Heft 
(1890) 47
Seite
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Um Himmels willen, nein! Aber Komplimente? Ich und Komplimente! Das Wort nimmst Du zurück!"

Und wenn nicht?"

Dann setzt es eine fürchterliche Strafe. Hörst Du den Donner in der Ferne?"

Ich höre ihn!"

Fertig! So! Mein süßes, engelsgutes, geduldiges Herz! Wie Du mir stillgehalten hast! Bist Du sehr müde? Komm zu mir so und nun schilt mich! Schilt mich'tüchtig aus!"

Er hatte sie am sich gezogen und küßte sie wieder und wieder. Sie sah mit schelmischen Augen zu ihn: auf, befreite sich endlich aus seinen Armen, fuhr ihm mit der weißen Fliedertraube neckisch über die Augen und rief lachend:

Ich soll schelten, und Du lassest mich nicht einmal zu Wort kommen! Uebrigens weiß ich gar nicht, warum ich mit Dir so geduldig bin das ist sonst keineswegs meine Stärke. Thekla wirft mir manchmal vor, daß ich keine rechte Stätigkeit in mir habe. Jetzt zeig' einmal die Skizze her!"

Aber, mein Herz, es sind ja nur ein paar Striche!"

Du zeigst die Skizze her! Ich will sie sehen, Deine paar Striche!"

Sie wußte, wie sehr er diesen scheinbaren kleinen Trotz an ihr liebte.

Nun denn Du kleiner Eigensinn! Zufrieden

wie?"

Ach, wie hübsch!" rief sie naiv. Und hübsch war's auch, das kleine, rasch hingestrichelte Bildchen der anmuthigen Gestalt, des reizenden Profils und der nickenden Fliederbüsche.

Das Gewitter zieht näher komm, Liebster, wir müssen hinein!"

Er that, als hörte er nicht, und drückte seine Lippen auf ihre sammetweichen Handflächen; vereinzelte Regentropfen begannen zu fallen. Aus demNnßgang", so genannt, weil die hoch und kraftvoll emporstrebenden Haselnußstauden sich oben zu einem Dach verschlangen, kam der alte Lamprecht mit einer riesigen Gartenschere, die große derbe Schürze mit abgeschnittenem Grün­zeug angefüllt; der alte Mann blieb neben dem Brautpaar stehen und zeigte mit der Gartenschere nach dem Himmel.

's giebt gleich was Ordentliches! Vögelchen sollte man laufen, daß es hineinkommt!"

Annie nickte ein zerstreutesja, ja", und Delmont hörte überhaupt nicht er war gerade damit beschäftigt, Annie ein paar Narzissen ins Haar zu stecken. Der Alte blieb noch ein Weilchen stehen und besah sich das Paar, dann, da die Regen­ttopfen immer dichter auf seinen kahlen Scheitel Herabstelen, lief er kopfschüttelnd davon.

Drinnen im Gartenzimmer dasselbe hatte zwischen den beiden Fenstern eine Flügelthür mit bunten Glasscheiben, die im Sommer gewöhnlich offen stand und mit drei Stufen in den Garten führte - saß Thekla und wollte eigentlich Fenerbach studieren. Aber das konnte sie nicht, denn erstens fing es an, im Zimmer finster zu werden, so daß das Lesen ihr die Augen angriff, und zweitens war sie mit ihren Gedanken nicht bei den Fenerbachschen Lehr­sätzen, sondern bei dem Brautpaar, das sie von ihrem Platz aus beobachten konnte.

Davon hat er natürlich keine Ahnung!" dachte sie.Er würde sonst nicht so zärtlich mit Annie sein in meiner Gegen­wart küßt er ihr ja kaum einmal die Hand sonderbarer Heiliger, der er ist! Nun hat er sie wiedereinmal gezeichnet und Werth ist sie es freilich mein schönes, süßes, geliebtes Kleinod! Himmel, wenn er sie nur glücklich macht - ich will ja gern' in den Hintergrund treten und gar nichts mehr von ihr haben . . . Gern? Und gar nichts mehr von ihr haben? Das ist nun geradezu gelogen und ich will ein Philosophenzögling sein! Ich hänge ja mit meinem ganzen Herzen an diesem Kinde ich weiß einfach nicht, wie ich ohne dasselbe leben soll! Das macht, sie hat mich verwöhnt immer war sie um mich ... für Auge, Herz und Geist die richtige Erfrischung! Und sie würde auch weiter mein Kind bleiben, wenn auch erst in zweiter Linie, sie hat mir's ja gesagt: wer so glücklich sei wie sie, habe doppelte Liebe und Zärtlichkeit für seine Nächsten und Thenersten im Herzerc; ich glaube es ihr auch, sie ist so köstlich wahr aber er, er! Er leidet es ja nicht, daß sie andern, denen sie bis dahin ganz gehörte, auch nur ein Almosen von dem Neichthum

