Heft 
(1890) 48
Seite
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Selbsthilfe des Organismus die Aussonderung langsam vor sich gehen kann, muß zugleich durch fortgesetzte Anwendung des Mittels das gefährdete lebende Gewebe vor dem Einwandern der etwa noch vorhandenen lebenden Parasiten geschützt werden. Da das Mittel nur auf das tuberkulöse lebende Gewebe einwirkt, so kann es in sehr schnell gesteigerten, in etwa drei Wochen auf das fünshundertfache der Anfangsgabe getriebenen Dosen gegeben wer­den, denn nach jeder Jnjection verringert sich ja die Menge des reaktionsfähigen Gewebes. Ist der Tuberkulöse soweit gebracht, daß er nur noch ebensowenig reagirt wie ein Nichttuberku- löser, so kann er wohl als geheilt betrachtet werden.

Die Erfolge, die er­zielt worden sind, er­strecken sich für Lupus­kranke dahin, daß bei zwei Kranken durch drei beziehentlich vier Injektionen die lupö- sen Stellen zur glatten Vernarbung gebracht, die übrigen derartigen Patienten der Dauer der Behandlung ent­sprechend gebessert sind.

Alle diese Kranken ha­ben ihr Leiden schon viele Jahre getragen und sind vorher in der verschiedensten Weise er­folglos behandelt wor­den. Das Gleiche gilt für Drüsen-, Knochen- und Gelenktuberkulose.

Etwas anders ge­stalteten sich die Ver­hältnisse bei der Haupt­masse der Kranken, bei den Schwindsüchtigen.

Kranke mit ausge­sprochener Lungentu­berkulose sind nämlich gegen das Mittel weit empfindlicher als die mit chirurgischen tu­berkulösen Leiden be­hafteten. Die Anfangs­dosis mußte daher auf 0,002 und selbst 0,001 kein herabgesetzt, dann aber bald wieder er­höht werden. Als Wir­kung des Mittels zeigte sich anfangs gewöhn­lich eine mäßige Zu­nahme von Husten und Auswurf, die dann aber allmählich geringer wurden, um in den günstigsten Fällen schließlich ganz zu verschwinden; auch verlor der Auswurf seine eitrige Beschaffenheit, er wurde schlei­mig. Die Zahl der Bacillen nahm gewöhnlich erst dann ab, wenn der Auswurf schleimiges Aussehen bekommen hatte, und verschwanden schließlich mit dem Auswurfe vollständig. Gleich­zeitig hörten die Nachtschweiße auf, das Aussehen besserte sich, und die Kranken nahmen an Gewicht zu. Die im Anfangs­stadium der Phthisis behandelten Kranken sind sämmtlich im Laufe von vier bis sechs Wochen von alleil Krankheitssymp­tomen 'befreit, so daß man sie als geheilt ansehen konnte; Schwerkranke wurden gebessert.Nach diesen Erfahrungen möchte ich annehmen, daß beginnende Phthisis durch das Mittel mit Sicherheit zu heilen ist. Theilweise mag dies auch noch für die nicht zu weit vorgeschrittenen Fälle gelten/' Befindet sich aber die Krankheit scholl in einem

späten Stadium, sind erst nicht mehr zu beseitigende krankhafte Folge-Veränderungen in anderen wichtigen Organen eingetreten,

- dann ist natürlich auf Herstellung nicht mehr zu rechnen, wenn ^ auch hier noch vorübergehende Besserung wohl meistens zu erreichen ^ ist. Der Schwerpunkt des Heilverfahrens liegt daher in der mög- ^ liehst frühzeitigen Anwendung, und um dies zu erreichen, ist eine höchst sorgfältige Untersuchung verdächtiger Kranker, besonders auf Tuberkelbacillen, dringendes Erforderniß.

Dies der wesentliche Inhalt der epochemachenden Veröffent­lichung unseres großen Forschers. Wir stehen hier vor einer That-

sache, deren Tragweite ill medizinischer und so­cialer Beziehung noch gar nicht zu ermessen ist. Ich sage Thatsache, denn den positiven An­gaben eines Mannes wie Koch gegenüber, der die Technik des Ex- perimentirens aufs feinste ausgebildet hat, der mit der peinlich­sten Selbstkritik bei seinen Forschungen zn Werke geht, der nur mit größter Vorsicht Resultate als gegeben erachtet und nur mit Ueberwindung mit die­sen Resultaten vor die Oeffentlichkeit tritt den positiven Anga­ben eines solchen Man­nes, sage ich, läßt sich meiner Ueberzeu- gung nach ein berech­tigter Zweifel nicht entgegenstellen. Nicht viele Jahre werden vergehen und wir wer­den die Tuberkulose nur noch in älteren Büchern beschrieben finden die Krank­heit selbst besteht nicht mehr, mordet nicht mehr die Blüthe der Jugend dahin, bringt nicht mehr unsäglichen Jammer und Elend in Palast und Hütte. Ein neues kräftiges Geschlecht wird erblü­hen, unbehelligt von dem tückischen Tuber­kelbacillus. Allein damit islls nicht ge- ^ schehen, eine viel weitere, umfassendere Perspektive eröffnet sich 1 uns. Wenn gegen den Mikroorganismus der Lungenschwindsucht ! das wirksame, heilkräftige Mittel gefunden ist, da kann es ja i nur eine Frage der Zeit sein, auch gegen die Parasiten der anderen akuten Infektionskrankheiten, wie Diphtherie und Typhus,

; oder gegen chronische Jnfectionskrankheiten, wie z. B. den Krebs,

^ die geeignete Jnjectionsmasse zu entdecken. Hat doch Koch selbst in seinem Vortrage auf dem internationalen medizinischen Kongresse solche Aussichten angedeutet.

j Die Folgen der Kochschen Entdeckung auszudenken sind wir, j wie gesagt, nicht imstande, aber das vermögen wir und das ist ^ unsere Pflicht, unsere höchste Bewunderung dem genialen Manne ^ auszudrücken, der, ein wahrhaft großer Mann, wohl der größten ! einer, die je gelebt, als Wohlthäter der ganzen Menschheit geliebt ^ und verehrt werden muß.

! De. Mnx Salomon.