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(Schluß.)
Der Sprung im Maie.
Erzählung von Antorr Freiherrn n. PkevfnU.
ieh nach der Mutter, Maria," fuhr er dann plötzlich auf, „sie härmt sich allein, die Arme! Gott, wenn ich denke, wie schön und heiter die Laura war; wie Du, Maria, gerade wie Du!"
„Und Du hast sie traurig gemacht, Du und das häßliche Glas da oben!" brach das Mädchen plötzlich los. „Es giebt keinen ! Zufall, aber auch keine Katzen, Gläser, Reiter, die Einfluß haben ^ auf unser Geschick. Keinem Schulkind kann man das heutzutage mehr weismachen; nur einen giebt es, der es lenkt und leitet auf dem Meere, auf dem Lande, der allmächtige Gott. Wer auf : ihn fest vertraut, sagte unser alter Lehrer, der segelt nicht irre; ! wer aber solchem Teufelsspuk mehr Glauben schenkt, den schlägt ^ er mit Blindheit, daß er die Wahrheit nicht mehr sieht!"
Bill hatte sich emporgerichtet und starrte in das von der i Nachtlampe matt erleuchtete, geröthete Antlitz seines Kindes. Die i blauen Augen leuchteten seltsam, sie sprach wie einer inneren Ein- ^ gebung folgend, gottbegeistert; der Schleier wich einen Augenblick von seiner verfinsterten Seele, er sah die Wahrheit. !
„Maria," sagte er mit gebrochener Stimme, „hole die Mutter!" ^
Das Mädchen sprang freudig auf. Da öffnete sich die Thür, ! ein alter, vornübergebeugter Seemann trat herein, scharfen Fisch- ? geruch verbreitend, hinter ihm, die Schürze vor den Augen, ! Laura, die den Zögernden vor sich her schob. !
„Was giebt's, Haje? Glücklich zurück? Gut eingekauft? Warum kommt Balk nicht selbst, dem ich den Kutter anver- ! traut habe?"
Der alte Haje winkte traurig mit der Hand.
„Der kommt nicht mehr, der Balk —" er würgte bedenklich und zerknüllte die gestrickte Haube in den Händen. „Mein Gott, ! 'raus muß es doch — übersegelt im Nebel von einem Schweden!"— ^ und er strich mit der flachen, knöchernen Hand wagerecht durch die Luft.
Ein gelles Lachen schallte durch die Stube, daß das grüue Glas zu klingen anfing. ;
„Was sagte Dein alter Lehrer, Maria? Mer auf ihn ver- ^ traut, der segelt nicht irreü — Ich vertraue auf dich da oben, ! braver alter Scherben! haha! und segle überhaupt nicht mehr!" !
Bill schlug in einem Anfall von Wuth mit beiden Fäusten ! gegen die Wand. !
„Jetzt ist's aus mit der Plackerei! Laura, bring' von dem ^ alten Gin, Haje muß den neuen Spaß erzählen, ich will ihm aus ! dem braven Glas da oben vortrinken. Gin, Laura! Was guckst ^ Du denn so unheimlich?"
„Bill, nur das nicht, das wäre das Ende!" flehte unter ^ Thränen sein Weib. s
„Herrgott, das auch noch! Bring' Gin, oder ich krieche in ^ die Kneipe!"
Laura entfernte sich. Haje kratzte sich verlegen im Haar.
„Mutter, Du bringst keinen Gin, der Vater ist krank und ^ darf ihn nicht trinken. Ich dulde es nicht. Haje kann unten be- ! wirthet werden." I
Der Ton in Marias Worten duldete keinen Widerspruch. !
Haje drückte sich scheu aus dem Krankenzimmer, Laura blieb ! zaghaft unter der Thür stehen. i
„Maria, Hab' Erbarmen!" flehte Bill mit glühender Stirn. „Nur ein Gläschen! Ich ertrage es nicht ohne Gin! Ich wollte > ja eben Deinen schönen Worten glauben, merktest Du es nicht? O, es sind ja schöne Worte, aber nur für die Schule, Kind, nicht für das Leben! Da, da kam das Schicksal selbst in der Gestalt des Haje zur Thür herein, um Dich auszulachen — und das Glas! —- kling! kling! —- ich hörte es deutlich. Maria, Gin, oder ich erwürge mich!"
Er schnürte sich den Hals zu mit krampfhaften Händen. ^ Maria löste sie gewaltsam, ihre klaren Augen waren mit liebevollem Ernst auf den Vater gerichtet, und wirklich beruhigte er sich unter dem stetigen Blick.
„Hat Dir das grausame Schicksal nichts mehr gelassen als ein Glas Gin? Liegt die Mutter, liegt Dein Kind auch auf dem Grund der Nordsee? Stehen sie nicht hier vor Dir mit inniger Liebe im Herzen und wollen alles mit Dir tragen?!"
