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die Ehrenwache hielten. Der englische Gouverneur verliest den Artikel des Vertrags, in welchem die Abtretung Helgolands an Deutschland ausgesprochen ist, Staatssekretär von Boetticher übernimmt mit einer kurzen Ansprache die Insel in die deutsche Verwaltung — da, kaum hat er geendigt, wird neben der britischen Flagge die deutsche gehißt. Hochrufe und der Gesang „Deutschland, Deutschland über alles" begrüßen sie, und beide Wimpel flattern einträchtig nebeneinander bis Sonnenuntergang; dann werden sie beide eingezogen, die englische, um nicht wieder emporzusteigen. Die Vertreter beider Staaten aber haben sich inzwischen im Konversationshause zum sestlichen Mahle zusammengefunden, feierliche Tischreden geben der Bedeutung dieses sriedlichen Besitzwechsels geziemenden Ausdruck und feiern die vertragfchließenden Souveräne — dann aber verläßt der englische Gouverneur die Insel unter dem Donner der Geschütze von den beiderseitigen Kriegsschiffen, sein Amt auf Helgoland ist zu Ende.
Das war der amtliche Theil der Uebergabe. Am andern Morgen hat sich das Bild verändert. Noch in der Nacht ist ein stattliches deutsches Geschwader auf der Höhe von Helgoland eingetroffen. Als die Sonne emporsteigt, da umlagern acht Panzerschiffe und verschiedene andere große deutsche Kriegsfahrzeuge nebst der Torpedoflotte die Südseite der Insel. Ober- und Unterland haben über Nacht ein Festgewand von Kränzen und Fahnen angelegt, am Ausgang der Landnngsbrücke ist an schlanken Flaggenmasten die riesige Willkomminschrift aufgehängt: „Helgoland grüßt Dich, Kaiser!" Schon von Tagesanbruch an haben die Kriegsschiffe Mannschaften ausgeschifft, Abtheilung auf Abtheilung, die strammen, in ihrer kleidsamen Tracht so prächtig anzuschauenden Offiziere der Marinetruppen führen sie hinauf nach dem auf dem Oberlande befindlichen Paradeplatze; schließlich sind's im ganzen an 3000 Mann, mehr als die Insel Einwohner hat. Immer lebhafter, bunter, fesselnder wird das Bild. Das Seebataillon mit feinem Musikcorps nimmt an der Landungsbrücke Aufstellung und bildet Spalier.
Eine neue Bewegung. Die Helgoländer Jungfrauen, die den Kaiser begrüßen wollen, nähern sich der Brücke. Es sind fünfzehn bildhübsche junge Mädchen in ihrer ebenso eigenartigen als kleidsamen Tracht. Den Kopf bedeckt eine bunte, perlengestickte, kleine Mütze nach Art der altdeutschen Schaube, von dem Rande derselben fällt eine breite weiße Spitze über Stirne und Kopf, das Antlitz reizvoll umrahmend. Ein faltiger seidener Rock läßt hinten das grellrothe, mit gelber Borde eingefaßte Unterkleid frei. Ein Helles buntfarbiges Tuch bedeckt die Schultern, an den aufgebauschten Aermeln spielen große silberne Anhängsel. Der Hals trägt einen silbernen Schmuck, einer breiten Brosche gleich, in der Herzen und kleine Fische durch eine Fülle filigranartig gehaltener Figuren zusammengefaßt sind, meist ehrwürdige Familienerbstücke von hundertjährigem Alter.
Es ist zehn Uhr geworden, ein schöner Sonntagmorgen lagert über der Insel und den Tausenden der Harrenden. Da plötzlich, wie mit einem Zanberschlage, geht über die Toppen der deutschen Kriegsschiffe der Flaggenschmuck, die Kanonen des ganzen Geschwaders öffnen ihre Schlünde, ein Donnern und Dröhnen, als ob die Welt untergehen sollte! Es ist der Gruß der Flotte an ihren Kaiser, der auf der „Hohenzollern" herandampft, gefolgt von der „Irene", die den kaiserlichen Bruder, Prinz Heinrich, trägt, und von zwei Torpedobooten. Er nimmt die Flottenparade ab, dann umfährt auch die „Hohenzollern" wie Tags zuvor die „Victoria" die Insel, und endlich, eine Stunde nach jenem Gefchützgruß, löst sich von der lästerlichen Jacht ein von 12 Matrosen gerudertes Boot, es nähert sich der Landungsbrücke, alles nimmt seine Plätze ein und setzt sich in Positur, die Truppen präsentsten, Musikklänge, Hurrahrufe — der Kaiser hat die Brücke betreten und schreitet dem Lande zu.
