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sein. Jedenfalls hatte Seine Excellenz nichts dagegen einzuwenden, daß Cilly ihrem Vetter ohne weitere Begleitung den Park und die Gewächshäuser zeigte, und als sich der Zahnarzt am Abend verabschiedete, sagte der Gutsherr von Groß-Hagenow beim letzten Händedruck:
„Was bleibt mir altem Manne anderes übrig, als mich besiegt zu geben! Auf frohes Wiedersehen denn, mein lieber Sohn!" —
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Während im festlich erleuchteten Speisesaale des Schlosses Groß-Hagenow die Gläser der Gäste aneinander klangen auf das Glück der beiden Brautpaare des Hauses Brenckendorf, trieb der laue Frühlingswind sein Spiel mit den jungen Grashalmen auf einem schmucklosen Grabe. Weder Kreuz noch Stein nannte den Namen desjenigen, welchen man vor Monaten da unten gebettet
hatte. Nur ein schwarzes Stäbchen war am Kopfende des Hügels in die Erde gesteckt, und es trug neben einer Zahl die Buchstaben I. H. — Nichts war da, was die Erinnerung an den armen Studenten aus Galizien auch nur für eine kurze Spanne Zeit hätte wacherhalten können im Gedächtniß der Menschen; die Spur seines Daseins war vertilgt und ausgelöscht, als hätte er niemals unter den Lebenden gewandelt.
Der Arm der irdischen Gerechtigkeit hatte ihn nicht mehr erreicht, um zu strafen, was er verschuldet. Er war vor einen Richter gerufen worden, von dem wir nicht wissen, wie schwer er die Sühne bemißt für unser Irren und Fehlen.
Das nur wissen wir, daß die kleinen Wiesenblumen auch über dem Haupte des Sünders blühen und daß die Nachtigall ihre sehnsüchtig süße Weise singt anch in dem Busch, der aus seinem Grabe sprießt.
WlÄtter und Wtüthen.
Wolksstimmerr über die Gründung des Deutschen Meichs. Wenige Monate nur trennen uns noch von dem zwanzigsten Jahrestage der Gründung des Deutschen Reiches. Das großartige Ereigniß ist tausendfältig gefeiert worden in Rede und Gedicht, und ein erhabenes Denkmal dort auf der grünen Höhe des Niederwalds legt in Stein und Erz vor den spätesten Geschlechtern Zeugniß ab von der überwältigenden Macht der Bewegung, welche die Errungenschaft der Jahre 1870 und 1871 in den Gemüthern des deutschen Volkes wachrief.
Die Germania auf dem Niederwald ist das stolzeste, das gewaltigste, das eindrucksvollste Erinnerungszeichen an jene große Zeit. Aber sie ist nicht das einzige! Allüberall drängte die gehobene Freudenstimmung über das Gewonnene zu einem sichtbaren Ausdruck. Von dem weithin das Land beherrschenden Standbild bis zur schlichten Gedenktafel an Baum oder Fels, an Haus oder Kirche ist ein weiter Abstand; und doch will es uns scheinen, als ob diese letzteren oft nicht minder eindringlich zum Herzen des nachwachsenden Geschlechtes sprächen und nicht minder ergreifend für die Tiefe der Empfindung unter den Zeitgenossen von damals zeugten, als die großartigen Schöpfungen der Kunst, zu denen die führenden Männer der Nation die erzgegossenen Sprüche ersonnen haben. Jene bescheidenen, oft vielleicht formlosen Aeußerungen, die ohne jeden andern Antrieb rein aus der Tiefe der mächtig berührten Volksseele geflossen sind, sie enthüllen dem wahrheitsuchenden Auge des Geschichtsforschers oft mehr als die Kundgebungen mehr oder weniger offizieller Kreise.
In unserer letzten Nummer veröffentlichten wir die Inschrift an einer alten Eiche bei Kram in Schlesien. Sie lautete:
„Wohl mehr als tausend Jahre zähl' ich schon;
Ich sah dereinst das Deutsche Reich erstehn;
Ich sah im Jahre sechs es wiederum vergehn.
Seitdem ich jüngst gesehn sein frisches Auferstehn,
Möcht' ich um keinen Preis es nochmals sehn im Untergehn.