Bill schloß die Augen vor Scham. ^
„Mutter!"
Laura näherte sich mit dem gewohnten, zaghaften Schritt. „Sieh' auf uns, Vater!" redete Maria eifrig weiter, „ich bin jung, habe kräftige Arme, die Mutter hat nur der Gram gebeugt, — ein gutes Wort, und der böse Zauber muh weichen. — Sprich es aus!"
Seine Brust hob sich zitternd, und seine jetzt fest auf Mariens Antlitz ruhenden Augen blickten unsicher durch Thränen.
„Maria! — Laura!"
Er streckte die Arme weit aus, sie zu umfangen. „Verlaßt mich nicht!"
Der alte Haje stand noch immer draußen vor der offenen Thür, er wollte seinen Gin doch nicht einbüßen, über dem Anblick vergaß er ihn aber ganz — er hätte auch lang warten können. Er wischte sich mit der schmutzigen Mütze über die Augen.
5 .
Bill war nicht mehr jung und sein Beinbruch war schwer. Die Heilung ging langsam trotz der vortrefflichen Pflege, und zu Bills Geschäft gehörten vor allem gesunde Knochen. Wenn ihn auch die Frauen von seiner Absicht, gar kein Schiss mehr zu kaufen, glücklich abgebracht hatten, so wollte er doch vorderhand nichts voll einem solchen wissen. Was wollte er denn in diesem Sommer noch damit machen? Es anderen Leuten auvertraueu? Das wollte er nicht noch einmal probieren. Laura muhte sich so behelfen, Maria, die jetzt achtzehn Jahre alt war, half ja auch wacker mit, so wacker, daß er sich selbst ganz überflüssig fühlte und am liebsten hinüberhinkte in die Seemaunskneipe zu den alten Kameraden. „Man bleibt dann doch im Fahrwasser und verweichlicht nicht ganz," Pflegte er zu sagen.
Dort in der „Grünen Auster" fand er stets aufmerksame Ohren für seine Leidensgeschichte, beim Gin werden alle Sünden vergeben. Er hatte ganz recht, hieß es da, daß er die sinkende „Laura" verließ, daß er sich kein neues Boot kaufen wollte, man soll einen Wink des Schicksals verstehen — ein Sprung im Glas der Braut am Hochzeitstag! da gehört überhaupt ein verdammter Kerl dazu, der sich da noch auf die See wagt — übrigens habe jetzt das Schicksal wohl ausgetobt und er könne nun in aller Ruhe seinen Gin trinken und die Weiber arbeiten lassen, die ja doch immer an allem Unglück schuld seien.
Solche Reden sog Bill gierig ein, diese Leute meinten es wirklich ehrlich mit ihm! Was hatten sie denn davon? Die gute Kameradschaft machte sie so besorgt, während sein eigenes Weib und sein Kind es kaum erwarten konnten, bis er wieder den Gefahren der Seefahrt sich aussetzte.
Unterdessen kam der Spätherbst heran, der Winter stand vor der Thür, der dem Handel in dem kleinen Häuschen gefährlich zu werden drohte. Die Schisfahrt steht dann still, die Kunden bleiben aus und auch die Waren.
Als Bill eines Tages mit schwerem Kopfe aufstand und nach ",einer Tochter fragte, erklärte ihm Laura, Maria habe selbst einen Kutter gemiethet und sei mit dem alten Haje fortgefahren, alle Geschäfte für den Winter zu besorgen.
Bill erschrak heftig bei dieser Nachricht. Seine Maria in dieser rauhen Jahreszeit mit Haje auf einem Segler draußen auf der Nordsee! Jetzt sollte es sich vollenden, sein Schicksal, jetzt sollte der Hauptschlag kommen, gegen den alles andere, was schon geschehen, nichts war! „O, das Glas! das Glas!" jammerte er, schalt Laura eine schlechte Mutter und ging von neuem in die „Grüne Auster", seinen Kummer, seine Sorgen zu vertrinken.
Unterdessen segelte Maria unverdrossen in dem Wattenmeer von Insel zu Insel bis nach Romöe hinauf und füllte den Kutter mit Vorrüthen aller Art.
Auf Oland saß noch immer Claus, der Richter, der Patriarch der Halligen, der Großmutter Holde Bruder. Den wollte Maria besuchen, sie hatte ihn nicht mehr gesehen seit ihrer Kindheit, seit damals, als er mit dem unglücklichen Vater kam, der das schöne Schiff verloren hatte. Sie hatte die milden Trostesworte, die der Greis dabei zur Mutter gesprochen, nicht vergessen, vielleicht wußte er auch jetzt Rath gegen des Vaters schlimmstes Uebel, gegen den Gin.