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als Morgengruß, Rosen von einer Farbenpracht und Schönheit, wie selbst Annie, das verwöhnte Prinzeßchen, sie noch nicht gesehen hatte. Die prachtvollsten Dinge, die er auf seinen Reisen eingekanft hatte, sandte er ihr — schwere Seidenstoffe mit Gold durchwebt, feine indische Shawls, kostbare Fächer, Trinkgläser, Tischdecken, venetianischen Schmuck, ganze Stöße der schönsten Ansichten und Bilder — — es sah wie in einem Bazar bei Annie aus, und die Freundinnen kamen oft mit lachenden Gesichtern, sich die „Ausstellung" an- znsehen, um die sie die Besitzerin heimlich doch ein klein wenig beneideten. Sie kamen aber nur, wenn der Verlobte nicht da war, vor dem sie insgesammt eine gewisse Scheu empfanden; er war so ernst, so steif und förmlich, so ganz anders, als man sich Annie Gerolds dereinstigen „Schatz" vvrgestellt hatte! Aber freilich — er überschüttete sie mit Geschenken, hatte ihr Diamanten verehrt, wie sie nur Millionärinnen zu tragen pflegten ... da mußte man doch annehmen, daß er sie liebte, daß er auch, wenn er sie allein hatte, zärtlich mit ihr war!
Ob er sie liebte! Ob er zärtlich mit ihr war! —- In Annies Seele stritten sich Schmerz und Stolz um die Herrschaft miteinander, wenn sie sich immer wieder sagte: „Keiner kennt ihn, wie ich ihn kenne! Von seinem wahren Wesen weiß nur ich ganz allein zu sagen!"
Schmerz, weil es ihr weh that, ihn so verkannt zu sehen, in den Blicken, in den Mienen ihrer Umgebung zu lesen, daß man ihn für empfindungsarm und unzugänglich hielt — Schmerz, weil er es nicht verstand oder nicht verstehen wollte, sich auch nur einen einzigen der ihr lieben und nahestehenden Menschen zu gewinnen —- und wiederum war sie stolz darauf, daß dieser Mann ihr alleiniges Besitzthum war, daß er sich ihr so ganz erschloß, so ganz hingab — daß für andere nichts weiter übrig blieb. —
Brautzeit — du selige Zeit! Wenn Annie Gerold an ihrem Fenster saß, dann fühlte sie es genau, wenn er kam, wußte es gewiß, noch ehe sie einen Schatten von ihm sah! Mit versagendem Herzschlag, mit stockendem Athem, wie gelähmt vor Glück saß sie da, die Hände in: Schoß, bis sie die Kraft gewann, sich vorzubeugen, hinauszusehen, einen Gruß zu nicken und dann ihm entgegenzustürmen und dem Geliebten in die Arme zu fliegen, der sie ungestüm an sich Preßte, als habe er sie wochenlang entbehrt, und ihr abgebrochene Laute der Liebe, der Sehnsucht, des Entzückens ins Ohr flüsterte. —
Ost aber, oft, selbst wenn sie das ersehnte Alleinsein miteinander genossen, mitten in seine leidenschaftlichen Liebkosungen hinein, fiel ein Wort — ein Blick — eine Gebärde, die sie heimlich erstaunen ließ . . . staunen ließ wie damals, als er ihr an jenem herrlichen Maitage im Park von Heinrichslust gestanden hatte, er habe auf alles Glück verzichtet, er besitze kein Recht darauf, und nun habe er sich selber sein Wort gebrochen. Damals, im Rausch und Taumel des ersten überraschenden Glücks- stnrmes, hatte Annie sich innerlich flüchtig darüber verwundert und sich gefragt, was das wohl zu bedeuten habe — dann hatte sie nicht mehr daran gedacht und würde es vielleicht vergessen haben, wenn nicht er selber dafür gesorgt hätte, daß sie dies nicht konnte.
Wieder, immer wieder dieser gequälte, sich selbst anklagende Blick zu dem Ausruf: „Ich verdiene Dich nicht! — Ich stehle mir mein Glück! — Ich habe kein Recht auf Deine Liebe!" — Diese Demuth des stolzen Mannes Hütte Annie beglücken können, wenn sie gesehen haben würde, daß er selber darin glücklich sei >— aber das sah sie nicht! Ein Schatten war da und verschwand und kam wieder, und Annie war viel zu klug und liebte den Mann ihrer Wahl viel zu tief, um sich nicht darüber klar zu werden, daß es wohl in ihrer Macht stand, diesen Schatten für den Augenblick durch ihr Lachen, ihre Rede, den ganzen Zauber ihres Wesens, das so mächtig auf ihn wirkte, zu verscheuchen — nicht aber, ihn für immer zu bannen. Kleinliche weibliche Neugier lag ihr ganz fern, und hier, wo sie mit ihrem ganzen Herzen liebte und vertraute, zu fragen, widerstrebte ihr durchaus, wie sie bereits ihrer Schwester Thekla gestanden hatte. „Wenn er es für gut befindet, wird er es mir freiwillig sagen, was ihn quält!" dachte sie bei sich.
