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„Eigentlich wäre ich dazu durchaus nicht verpflichtet," erwiderte Emil, der heut seinen unausstehlichen Tag hatte, „aber da Euch ein Theil des Inhalts mit angeht, will ich ihn Euch nicht verschweigen. Mein alter Freund General Binder schreibt mir, daß sein Junge ein Kommando zur Centraltnrnanstalt bekommen habe und in den nächsten Tagen hier durchkommen werde. Er bitte, sich uns dann vorstellen zu dürfen."
„Ein Lieutenant?" frug Liesbeth mit großen Augen.
Der Vater lächelte — zum ersten Male an diesem Morgen.
„Ja!" sagte er, „Du thust ja, als wenn Du noch nie einen Lieutenant gesehen hättest!"
„Wenigstens noch nie gesprochen!" betonte Liesbeth weh- müthig, die sich entschieden durch diesen Mangel um eine der wichtigsten Lebensfreuden betrogen fand.
„Wird auch noch kommen!" meinte der Vater
„Du kannst Dich vorläufig noch mit mir begnügen
behaglich, ich bin
ja auch einmal Lieutenant gewesen."
„Gewesen!" wiederholte Liesbeth bedeutsam. „Aber Papa," rief sie dann plötzlich, „das ist wohl der Bruder von Lina Binder, mit der ich in der Pension zusammen war!"
„Freilich — die liebtest Du ja so!" sagte der Vater jetzt wohlgelaunter und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.
„Bitte, komm vor Tisch nicht wieder hier herein, Emil," rief ihm seine Frau nach, „wir fangeu mit dieser Stube an und haben schon dreiviertel Stunden verloren!"
„Sei unbesorgt," gab der Oberstlieutenant zurück, „ich gehe bis zu Mittag aus. Großes Reinmachen ist kein so besonderes Vergnügen für mich, daß ich mich noch extra dazu setzen sollte!"
„Weiter fehlte mir auch nichts," bemerkte die Mutter, als sich die Thür hinter dem Hausherrn geschlossen hatte,
„das wäre das Angenehmste, was ich mir denken könnte!
„Ich hätte Dir ja gut helfen können, Mama, sagte Liesbeth bedauernd. „Kann ich nicht heute einmal aus der dummen Litteraturstunde wegbleiben?"
„Nein," entschied die Mutter, „Du hast erst vorigen Freitag versäumt — um zehn Uhr gehst Du ab!"
Das Hilfscorps, eine noch nicht erprobte Scheuerfrau — die gewohnte konnte nicht kommen —- und die Köchin wurden nunmehr aufgeboten, und binnen wenig Minuten war das behagliche Wohnzimmer in ein Chaos verwandelt, in welchem Stühle ihre vier ungraziösen Beine in stummer Anklage gegen die Decke streckten, die Familienbilder wehmüthig mit dem Kopfe an der Wand lehnten, und gardinenlose Fenster hohläugig auf dieses Bild der Unge- müthlichkeit starrten.
Amalie, die bereits oben erwähnte Köchin, kreidebleich und mürrisch, mit einem vorwurfsvollen Tuch um den Kopf, erklärte auf die theilnehmende Frage der Mutter nach ihrem Befinden, „es wäre ihr in den Magen gekommen!" ein unbestimmtes „es", welches sich nach dein Vorgefallenen nur auf das — übrigens inzwischen wieder eingefangene — Eichhörnchen deuten ließ.
Die leidende Amalie betheiligte sich unter herausforderndem Aechzen an der allgemeinen Thätigkeit und hielt halblaute Selbstgespräche, in denen die Wendung „der Mensch kann nicht mehr wie arbeiten" — „der Mensch kriecht eben so lange, bis er liegen bleibt!" eine wohllautende Begleitmusik zu ihren Leistungen bildete.
Die Stimmung der Mutter wurde infolge dessen natürlich nicht gerade ausgelassen heiter.
Die Scheuerfrau, die sich einer namenlosen Bildung erfreute und, um diese zu beweisen, jedes Glas ohne ersichtlichen Grund „Pokal" nannte, war entschieden in Fremdwörtern gewandter als im Aufräumen. Sie schmetterte alle Augenblicke zerbrechliche Gegenstände wie Fanfaren durch die Lust und jonglirte in einer so betrübenden Weise mit den Porzellanschätzen des Hauses, daß man sich immerfort lebhaft an einen Polterabend erinnert fühlte.
