Heft 
(1890) 47
Seite
800
Einzelbild herunterladen

o 8VV

Sie fuhren über die Stelle, wo dieLaura" verunglückt war. Maria forschte vergeblich nach einem Zeichen; dann fuhren ! sie in den Wattstrom, der Oland durchschneidet, bis dicht vor Claus Buiksloots Werste.

Ob er wohl noch lebte? Das Haus lag so still, kein Mensch war weit und breit zu sehen. Wenn Claus am Ende allein, verlassen gestorben wäre! Auch Haje äußerte Besorgniß und meinte, das sei schon oft vorgekommen bei so alten Leuten.

Die Hausthür war offen. Maria horchte im Gange. Was war das? War sie denn im falschen Haus? Eine kräftige Mannesstimme ertönte, Gelächter, dazwischen das heisere Kichern eines Greises.

Sie klopfte, undHerein!" rief es von drinnen.

Ein großer blonder Mann stand vor ihr, der die Decke der Stube fast mit den Haaren streifte; in dem Lehnstuhl beugte sich der halbblinde Claus weit vor.

Wer kommt denn, Jakob?" fragte er.

Deiner Schwester Enkelkind, die Maria Lührsen aus H., und ihr Bootsmann Haje," rief laut das Mädchen, des Greises Hand ergreifend.

Der sah mit zitterndem Haupt an der hohen Gestalt hinauf.

Die kleine Maria, meiner Schwester Enkelkind, und und wer?"

Mein Bootsmann, hier, der alte Haje"

Sie zog den zögernden Alten aus dem Winkel.

Und Bill Lührsen, Dein Vater?"

Ist krank lange schon hat das Bein gebrochen nun muß ich das Geschäft besorgen. Geht auch herrlich! Nicht wahr, Haje? Gott, ist's auf dem Meere schön! Und da bin ich, um Dich zu besuchen!"

Und hoffentlich ein bißchen auszuruhen von der Fahrt," mischte sich der junge Mann darein, der seither zurückgetreten war; ein Mädchen wie Sie bei der Jahreszeit in einem so jämmer­lichen Kasten, wie ich da unten sehe, unter Führung eines" er stockte und blickte auf Hajegewiß erfahrenen, aber doch schon hochbejahrten Seemannes!"

Maria kehrte sich mißmuthig nach dem Sprecher um.

Was kümmert Sie der .jämmerliche Kasten' und der .hoch­bejahrte Seemann'?"

Aber plötzlich schien alle Kühnheit, aller Trotz sie zu ver­lassen. Sie erröthete tief, schlug die Augen nieder vor dein lächelnden Mann und trat unwillkürlich näher zum Großvater.

Jakob Tönningen, Kapitän, der Sohn meines alten seligen Freundes," stellte ihn Claus dem Mädchen vor.

Des Tönningen mit dem Rolf?" fragte neugierig Maria.

-Ja, der Sohn des Tönningen mit dem Rolf, ganz recht, Fräulein Maria, der gekommen ist, das Grab seines Vaters zu besuchen. Sie glauben wohl an die Geschichte mit dem Rolf?"

Maria zog verdrossen die Lippen hinauf.

So wenig als Sie."

Ich wollte Sie nicht kränken, ich dachte nur wir sprachen eben von Ihrem Vater."

Ich Hütte etwas geerbt, meinen Sie! Wenn man das so mitmacht von Kind auf, Herr Kapitän, das Unheil, welches ein so häßlicher Aberglaube in einem Menschenleben anrichten kann, dann haßt man den Unsinn."

Der anfsteigende alte Groll röthete ihr von den goldblonden Flechten umrahmtes Gesicht. Maria war in diesem Augenblick wunderschön.

Was macht denn der Bill?" redete der Alte dazwischen, der nichts von allem verstanden hatte.Schwört er noch immer auf das zersprungene Glas? Sonderbar! Sonderbar!"

Maria war sichtlich verlegen, sie schämte sich vor dem Fremden.

Ich weiß alles, Fräulein Maria," beruhigte sie Jakob Tönningen.Erzählen Sie nur, wir sind uns ja nicht fremd!"

Nicht fremd?"

Nicht ganz, das Schicksal unserer Väter schlingt ein Band zwischen uns. Erzählen Sie nur, lassen Sie mich ruhig zuhören!"

Er sprach so herzlich, so einfach; sie schämte sich nicht mehr vor ihm. Und sie erzählte dem Greise ihr junges, hartes, entsagungs­volles Leben voll kindlicher Liebe, männlicher Thatkraft und heiligem Gottvertrauen. Sie bat ihn um Rath für das schwere Seelenleiden, dem der Vater verfallen war, wie sie den Geliebten retten könne von dem häßlichen Wahne, der ihn ganz beherrsche.

