Heft 
(1890) 50
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mit dem Butterschnittchen aber Reginald hörte offenbar gar nicht hin. Er nickte ab und zu mit dem Kopf wie ein Automat und goß sich das rasch geleerte Glas beharrlich wieder voll, ober­er sprach kein einziges Wort dazu, und seine Augen blickten wie in weite Ferne.

Als Fritzens Regulator ein Uhr schlug und die zweite Flasche geleert war Reginald hatte sie fast allein getrunken erhob sich endlich der späte Gast. Die Hand, die er seinem Vetter reichte, fühlte sich fieberheiß an, aber sie zitterte nicht, der Blick war klar, Gang und Haltung fest und aufrecht. Der Lieutenant, dessen Augen umflort waren, betrachtete dies alles als ein Wunder.

Hab' Dank, lieber Regi, daß Du noch so spät gekommen bist vielmehr, daß ich noch so spät na, ich weiß nicht mehr recht, was ich Hab' sagen wollen - - schadet aber auch nichts! Und meine kleine Braut, siehst Du sie ist ein reizendes Käferchen, wenn sie auch keine Annie Gerold ist! Die Annies laufen nicht zu Dutzenden so herum, muß ich Dir sagen! Dieser Delmont muß mit einem Glückskleidchen geboren sein es giebt solche Häute- sollen allssehen wie ein Netz mit denen wird man geboren, und dann hat man ein heidenmäßiges Glück in der Welt! Du hast auch in so einem Kleidchen gesteckt, Deine alte Lehmann hat mir's anvertrant, sie hat sich das Ding verwahrt und schwört Stein und Bein darauf. Dabei machst Du solche tragische Augen Glückskind, das Du bist! Pfui! Ein so schöner Kerl und Prediger zu Sankt Lukas und Anwartschaft auf

gut 'ne halbe Million-und von den Damen als interessanter

Beichtvater und Seelenhirt angebetet und dies Gesicht dazu! Der Delmont sollte sich auch schämen hat einen Ruhm wie

der selige Rafael und gewiß noch dreimal soviel Geld und eine Braut, mit der sich nun 'mal kein anderes Mädel vergleichen darf und macht auch solch' tragische Augen! Geht mir doch, Ihr Glückspilze! Ich werd's Euch beweisen ich Roderich Adalbert Fritz von Eonventius, daß man glücklich sein kann ohne Rnhm und Schönheit und Predigen und alles! «.Zum Herbst wird geheirathet! Die Schwiegermama hat es mir heute mit ihren ehrwürdigen Lippen zugelobt! Zum Herbst wird ge­heirathet und ein Hallunk meines Namens will ich sein, wenn

^ ich mein Mäuschen nicht glücklich mache - mein kleines

^ Mäuschen das mich so lieb hat . . . . "-

Der Gedanke an das kleine Mäuschen und sein künftiges Lebensglück mußte den Lieutenant ganz überwältigen, denn er umarmte den Vetter und schwor ihm immer wieder, er wolle eher zum Spitzbuben, Räuber und Schurken werden, ehe er das Mäuschen nicht beglücke. Noch auf der Treppe hörte ihn Reginald bethenernd rufen:Und zum Herbst wird geheirathet!!" -

Die alte Lehmann saß in Reginalds Vorzimmer und strickte an einem Kinderstrumpf für eines ihrer Eukelchen. Sie konnte ohnehin nicht viel schlafen und' suchte nie ihr Bett auf, ehe Ehrwürden Herr Junker" zur Ruhe war. Heilte war er bei dem lustigen Vetter nun, das war ihr lieb, etwas Heiterkeit konnte ihm nicht schaden! Aber das Gesicht, mit dem er­setzt eintrat, wußte nichts von Heiterkeit zu erzählen; er schalt auch nicht wie sonst seine alte Getreue ob ihres späten Ausbleibens. Mit seiner heißen Hand strich er ihr sanft über den spiegelglatten, eisgrauen Scheitel lind hieß sie zu Bett gehen.

(Fortsetzung folgt.)

Hermann Heiberg.

Von Grnst Wechsler.

")suf meinen täglichen Spaziergängen durch die Leipziger- und Friedrich- ^ straße in Berlin, wo die gewaltigen Wellen des Weltverkehrs auf- und niederrollen, begegne ich sehr häufig einer auffallenden Erscheinung, einem ungewöhnlich großen, schlanken und doch kräftig gebauten Mann, der sich in merksamer 'Weife von den vorüberhuschenden Alltagsgestalten abhebt, einem Mann mit schmalgeformtem, scharf hervortretendem Gesicht, tanger- nervös witternder Nase und unheimlich klugen, freundlich blickenden Augen. In ruhiger Gelas­senheit schreitet er durch die Straßen, die Art seines Ganges, die Weise, mit der er den Hut lüftet oder seinen näheren Bekannten zunickt, verrathell feine geschmeidige Formen und den kundigen Weltmann. Wäre mir der Mann persönlich unbekannt geblieben, hätte ich kaum der Versuchung widerstehen können, ihn mir als Modell zu leihen und zum Mittelpunkt einer interessanten Novelle zu machen; das gütige Schicksal aber bewahrte die deutsche Lit­eratur vor dieser Bereicherung, indem es mich mit der Thatsache rechtzeitig vertraut werden ließ, daß der Mann selber Novellen schreibe.