Nur eine abscheuliche gemalte Kachel, durch die eine böse Freundin der Familie diese einmal recht gekränkt hatte, und
auf deren Zerbrechen man schon öfter Belohnungen gesetzt hatte, trotzte auch diesmal mit eiserner Stirn jedem Unfall und ging heil und häßlich aus den drohendsten Gefahren hervor. Das diesmalige Aufräumen war ihr übrigens als letzte Gnadenfrist gestellt, und sie sollte, wenn sie wieder ganz blieb, dann sofort auf einen Bazar zu wohlthätigem Zweck gescheukt werden — den bewährtesten Ableiter für alle unbrauchbaren und verhaßten Gegenstände eines Haushalts.
Angesichts des Zerstörungstriebes der helfenden Scheuerfrau kommaudirte die Mutter diese in die Küche, wo sie unter dem eisernen Geschirr entschieden unschädlicher toben konnte; als aber Frau Anna von diesem Abstecher und den dazu gehörigen Auwei jungen ins Wohnzimmer zurückkehrte, fand sie ein neues Unheil vor.
Die Köchin, die heut jeder schonte wie ein rohes Ei, und die schon in jeder Ecke verstohlen Baldriantropfen aus einem Fläschchen gekneipt hatte, saß in einem Lehnsessel zusammengekauert und überraschte ihre Gebieterin durch die Erklärung, der Magenkrampf „schmisse sie bis an die Decke!" — was ja jedenfalls als eine achtbare Leistung anzusehen war.
„Nun, Amalie," sagte die Hausfrau gefaßt, „da müssen Sie eben zu Bett gehen — wir werden schon sehen, wie wir fertig werden!"
Nach einem kurzen, edlen Wettstreit ließ sich denn Amalie bewegen, sich selbst für invalid zu erklären, und wankte unter der heiteren Versicherung, daß sie „am liebsten so schreien möchte, daß man es Häuser weit hörte", in ihr etwas abgelegenes Gemach, wo sie dieser Neigung ohne jegliche Störung von seiten der Außenwelt obliegen konnte und wohin sie den ewig warmstehenden ungeheuren Topf voll Kaffee mitnahm, der zu jeder Köchin so untrennbar gehört wie die Eule zur Minerva.
Die Zurückbleibenden, Mutter und Tochter, sahen sich verstört und rath- los an.
„Natürlich muß die Amalie heut krank werden," nahm die Mutter endlich mit einiger Bitterkeit das Wort, „aber Liesbeth, nun hilft es nichts - Du mußt nun doch von der Littera turstunde zu Haus bleiben und mir helfen!"
„Hurrah!" rief Liesbeth lustig und warf das Staubtuch, mit dem sie eben beschäftigt gewesen war, in die Luft, „was geht mich die Litteraturstunde an? Du weißt doch, Mutter, daß ich zehnmal lieber hier helfe, als in die dummen Stunden gehe, wo ich doch nur schlafe — wir haben noch dazu heut den alten Sebastian Braut mit seinem Narrenschiff — auf den habe ich immer einen Haß gehabt! Darf ich mich richtig zum Reinmachen anziehen? Bitte, Mama!"
„Kindskopf!" sagte die Mutter lachend und strich ihr über die Wange, „mach Dir die Arbeit nur zum Spiel, obwohl das mit bald sechzehn Jahren auch aufhören könnte!"
Als Liesbeth nach wenig Minuten wieder ins Zimmer trat, war sie ihrer Aufgabe gemäß verwandelt. Die Kleiderärmel, bis über die Ellbogen aufgestreift, ließen zwei zierliche Arme frei, eine mächtige, dunkelblaue Latzschürze verbarg das Kleid vollständig und ein türkisch buntes Tuch, das wie bei den böhmischen Obstfrauen um den Kopf geknotet war, stand allerliebst zu dem frischen, feinen Gesichtchen.
Die Mutter betrachtete ihr reizendes Töchterchen mit heimlichem Wohlgefallen.
„So ist es ja ganz ordentlich," sagte sie kühl, „und nun werde ich einmal sehn, ob Du schon vernünftig bist! Ich muß draußen in der Küche und Speisekammer nachsehn und übertrage Dir, diese Stube jetzt ganz fertig zu machen. Das Gröbste ist ja geschehn, jetzt nimm Dir alle Nippsachen noch einmal vor, wasche sie gründlich ab und stelle sie wieder an ihren Platz. Die guten Krüge konnte ich der ungeschickten Person draußen doch nicht in die Hand geben! Wie das heute werden soll, weiß ich nicht!" (Schluß folgt.)