Aber er sagte es ihr nicht. -—
Ein lauer, feuchtwarmer Juninachmittag war's, es drohte stark mit Regen, und so konnte das Brautpaar keinen Spazier
gang unternehmen. Delmont war das angenehm; er liebte es nicht, sich „dem Volke zu zeigen", geflüsterte Bemerkungen, verstohlene Blicke aufzufangen und sich von hundert Augen begafft zu sehen, wenn er mit der schönen Braut am Arm einherging. In Heinrichslust gab es allerdings versteckte Plätze, einsame Pfade genug, und beide liebten den Park jetzt doppelt, seit sie in ihm ihr Verlöbniß gefeiert . . . aber bis dort hinaus war es ein weiter Weg.
So wandelten sie denn im Geroldschen Garten langsam auf und nieder. Die Obstbäume hatten abgeblüht, aber der Flieder hing in schweren lila und weißen Trauben nieder — süßduftende Marechal Niel-Rosen und herrliche Malmaisons hatten die lieblichen Kelche aufgeschlossen, und die Beete waren besäet mit den ersten Blumen des Früh sommers.
Schwer hing der Blumenduft in den stillen Lüften. Am Himmel stand ein Gewitter — die Vögel flogen unstät vorüber, die Bienchen hatten aufgehört zu summen. Da und dort taumelte noch ein verspäteter Schmetterling über das niedere Gesträuch, und in langen Zwischenräumen schluchzte eine Nachtigall ihr sehnsüchtiges Lied in den vergehenden Lenz hinaus. Von der nahen Lukaskirche tönte regelmäßig feierliches Glockengeläut — eine Sterbeglocke war's. Ein vereinzelter Sonnenstrahl blinzelte noch einmal grell, wie jählings aus dem Schlaf aufgeschreckt, vom umdunkelten Himmel herab, aber alsbald zogen schwere Wolken drüber weg und erstickten ihn.
Annie war es ein wenig beklommen zu Muthe, obschon sie das Gewitter nicht fürchtete. „Wenn's nur schon vorüber wäre!" dachte sie, machte sich von Delmonts Arm los, hob sich auf die Fußspitzen empor und langte mit ausgestreckten Händen nach einer besonders schönen, frisch aufgebrochenen weißen Fliedertranbe, die sie für Thekla mit hereinnehmen wollte.
„Bitte, Liebstes, bleib' so, wenn Dich's nicht zu sehr ermüdet ^— nur für wenige Minuten, ich bitte Dich!" rief Delmont hastig und dringend, während er rasch sein kleines Skizzenbuch aus der Brusttasche riß.
Das junge Mädchen gehorchte lächelnd. Sie war es schon gewöhnt, daß ihr Verlobter urplötzlich, unvermittelt irgend eine Stellung, einen Ausdruck, eine Gebärde von ihr auf dem Papier festzuhalten wünschte, und er besaß mindestens schon ein Dutzend dieser hastigen, flüchtigen Bildchen von ihr, in fliegender Eile mit dem Stift hingeworfen, oft nur mit einigen Strichen, die er dann später daheim in Muße sorgsam auszuführen pflegte.
„Deine Schönheit ist meine Verzweiflung!" hatte er zuweilen ausgerufen. „Ich kann mich nicht in Ruhe ihrer erfreuen - - immer tritt der Künstler zwischen mich und mein Gefühl und verlangt gebieterisch sein Recht. Meine Augen können sich nicht satt trinken an dieser ungekünstelten Grazie, dem holdseligen Umriß der ganzen Gestalt, dem Spiel der marmorschönen Hände. Ach, und der Augenaufschlag — das köstliche Lächeln — das Abwenden des Köpfchens — jede Bewegung, so, gerade so des Meißels, des Pinsels würdig — es ist zum Entzücken und zum Verzweifeln!"
Und Annie lachte dann und freute sich ihrer jungen Schönheit, aber es war eine unbefangene und eine selbstlose Freude; es war ihr lieb, daß er sie so schön fand.
Auch jetzt stand sie geduldig still, die zart gerundeten Arme hoch erhoben, die Last des überreich blühenden Zweiges zu sich niederziehend. Sie trug ein Kleid von gelblich weißem Batist, reich mit Stickereien verziert, und keinen Schmuck weiter als ein paar von den wundervollen weißen und rothen Rosen, die ihr Verlobter ihr heute früh geschickt hatte.
„Armes, süßes Lieb! Wie anspruchsvoll ich bin! Noch einen Augenbick — ich beeile mich schon! Weißt Du, ich fürchte, ich werde in Zukunft zu den Malern gehören, die nicht umhin können, auf jedem neuen Bilde ihre Frau anzubringen!"
„O Karl! Denk' doch einmal an Deine -rastende Karawane', die Du jetzt fertig malst -— und unter all den Arabern ich mitten darunter!"
„Es sind ja auch Europäer dabei! Aber freilich, nein, auf dem Bilde ginge es nicht an! Die Figuren sind in zu kleinem Maßstab angelegt — wer bekäme da einen Begriff von Deinem liebreizenden -Gesicht, von allein, was —"
„Du hörst jetzt gleich auf, mir Komplimente zu sagen, oder ich lasse den Fliederzweig los!"