Für den Ausfall meiner Geschichte wurde ich jedoch aufs schönste entschädigt, denn ich lernte in meinemModell" einen der liebenswürdig­sten und geselligsten Menschen kennen. Ja, ich gehe soweit, zu behaupten, daß er der liebens­würdigste und geselligste Schriftsteller von ganz Berlin ist. Nach diesem Satze weiß jeder­mann, der nur einigermaßen die Berliner litterarischen Kreise kennt, well ich meine, auch wenn dessen Name nicht all der Spitze dieses Aufsatzes stände. Die Verehrer der Heibergschen Schriften werden darüber einigermaßen er­staunt fein, denn das alte, längst erprobte Wort, daß die Autoren das Gcgentheil ihrer Bücher seien, paßt auf ihn keineswegs. Jene köstliche Behaglichkeit, jener zur künstlerischen Vollendung sich steigernde Lebensgenuß, jenes heißblütige und warmherzige Erfassen der Außenwelt herrliche Eigenschaften, die uns den Menschen Heiberg so lieb und Werth machen, sie blühen uns mit nicht geringerer Kraft aus seinen Werken entgegen, voll denen ja auch die Leser derGartenlaube" den RomanEin Mann" in diesem Jahrgänge kennengelernt haben.

Hermann Heiberg ist in der modernen Litteratur eine ganz eigene Erscheinung. Ich wüßte augenblicklich keinen zweiteil gegenwärtigen deut­schen Schriftsteller zu nennen, der in das Weltgetriebe nach seinen ver­schiedensten Richtungell hin so genall Einblick zu nehmen Gelegenheit ge­habt hätte, als ihn. Das Schicksal hat ihn dabei keineswegs mit Sam- methandschuhen angefaßt und erst nach vielen bitteren Prüfungeil und

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Kermamr Kelberg.

Erfahrungen rang er sich zu jener geläuterten, sonnighellen Weltan- schauung empor, in welcher alle seine Werke wurzeln. Hermann Heiberg ist der Zeit seines ersten Auftretens nach einer unserer jüngeren Schrift­steller: im Jahre 1881 erschien er mit seinenPlaudereien mit der Herzogin voll Seeland" und binnen wenigen Jahren gelang es ihm, in der deutschen Litteratur einen vordersten Rang und die wärmste Ver­ehrung der weitesten Leserkreise sich zu erobern. Er sprang aber nicht als unklarer Jüngling, sondern als allsgereifter Mann in die Littc- ratur hinein.

Er wurde am 17. November 1840 in Schles wig als der Sohn eines angesehenen Rechts­anwalts, der sich um die Verbreitung deutscher Ideen im Norden große Verdienste erworben hat, geboren. Der Dichter erzählt von sich, daß er ein übermüthiger, zu tolleil Streicheil stets aufgelegter Knabe gewesen sei, und mit einem gewissen schmunzelnden Behagen stellt er eine Liste jener Possen auf, die er seinen Lehrern gespielt. Er sagt, der Kitzel, seine Umgebung iil Gang, Haltung und Worten zu kopiren und karikieren, sei ihm angeboren ge wesen. Wem fallen dabei nicht seine ent zückenden, rührend heiteren Kindergeschichten ein? Auch in allerlei Leibesübungen brachte er es zn einer großeil Gewandtheit: er war ein Schwimmer, lag mit den: Segelboot ans dem Wasser, konnte reiteil und kntschiren, spielte Komödie, sang, blies ans der Flöte, schwang das Tanzbein, war überhaupt voll der Natur zu allem leidlich veranlagt mit einer Ausnahme:Mathematik," seufzte er, war lllld blieb mir ewig ein chinesisches Alphabet!" Diese Mittheilnngen sind für den senigen, welcher dem Zusammenhang zwischen der Person eines Autors lllld desfeil Büchern nachspürt, von Wichtigkeit, denn die Kiuder- nlld Hundegeschichten Heibergs gehören znm Eigenartigsteil, Ursprünglichsten und Ergrei­fendsten, was wir diesem Autor überhaupt verdanken, und zeigen, daß einem Künstler nur dann eine vollendete Leistung gelingt, wenn er seine Stoffe, feine Stimmungen und Scenerien aus dem unmittelbaren Born der Wirklichkeit schöpft, und der zwölfjährige Heiberg, der den unwiderstehlichen Drang empfindet, trotz der schlimmen Erfahrungen, die sein Rückeil dabei machte, alles zu kopiren und karikiereil, bereitete sich schon damals für feinen Beruf vor, das Leben darzustellen. Seine Leser werden übrigens finden, daß Heiberg die Gabe, falkenschuell zu beobachten und die Linien der Wirk­lichkeit ein wenig ins Lächerliche und Drastische zu verschieben, bis beute sich ungeschmälert bewahrt hat.