz­ministerium berufen worden, nachdem ihn der Minister auf Grund seiner Abhandlung über die moderne Strafrechtspflege zu einer langen Unterredung eingeladen hatte. Man spricht allgemein davon, daß er sein Glück machen werde."

Sowohl die Generalin als Cilly hatten, sobald Lothars Name zum ersten Male genannt worden war, etwas zaghafte Blicke auf das Antlitz des Hausherrn geworfen. Und in der That hatte sich etwas wie eine drohende Wolke auf der Stirn des Generals zu­sammengezogen. Aber ob es nun die Aussicht auf Engelberts glänzende Verheirathung, ob es die Wirkung der feurigen Schloß­abzüge oder der durch allen Groll hindurchbrechende Vaterstolz war, welcher diese Wolke verscheuchte genug, als Engelbert geendet hatte, sagte der General nach einem kleinen Räuspern:

Es soll mich freuen, wenn man die Wahrheit spricht. Und wie steht es zwischen Euch? Immer noch die alte Feindschaft?"

Gott bewahre! So was halt' ich nicht auf die Dauer aus. Ein hitziges Wort läuft einem Wohl ünal über die Zunge, und, hol's der Henker! gerade dann am leichtesten, wenn man am tiefsten im Unrecht ist! Im Unrecht aber bin ich damals mit der Marie gewesen, das läßt sich nun schon nicht leugnen, wenn's auch nicht angenehm ist, es einzugestehen. Und das fraß doch ein bißchen an mir herum, obgleich ich mir ja sagen konnte, daß sie nicht allzu lange gebraucht habe, um sich zu trösten. Hundertmal

war ich auf dem Wege zu threm Bruder, bei dem sie ja seit der Verlobung wohnt, um m'r meine Begnadigung zu holen, aber ich weiß nicht, wie es Zuging: vor dem Hanse gab's mir jedesmal einen innerlichen Ruck, so daß ich wohl oder übel wieder umkehren mußte. Und die Geschichte hätte sich vielleicht endlos hingezogen, wenn ich nicht eines Morgens in einer menschenleeren Allee des Thiergartens auf meinen Herrn Bruder gestoßen wäre. Wie er mich sah, macht» er ein Gesicht wie acht Tage Regen­wetter, und wir gingen aneinander vorüber, ohne uns zu grüßen. Aber nach drei Schritten gab es mir wieder so einen innerlichen Ruck, ich fuhr herum und

In den Armen lagen sich beide," deklamirte Cilly feierlich, und weinten vor Schmerz und Freude."

Na, das nun gerade nicht! Aber es mußte mir wohl auf dem Gesichte geschrieben stehen, was ich ihm gern gesagt hätte, und so streckte er mir denn seine Hand entgegen, noch ehe ein Wort zwischen uns gefallen war. Wir wandelten gemeinschaftlich weiter, und nach einer kleinen halben Stunde war zwischen uns alles wieder glatt und eben, wie sich's gehört. Seitdem ist keine Woche vergangen, daß wir nicht alle vier einen Abend oben bei Wolfgang gemüthlich verplaudert hätten, und ich versichere auf Ehre: wenn ich früher in Marie verliebt war, so habe ich heute einen beinahe ehrfürchtigen Respekt vor ihr. Das ist die rechte Frau für Lothar, und das Herz geht einem auf, wenn man die beiden so im Stillen beobachtet. Sie ist aufgeblüht wie ein Röslein, und in Lothar werdet Ihr den alten Brummbären und Stubenhocker auch schwerlich wiedererkennen."

Der General hustete und beschäftigte sich sehr angelegentlich mit seinem Teller. Cilly aber fragte anscheinend ganz unbefangen:

Und Wolfgang? Du unterhältst jetzt also freundschaftlichen Verkehr mit ihm?"

Gewiß! Ist ja trotz seiner demokratischen Schrullen ein prächtiges altes Haus, und es weiß ohnedies schon die ganze Welt, daß wir Vettern sind. Stößt sich aber niemand mehr daran, auch nicht unter den Kameraden! Halb Berlin hebt ihn wegen seiner Geschicklichkeit in den Himmel, und das Gold kann er nur so mit Scheffeln messen. Er hat mich übrigens beauftragt, meiner! verehrten Eltern die schönsten Empfehlungen und meinem Keben Schwesterchen die herzlichsten Grüße auszurichten."

Der General schwieg noch immer, aber er sah gar nicht so böse aus, daß man dies Schweigen hätte für ein schlimmes Zeichen nehmen müssen. Das Thema wurde dann nicht weiter berührt; aber als Engelbert am nächsten Tage von Eltern und Schwester in dem eleganten Landauer des Gutsherrn zur Bahnstation be­gleitet wurde, sagte der alte General Plötzlich:

In drei Wochen feiern wir ja den Geburtstag der Mama; wenn Du Deinen Bruder dazu mitbringen willst, Engelbert, so soll er mir herzlich willkommen sein."

Das ist ein Wort, Vater! Seit gestern liegt mir's auf dem Herzen, ohne daß ich den Muth hatte, damit herauszuplatzen. Aber eines muß ich doch auf jede Gefahr hin sagen: allein allein kommt er nicht!"

Nun, so soll er mit seiner Braut kommen! Ich denke, es ist Platz genug im Schlosse!"

Obwohl sie im offenen Wagen fuhren und obwohl rechts und links aus den Feldern die Tagelöhner an der Frühlingsbe­stellung waren, sprang Cilly doch aus den Polstern auf, um sich dem General an die Brust zu werfen.

O Du Herzenspapa! Aber ich wußte es ja, hier draußen würde sich alles finden!"

*

An dem nämlichen Tage empfing Wolfgang Brenckendorf ein Telegramm, welches nichts weiter enthielt, als das einzige Wörtchen:Komm!" > und wenn es auch nicht gerade der Schah von Persien war, den er im Stich lassen mußte, so nahmen es ihm doch einige seiner vornehmsten Kunden sehr übel, daß er sich genöthigt sah, in dringender und unaufschiebbarer Angelegen­heit plötzlich eine Reise anzutreten.

Der Empfang, welchen er auf Groß-Hagenow fand, war zwar ein wenig steif und kühl, doch von verbindlichster Höflichkeit, und nach Beendigung der fast einstündigen Unterhaltung, welche der General in seinem Arbeitskabinett mit dem Besucher hatte, schien auch- der Verkehrston ein wesentlich wärmerer geworden zu