Da wird ihm eine sinnige Huldigung. Aus der ihn umgebenden Menge der Empfangenden, der Beamten, die ihre Meldungen erstatten, der Helgoländer Bürger, die ihren neuen Landesherrn begrüßen, tritt auf einmal die anmuthige Gestalt eines Mädchens: es ist die Sprecherin der Helgoländer Jungfrauen, Fräulein Buse, und unter schlichten herzlichen Gedichtworten überreicht sie dem Kaiser ein kleines Wunderwerk aus Blumen — eine kunstvolle Nachbildung der Insel, ihrer Häuser, Thürme,
Felder, des umgebeuden Meeres rc. — alles aus Blumen. Sie bittet ihn, er möge auch dem kleinsten und jüngsten Theilchen seines Reichs Schutz und Gunst angedeihen lassen. Dankend reicht er ihr die Hand, und jetzt — neue Hurrahrufe, neue Musikfanfaren und noch einmal dröhnender Geschützdonner — Kaiser Wilhelm II. hat den Fuß auf den neugewonnenen Boden Helgolands gesetzt!
Sofort geht's hinauf nach dem Oberlande. Ein beinahe lebensgefährliches Gedränge entsteht, denn die Straßen von Helgoland sind eng und eine einzige Treppe führt vom Unterlande hinauf nach der Felsenplatte. Bei dem Leuchtthurme hat das Militär ein Viereck gebildet, umgeben von einer tausendköpfigen Menge, und alsbald beginnt der Gottesdienst unter freiem Himmel. Er ist die Einleitung und Vorbereitung zu dem feierlichsten Akte der Einverleibung, der Verlesung der kaiserlichen Proklamation an die Helgoländer. Der Kaiser begrüßt darin seine neuen Unterthanen, die „auf friedlichem Wege in das Verhältniß zum deutschen Vaterlande zurückgekehrt sind, auf welches die Geschichte, die Lage und die Verkehrsbedingungen der Insel Hinweisen," und die „durch Gemeinschaft des Stammes, der Sprache, der Sitten und Interessen den deutschen Brüdern von jeher nahe gestanden haben." Er sichert ihnen und ihren Rechten seinen Schutz und seine Fürsorge zu, eine wohlwollende und umsichtige Verwaltung und möglichste Erleichterung des Uebergangs, indem das lebende Geschlecht von der Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht im Heer und in der Flotte befreit bleiben soll. „Mit Genugthuung," so schließt die Proklamation, „nehme ich Helgoland in den Kranz der deutschen Inseln wieder auf, welcher die vaterländische Küste umsäumt. Möge die Rückkehr zu Deutschland, die Theilnahme an seinem Ruhme, seiner Unabhängigkeit und Freiheit Euch und Euren Nachkommen zu stetem Segen gereichen! Das walte Gott!"
Als der Minister von Boetticher die Proklamation zu Ende gelesen hatte, da glaubte man, der ganze Akt sei nun vorüber. Aber nein! Noch einmal trat der Kaiser vor und hielt selbst noch die folgende Ansprache :
„Kameraden der Marine! Vier Tage sind es her, daß wir den denkwürdigen Tag der Schlacht von Wörth feierten, an dem unter meinem hochseligen Großvater von meinem Herrn Vater der feste Hammerschlag zur Errichtung des neuen Deutschen Reiches geführt wurde. Heute nach 20 Jahren verleibe ich diese Insel als das letzte Stück deutscher Erde dem deutschen Vaterlande wieder ein, ohne Kampf und ohne Blut. Das Eiland ist dazu berufen, wie ein Bollwerk zur See zu werden, den deutschen Fischern ein Schutz, ein Stützpunkt für meine Kriegsschiffe, ein Hort und Schutz für das deutsche Meer gegen jeden Feind, dem es einfallen sollte, auf demselben sich zu zeigen. Ich ergreife hiermit Besitz von diesem Lande, dessen Bewohner ich begrüßt habe, und befehle zum Zeichen dessen, daß meine Standarte und daneben die meiner Marine gehißt werde."