sperrdet, den er besitzt . . . ganz und gar will er sie für sich haben, mit jedem Gefühl, jedem Gedanken eirr rechter, echter selbstsüchtiger Mann! O mein Vögelchen mein Liebling! Wie sie spät abends, wenn er fort ist, noch zu mir hereinschlüpft und durch doppelte Zärtlichkeit alles wieder gutzumachen strebt, was sie tagüber versäumen mußte! Sie liebt ihn ja wunderbarem weise! und ist für jetzt sehr glücklich! Aber wird das Glück Dauer haben, wenn er das freie, lustige Bögelchen so ganz in den Käfig sperrt, wenn es immer nur für ihn da sein muß und für niemand sonst? Und neulich sprach er gar von Fortziehen, so ganz beiläufig nur, als wär' es das selbstverständlichste Ding von der Welt ... ich glaube, mein Herzschlag setzte aus vor Schreck! Ich bin ja hilflos, bin gelähmt, kam: nicht fort von hier! Alles, alles könnte ich ertragen nur die Trennung nicht! Wie grausam wäre das! Er müßte es doch bedenken, daß mir das Herz in Stücke gehen müßte das Herz, an dem ich mein Goldkind hielt, als es seinen ersten Schrei that! Aber freilich, was fragt er nach mir!"

Um Theklas Lippen zuckte es bitter, und mit finstern Augen starrte sie in den rasch sich verdunkelnden Garten hinaus.

Wissen möchte ich nur," dachte sie weiter,ob er wohl unserem Vater gefiele, ob der mit Annies Wahl zufrieden wäre! Freilich, in den Weg hätte er ihr nichts gelegt, sie hätte volle Freiheit behalten! Aber ich denke immer, nach seinem Herzen wäre dieser Mann nicht gewesen. Oft starrt er so weltvergessen vor sich nieder, als sähe er etwas Schreckliches und sieht er Annie, wenn er sich unbeobachtet glaubt, nicht zuweilen an, als wollte er ihr etwas sagen etwas eingestehen- und fände nicht den Muth dazu? - Das aber mag Einbildung von mir sein, weil weil ich ihn nun einmal nicht mag! Ja, ja, das ist die Wahrheit, und die gesteh' dir nur ganz ehrlich, meine Seele! So traurig es ist für so geradezu unmöglich ich es früher gehalten hätte: ich mag den Verlobten meiner Annie nicht durchaus nicht! . . . Und da fängt es nun in allem Ernst an zu regnen, und er bringt sie nur nicht herein, läßt sie draußen im Regen stehen! Sie standen doch eben noch dortjetzt sind sie nicht mehr zu sehen; wo ist er mit ihr geblieben? Das ist doch unverantwortlich!"

Und Thekla ergriff den rechts neben ihr hängenden Klingel­zug und läutete Sturm.

Agathe, die athemlos, mit schiefgerückter Haube, ans ihrem Stübchen herbeieilte, und Lamprecht mit seiner Schürze voll Grün­zeug und der langen Schere erschienen gleichzeitig in dem Garten' z immer.

Lamprecht, wo in aller Welt bleibt das Brautpaar? Es regnet ja, was es kann!" rief Thekla ihm zu.

Ha, Fräulein Thea, das kommt noch ganz anders es wird gleich platzregnen, und 'n Stück drei, vier Gewitter stehen parat am Himmel, ich Hab' sie gezählt, immer eins hinter'm andern! Ich werd' man hier die Glasthür hübsch znmachen, sonst kriegen wir den ganzen Himmelssegen auf das Parkett und den Rollstuhl schieben wir auch beiseite!"

Aber Alter, nun red' nicht!" rief seine Frau ärgerlich. Unser Bögelchen! So red' doch 'mal! Das kann doch nicht im Guß draußen bleiben!"

Ja, was das Vögelchen ist" Lamprecht schloß sorgsam die Thür und rollte Theklas Sessel vor das rechtsgelegene FensterHab' ich ihm nicht gesagt, daß es regnete, - und konnte es das nicht auch sehr gut fühlen, wenn es bloß gewollt hätte? Aber du liebe Zeit! Läßt sich Narzissen in die Haare stecken und sieht mich an, ganz abwesend und verschmachtet, und sagt ,ja, ja' und er sagt nichts und sie retiriren sich beide in den Nußgang hinein. Die" hier that Lamprecht so, als sei er der erste Verkündiger einer Thatsache, auf die vor ihm noch nie ein Mensch gekommen wardie sind verliebt das sag' ich! Und da kommen sie gelaufen, was sie nur immer können!"

Er riß die Glasthür sperrangelweit auf und tomplimentirte das Brautpaar mit sehr vorwurfsvollen Blicken herein.

Annie lachte ausgelassen wie ein Kind und schüttelte das Köpfchen, daß die Hellen Tropfen aus ihrem Haar umhersprühten, und rüttelte ihr Kleid zurecht, warf Thekla den feuchten Flieder zweig in den Schoß und nestelte ihren Rosenstrauß, der sich von ihrer Brust losgelöst hatte, von neuem fest. Delmont stand da neben und fühlte besorgt ihre Hände und Kleider an und sah mit