Das walte Gott auf seinem ewgen Thron!"
Solche Inschriften haben wir im Sinne, wenn wir uns heute an alle unsere Leser mit der Bitte wenden, uns „Stimmen des Volkes über die Gründung des Reiches" sammeln zu helfen, die wir dann zum 18. Januar- Ei in der „Gartenlaube" der Oeffentlichkeit übergeben könnten. Ausdrücklich bemerken wir, daß die Inschriften an größeren künstlerischen Denkmälern hier bei Seite bleiben sollen; selbstverständlich fallen auch etwaige kurze Vermerke wie „Gestiftet zum Andenken an die Aufrichtung des Deutschen Reichs" oder dergl. weg. Das angeführte Beispiel zeigt am besten, was wir suchen.
Wir bitten, in der Abschrift des Textes, in der Bezeichnung des Gegenstandes, welcher die Inschrift trägt, sowie in allen etwa sonst zu machenden Angaben über Verfasser oder dergl. ja recht genau zu sein, damit keine Jrrthümer sich einschleichen.
Allen aber, die uns bei dem vaterländischen Werke behilflich sein werden, im voraus schon unseren herzlichen Dank! Die Redaktion.
Die elektrische Straßenbahn in Wremen. (Mit Abbildung S. 565.) Im Geburtslande der elektrischen Bahnen, im deutschen Vaterlande,* scheint man nunmehr der Anlage derartiger Bahnen ernstlich näher treten zu wollen. Aus Dresden, Halle, Berlin und verschiedenen anderen Orten wird gemeldet, daß der Ersatz der Pferde beim Straßenbahnbetriebe durch elektrische Motoren geplant sei und daß die Vorarbeiten dazu eingeleitet seien. Etwas langsam und bedächtig darf's schon gehen, das ist bei uns so Brauch! Die unternehmenden Amerikaner haben die Erfindung längst praktisch verwerthet, und von den in den Bereinigten Staaten bestehenden Straßenbahnen ist bereits mehr als ein Drittel für elektrischen Betrieb eingerichtet, so daß zur Zeit auf der stattlichen Länge von 1560 Kilometern (gleich der Entfernung Berlin-Moskau) über 1200 elektrische Motorwagen verkehren. In der Stadt Boston allein, wo die Straßenbahnen jährlich 110 Millionen Fahrgäste befördern, wird das ganze 480 Kilometer lange Straßenbahnnetz für den elektrischen Betrieb eingerichtet und am 1. Juli d. I. verkehrten bereits über 200 elektrische Wagen auf demselben.
Es ist nun naheliegend, daß die vielfachen Erfahrungen, welche man in Amerika mit dem elektrischen Bahnb triebe gemacht hat, bei unfern Neuanlagen verwerthet werden. So hat denn auch die Bremer Pferdebahngesellschaft bei der zur Erleichterung des Verkehres mit der „Nord
westdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung" dienenden elektrischen Bahn das System der amerikanischen Firma Thomson-Houston gewählt. Das Wesen der elektrischen Bahnen wird ja unfern Lesern wohl bekannt sein. Es besteht darin, daß au einer Centralstelle mittels irgend einer Kraftquelle, sei es Dampfkraft oder Wasserkraft, ein Stromerzeuger, auch „Elektromotor", oder „Dynamo" genannt, in Bewegung gesetzt wird, welcher die mechanische Kraft in elektrische Kraft umwandelt. Letztere läßt sich nun mit Leichtigkeit durch einen Leitungsdraht weiter leiten. Mit dem Leitungsdraht in Verbindung steht eine Reihe ganz ähnlicher, aber z kleiner Elektromotoren, welche die umgekehrte Aufgabe haben, den elektrischen , Strom wieder in mechanische Kraft zu verwandeln, die dann auf die ^ Achse des Wagens wirkt und diese in Umdrehung versetzt.
Die Maschinenstation der Bremer Anlage befindet sich auf dem Ausstellungsplatze; sie enthält eine vollständige Dampfmaschinenanlage für 150 Pferdekräfte, mit welcher der Stromerzeuger betrieben wird. Demnächst soll ein zweiter Stromerzeuger von derselben Leistungsfähigkeit zur Aufstellung kommen.