Unter dem Salut der Jnselbatterien und sämmtlicher Schiffe wird der Befehl des Kaisers vollzogen (vergl. die Abbildung S. 597).
Jetzt übergiebt eine Abordnung der Helgoländer dem Kaiser, gleichsam als Antwort auf dessen Proklamation, eine Huldigungsadresse; die Helgoländer „blicken in Freudigkeit der Zeit entgegen, welche mit der vom Kaiser ausgesprochenen feierlichen Besitzergreifung der Insel für sie anbricht". „Die von Ew. Majestät kundgegebenen Verheißungen erfüllen uns mit den Gefühlen ehrfurchtsvollen Dankes und der unwandelbaren Zuversicht, daß es unter Ew. Majestät erhabener Regierung uns gelingen werde, durch Erfüllung des von uns hiermit abgelegten Gelöbnisses der Treue uns als Ew. Majestät gehorsame Unterthanen zu erweisen."
Ein Vorbeimarsch der Truppen schließt endlich den festlichen Vorgang. Dann zerstreut sich das Volk, soweit das bei der räumlichen Ausdehnung der Insel möglich ist; Kaiser Wilhelm aber versammelt im Gouverneurshause eine auserlesene Gesellschaft, darunter auch die Vertreter der Helgoländer, die feierlichen Trinksprüche folgen sich rasch, denn des Kaisers Zeit ist gemessen. Ein Viertel vor fünf Uhr, ziemlich genau vier Stuuden nach der Landung, dampfte die „Hohenzollern" wieder ab, der große Tag des deutschen Helgolands ist vorüber. K. H.
(9. Fortsetzung.)
Gin Wann.
Roman von Kevnrann Heiverg.
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ach einer kurzen Pause nahm der Graf das Gespräch wieder auf. „Aus Ihrem Vorschläge, lieber Tromholt," erklärte er mit fast plumpem Freimuthe, „würde weder etwas Gutes für Ihren Schwager, noch für Sie, noch für mich entstehen. Offen gestanden, wir haben uns beide bezüglich der Fähigkeiten Altens, einer solch verwickelten Sache vorzustehen, geirrt. Ihr Schwager ist, abgesehen von seinen sonstigen liebenswürdigen Eigenschaften, fleißig, ehrlich und gewissenhaft, aber ihm fehlt die rechte Uebersicht, die nöthige Fähigkeit zu einer planmäßigen Leitung und vor allem die Ruhe und Besonnenheit, die einen Tromholt auszeichneten. Wir passen auch sonst nicht zusammen, wir sind zu verschiedene Naturen, und ganz unumwunden gesprochen, wenn ich Besitzer von Limforden bleiben sollte, wäre unser Zusammensein doch nicht von Dauer. Ich habe Veranlassung, zu glauben, daß auch Herr von Alten mit mir nicht zufrieden ist und sich nach einer Veränderung sehnt. Will
er seinen früheren Posten als Gutsinspektor wieder übernehmen, habe ich nichts dagegen. Als solcher paßt er, und unser Verhältniß wird dann auch wieder ein anderes, besseres."
Tromholt hatte in deutlicher Bewegung den schwarzen Bart gestrichen; es regte sich in ihm bei der Liebe, die er für Alten empfand, etwas wie Unmuth gegen Snarre, der denselben in so schonungsloser Weise preisgab. Aber das war doch nur vorübergehend. Er mußte zugeben, daß Snarres Auseinandersetzungen eine anerkennenswerthe Aufrichtigkeit bekundeten, die dem Manne zur Ehre gereichte und der einmal bestehenden Sachlage durchaus angemessen war. Künstliche Verhältnisse soll man nicht aufrecht erhalten wollen, und daß Alten als Durchgänger sich nicht immer im Zaum zu halten verstand, das wußte Tromholt.
Er ging deshalb vorläufig nicht weiter auf den Gegenstand ein, sprach nur in höflicher Weise sein Bedauern aus, daß der