Sie vergaß in ihrem kindlichen Eifer ganz den Mann im Hinter­gründe des Zimmers, dessen Augen trunken an dem schönen, edlen Geschöpfe hingen.

Claus, der Richter, hörte mit bedrückter, sorgenvoller Miene dem Mädchen zu. Er erinnerte sich wohl, wie er selbst damals am Hochzeitsabende erschauerte, als das Glas zersprang in den Händen der Braut beim Trinkjpruch auf die beiden Lauren; er war zu alt zum Heucheln, und doch that ihm das Herz so weh beim An­blick dieses zerstörten jungen Lebens. Wie hilfesuchend blickte er auf Jakob, dem die Zornesader schwoll bei der Schilderung von Bills unverantwortlichem Treiben.

Jäh sprang er in die Höhe und seine Augen flammten.Ich will ihn heilen, Maria, den Vater!" rief er.

Das Mädchen sah ihn groß an. Er war so schön in seiner Erregung; sie wäre ihm am liebsten zu Füßen gefallen und hätte ihn angefleht, gleich mit ihr zu kommen, so glaubte sie an seine Kraft.

Du kennst Bill Lührsen nicht! Bill ist mißtrauisch gegen Fremde, nimm Dich in acht," meinte Claus bedächtig.

Ich will ihm bald kein Fremder mehr sein," erwiderte Jakob mit einem Blick auf Maria, der das Mädchen wie ein Blitz durchfuhr.Laß mich nur machen ich habe Eile mein Schiff liegt auf Sylt, ich habe Befehl nach Liverpool, dann gehlls nach Bremen. In drei Monaten längstens bin ich mit meinem Heilmittel bei Ihnen in H., Fräulein Maria. Vergessen Sie unterdeß den Jakob Tönningen nicht!"

Er reichte ihr die breite Hand und ließ lange die ihrige nicht.

Nicht vergessen, hören Sie, sonst wirkt das Mittel nicht, und Du Claus kommst nach H., wenn es gewirkt hat, das versprichst Du mir!"

Clans sagte herb lächelnd zu.Und wenn ich nicht mehr komme, trinkt auf mein Wohl und gebt fein acht beim Anstoßen."

Jakob eilte die Werste hinab zu seinem Segelboot, das im Wattstrome seiner wartete.

Maria fühlte einen heftigen Schmerz im Herzen, sie preßte die Hand darauf und sah dem Scheidenden regungslos durch das Fenster nach.

6 .

In starren Fesseln lag der Mastenwald im Hafen von H. Dichter Nebel braute ununterbrochen über der Stadt und kürzte den Tag.

In derGrünen Auster" ging es immer gleich lebendig zu, bis spät nach Mitternacht leuchteten die mit blutrothen Vor­hängen versehenen Fenster.

Da saßen die Stammgäste an dem mit grünem Wachstuch überzogenen Tisch: Schiffsmakler, Viehhändler, einige Kapitäne, die in H. ihr Winterquartier aufgeschlagen hatten; und mitten unter diesen Ehrenwerthen saß Bill Lührsen,der Herr Kapitän", wie er hier genannt wurde. Seine jetzt heisere, aber noch kräftige Stimme war immer hörbar, er wußte stets etwas Neues, wußte überall Bescheid, sprach in großartiger Weise von seinen Leistungen, zuckte die Achseln über andere, übte die schärfste Kritik ja, wenn er so ein Glücksvogel gewesen wäre wie der und der, was er dann geworden wäre! und dann ging's los über sein Pech, das alles je Dagewesene übersteige. Dabei trank er Glas auf Glas des feurigen Trankes in seinem Kneipzorn.

Später, als die alten Geschichten, die man sich allabendlich erzählte, nicht mehr genügten, griff man zu den Karten, natürlich nur zum Zeitvertreib, nicht etwa des Geldes halber.

Bill hatte erstaunliches Glück und eine tolle, fieberhafte Freude an diesem Glück. Er war der erste, der einen höheren Satz vor­schlug, er fand wenig Widerspruchwem: er will, wir haltend aus!" mochten seine Kumpane denken. Auch das gewöhnliche heimische Spiel paßte nicht mehr, es ging zu langsam und wozu denn das Hmr sich dabei abmartern, das Zufallsspiel, das war sein Fall! Es Prickelte ihm in allen Nerven, wieder einmal, zum letzten Mal, wie er sich sagte, die große Frage an das Schicksal zu stellen. Verluste, die sich bald einstellten, machten ihn nicht irre, er entwickelte plötzlich einen ungewohnten Widerstand und Trotz gegen sein Verhängniß.

Laura wagte nur einmal eine Einwendung. Die spärlichen Einnahmen litten ja keine solchen Ausgaben. Da kam sie aber gut an!