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unser ganzes Lebensglück gekostet hat. Ich ahne es längst, wir selbst sind schuld an allem."
„Ei, ei, wie klug auf einmal! Nur damit ich meine Knochen noch einmal riskire!" erwiderte verdrossen Bill. „Einbildung soll das sein mit dem Glas? Jakob Tönningen selbst gab mir recht! Frag' ihn nur darum, morgen, wenn er kommt."
„Immer Tönningen! Unser ganzes Unglück hängt an dem Namen. Was will er denn hier, dieser Mensch?"
„Was weiß ich! Mir kann's nur recht sein, wenn er länger bleibt. Uebrigens wird er Euch schon gefallen, wenn Ihr ihn einmal seht, ein schöner lieber Mann! Sieht gar nicht so aus, als ob er Unglück bringen könnte. Da nimm', Laura!"
Er reichte ihr eine Hand voll Geld.
,,S' ist ehrlich Geld und —" er sah sich lange im Zimmer um — „es fehlt einiges — merk' es wohl — hol' es wieder! Es soll ja anders werden mit mir! Ja, wenn das nur Einbildung wäre — sagtest Du nicht so? — dann — dann —- Herrgott, dann —"
Sein bleiches Gesicht bekam einen ängstlichen Ausdruck.
„Laura —" er griff nach ihrer Hand — „dann wäre ich ein rechter Schurke! Laß' mich jetzt, frag' morgen den Tönningen — er wird Dir sagen, daß es keine Einbildung ist, daß es so Dinge giebt —- jawohl!"
Er warf noch einen verschwommenen Blick nach dem Glas hinauf und wankte dann in seine Kammer. Als Laura nach einer Stunde voll bitterer Gedanken zu Maria zurückkehrte, fand sie dieselbe mit erhitzten Wangen, ein seliges Lächeln um den Mund, als träume sie einen schönen Traum, auf ihrem Lager liegen. Sie beugte sich besorgt mit dem Lichte über sie, da öffnete Maria weit die blauen, feuchten Augen, schlang die Arme um die Mutter und drückte dieselbe fest an sich.
„Endlich!" flüsterte sie.
7 .
Bill verbrachte jetzt mit Jakob Tönningen die Abende zu Hause; der junge Mann zog ihn durch seine anregenden Gespräche, Vorschläge und Pläne wieder auf sein früheres Interessengebiet, belebte von neuem seinen Standessinn, erweckte in ihm ein neues Verlangen nach der See, der Heimath seiner Jugend; die bösen Dünste der Kneipe wichen langsam vor der gesunden Atmosphäre, die dieser Mann um ihn verbreitete.
Maria glaubte die Heilung des Vaters schon vollzogen und fürchtete die baldige Abreise des siegreichen Arztes. Sie wollte ihm gewiß ewig dankbar dafür sein, aber doch brach ihr das Herz schier. Sie hatte sich das doch anders gedacht, recht kindlich albern, das sah sie wohl ein, aber er war doch auch schuld daran, was brauchte er sich denn gar so in ihr Herz einzuschleichen, wenn alles nur dem Vater galt!
Da kam er in der dritten Woche seiner Anwesenheit eines Tages im Sonntagskleid und in einem Zustande eigentümlicher Unruhe. Maria dachte: nun will er Abschied nehmen! und ihr ganzes Wesen krampfte sich zusammen. Er aber trat mit ernster Miene auf sie zu.
„Maria," sagte er, „heute gilt's, ich darf nicht mehr länger zögern mit der Operation, sonst erneut sich das Uebel. Jetzt sprechen Sie, haben Sie Wort gehalten, haben Sie immer an mich gedacht seit unserer Begegnung in Oland, herzlich meiner gedacht?"
Seine Hand drückte fest die ihrige, sein großes Auge ruhte voll heißer Liebe und mit dem Ausdrucke inniger Ueberzeugung auf ihr.
„Mehr, Maria, haben Sie sich nach mir gesehnt? noch mehr — haben Sie mich lieb?"
Das Mädchen sank wonnebetäubt in seine Arme, und er hielt sie lange umfaßt und küßte ihr Blondhaar.
„Dann ans Werk, es muß gelingen!"
Er eilte zum Vater.
„Ich komme, von Ihnen die Hand Ihrer Tochter Maria zu erbitten. Unter uns Seeleuten sind lange Vorreden nicht Brauch; ich bin jetzt Eigentümer eines Schiffes, besitze genug Vermögen, mich selbständig zu machen und eine Familie zu ernähren. Ihre Tochter liebt mich, ich denke, es steht nichts im Wege —"
Bill mit seinem düsteren Blick, seinem tiefergrauten Haar und seinen verlebten Gesichtszügen sah greisenhaft aus an der
. Seite des blühenden Mannes. Er zuckte schmerzlich zusammen ^ unter diesen kurzen, biederen Worten und ein Blick tiefen Mitleides traf den Brautwerber.