Der vom Stromerzeuger gelieferte Strom wird mittels eines Kupferdrahtes von reichlich 8 Millimetern Durchmesser über die Bahn geleitet. Wie unsere Abbildung zeigt, sind zu beiden Seiten der Bahn eiserne Pfosten aufgestellt, welche durch quer zur Bahnrichtung sich erstreckende Stahldrähte verbunden sind. Die Querdrähte dienen nur als Träger für den kupfernen Leitungsdraht, welcher mittels einer die Elektricität nicht leitenden Verbindung an denselben aufgehängt wird. Auf der Decke des Wagens ist eine Vorrichtung angebracht, welche den elektrischen Strom zu den unter den: Wagen angebrachten Dynamomaschinen leitet. Die Vorrichtung besteht aus einem beweglichen, durch eine Feder an den Kupferdraht angedrückten Arme, der sogenannten Kontaktstange, deren Ende mit einer Rolle versehen ist, welche beim Vorbeigleiten den Strom aus dem Drahte entnimmt. Die Rolle ist mit einer tiefen Rille versehen, damit die Berührung mit dem Kupferdrahte nicht verloren gehe.
Von dem elektrischen Strome werden nun die zu je einer Wagenradachse gehörenden Dynamomaschinen in Umlauf gesetzt. Da die Umdrehungszahl bei diesen Dynamo zweckmäßig groß gewählt wird und erheblich höher ist als die der Radachse, so muß noch eine Uebersetzung ins Langsame erfolgen, wozu Zahnräder verwendet werden. Die bisher in Gebrauch genommenen Wagen haben je zwei elektrische Motoren, deren jeder 10 Pferdekrüfte entwickeln kann.
Die elektrischen Wagen haben sich sehr schnell die Gunst des Publikums errungen und sind durchweg voll besetzt. Bei einbrechender Dunkelheit erstrahlt das Innere der Wagen im Lichte von fünf Glühlampen. Die Probefahrt am 21. Juni verlief so vorzüglich, daß sofort nach deren Beendigung die polizeiliche Erlaubniß zur Betriebseröffnung ertheilt werden konnte. Das Anfahren der Wagen geschieht unmerkbar, das Fahren ist geräuschlos, stoßfrei und rasch; besondere Anerkennung fand der wiederholt gelieferte Beweis, daß es möglich ist, den Wagen bei voller Geschwindigkeit, beinahe augenblicklich mit Hilfe des Stromumkehrhebels und der Bremsen anzuhalten. Nachmittags um 1 Uhr wurde der regelmäßige Betrieb mit drei Wagen eröffnet, und bis abends 10 Uhr waren bereits etwa 2500 Personen befördert.
Welch goldene Zeiten werden aber erst für den elektrischen Bahnbetrieb anbrechen, wenn es sich bestätigt, daß der langjährige Traum der Elektrotechniker, „Elektricität unmittelbar aus der Kohle zu gewinnen", nunmehr in Erfüllung gehen soll! Wie amerikanische Blätter berichten, ist die Lösung vor kurzem gelungen, und die erforderlichen Einrichtungen sollen so einfach sein, daß sie gar nicht einmal den Namen einer Maschine beanspruchen können. Daun genügt ein Ofen von der Größe eines SUlbenofens — und fort geht's, ohne Draht, über Berg und Thal. Vorläufig gilt für uns allerdings noch das Dichterwort: „Die Botschaft hör' ich wohl, allein nur fehlt der Glaube!"
Kirsch lodt! (Zu dem Bilde S. 569.) Hirsch — Schweißhund — das edelste Wild des deutschen Waldes — der edelste Hund des deutschen Jägers! C. F. Decker, der berühmte Düsseldorfer Jagdmaler, zeigt uns heute den Schluß einer Art von Hirschjagd, die früher ausschließlich im Hannoverschen betrieben wurde, die von hier aus aber mit dem Schweißhunde, einer specifisch hannoverschen Rasse, auch in einige andere Hirschreviere verpflanzt worden ist — das „Lanciren" des Feisthirsches.
Der hannoversche Schweißhund ist mittelstark, roth oder gestromt, ohne weiße Abzeichen, im Gesicht schwarz gebrannt und muß die Eigenschaft