„Nichts läge im Wege, Jakob Tönningen," erwiderte er, „wenn ich noch um einen Grad schlechter wäre, als ich so schon bin; dann könnt' ich Euch sagen: da habt Ihr sie und meinen Segen dazu! Ich kann's aber nicht, und Ihr selbst seid schuld daran, daß ich's nicht kann, weil Ihr in der kurzen Zeit, da Ihr hier seid, das Gewissen in mir wachgerufen habt. Ihr ^ fordert von mir Euren Fluch und stürzt, was Ihr gewiß nicht ! wollt, wenn Ihr sie liebt, Maria in das Unglück! Ihr habt ! mir selbst recht gegeben, als ich Euch einst mein sonderbares ! Schicksal erzählte von der Stunde an, wo das Unglücksglas zer- ! sprang an dem Eures Vaters. Die geheimnißvolle Kette von ^ Umständen Zwischen Tönningen und Lührsen bis auf Eure jetzige ! Werbung muß Euch selbst zu denken geben. Es ist blöde, ein ! Menschenschicksal an ein Glas zu hängen, ich weiß es, und Hab'
! mir's tausendmal vorgehalten, und doch sag' ich Euch, es ist mir,
! als sähe es drohend dort auf mich herab, —- ich kann nicht .Ja^ sagen, Jakob Tönningen!"
Der Schweiß stand ihm aus der Stirn, sein ganzes Inneres ^ war in Aufruhr.
Der Kapitän blickte sinnend hinauf zu dem Glas. „Hm,
^ Ihr habt recht, ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen, und das Glas — zeigt mir doch das Unglücksding, das mir mein Liebstes rauben soll auf Erden!"
„Nehmt es nur herab, ich erreich' es nicht mehr, so hat es mir den Rücken gebeugt."
! Jakob griff danach und trat an das Licht, das sich in der , grünen Wölbung spiegelte, betrachtete es genau und prüfte mit dem ! Finger. Plötzlich lachte er laut auf — betrachtete wieder das ^ Glas, dann Bill, der ihn nicht aus den Augen ließ.
! „Bill Lührsen," sagte er, „Ihr seid ein Narr! Das Glas ^ hat ja gar keinen Sprung, es ist ja nur eine Falte im Glas, . welche so aussieht! Na hört, da sieht man doch genauer zu, j wenn man so viel darauf hält!"
! Bill war kreidebleich geworden, der Mund stand ihm offen, ein Bild des Entsetzens bot er.
„Das lügst Du, Tönningen," röchelte er, mühsam nach . Athem ringend. „Es muß ein Sprung sein! Ich sah ihn zwar l nur einmal, aber der Klang her mit dem Glas!"
! Mit zitternden Händen entriß er es ihm und drehte es nach allen Seiten.
„Herrgott! Wenn es kein Sprung wäre! Alles einer Täuschung geopfert, ein ganzes Leben — Laura — Maria —"
! Er tastete und kratzte wie wahnsinnig an dem Glase herum.
! „Heilige Maria, kein Sprung!"
^ Da entglitt das Glas seinen Händen und zerschellte in
! Scherben. Bill sank in die Kniee, bedeckte sein Antlitz mit beiden ! Händen und schluchzte laut. „Kein Sprung!" wiederholte er nur ! immer wieder verzweifelt.
! Tönningen erschrak selbst vor der furchtbar unerwarteten
! Wirkung seines Heilmittels; doch faßte er sich rasch, die Krisis ! mußte eintreten.
! „Und da freut es Euch nicht," redete er dem zusammengebrochenen Manne zu, „daß alles nur ein häßlicher Traum war,
! daß Ihr mir jetzt ohne Gewissensbisse Maria zum Weibe geben könnt, daß Euer Geschick keiner blinden, dunklen Macht über antwortet ist, sondern nur Eurem eigenen Willen, daß derselbe gütige Gott es leitet, der auch das von uns allen lenkt! Das i muß Euch freuen, selbst wenn Ihr Euch dabei sagen müßt, daß Euer Wahn, von dem Ihr nun geheilt seid, Euer ganzes Unglück war. Auf, Bill Lührsen, zu neuem Leben! Ich biet' Euch Hand ! und Herz, sie kennen beide kein Falsch!"
! Bill lächelte unter Thränen; er erhob sich, wie aus einem ^ Traum erwachend.
„Jst's denn wirklich möglich! Ein neues Leben! Ein Schiff!
^ Die weite See — mein Weib — mein Kind! Tönningen, es ist zu viel, ich kann das viele Licht nicht allein ertragen. Maria! Laura!" rief er, die Thür öffnend.
Maria eilte herein. Tönningen streckte ihr die Arme entgegen, — sie wußte alles.
„Es ist ja kein Sprung, Laura," rief Bill seinem Weibe zu, „nur eine Falte im Glas, der Kapitän hat es mir deutlich