Heft 
(1890) 50
Seite
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Nirgendheim", wie Thomas Morus'Utopia", BaconsNeue Atlantis", Campanellas Sonnenstaat oder die idealen Gesichte, denen Schillers Posa lind Lessings Nathan Ausdruck verleihen. Aber noch nie hat sich ein Erzeugniß der Phantasie, wie es jede Utopie ist, so sehr an das Vorhandene anzulehnen verstanden wie BellamysJahr 2000", noch nie war für eine solche Prophetie so viel Wirklichkeitsstoff zur Anknüpfung in der Welt wie in unseren Tagen, wo die Überraschungen der Technik, die Fort­schritte des neuen Kulturmotors, der Elektricitüt, die Erfolge der Verstaatlichung großer Betriebsanstalteu, wie der Eisenbahnen, der Drang der Industrie zu bisher unerhörter Zusammenfassung der Arbeit n. auf große Veränderungen in allen Gebieten des sozialen Lebens Hinweisen.

Und mit großer Kunst hat der ebenso warmherzige wie Phantasiereiche Amerikaner all das Wirkliche zur scheinbar festen Unterlage seines luftigen Baus gemacht, den er als verlockendes Zauberbild in den blauen Aether der Zukunft emporthürmt. Daher das vielerorts anftretende Mißverständniß, dies Werk

eines humoristischen Dichters für ein ernstgemeintes Sozial­reformprogramm zu nehmen; daher die Thatsache, daß eine neue politische Partei in Amerika schon jetzt ihre Forderungen auf Bellamys iUoollinA dnel^vnrcl stützt; daher die Gerüchte, in Boston bestehe bereits ein Verein, der begonnen habe, Bellamys PläneProbeweise" zu verwirklichen! Für den denkenden Menschen richten solche Versuche, den Traum eines Dichters in die rauhe Welt der Wirklichkeit einzuführen, sich selbst. Er weiß, daß dies immer und überall ein vergebliches Beginnen bleibt. Er faßt die luftigen Gespinste einer weitausgreifenden Phantasie als das, was sie sind, als die gestaltgewordene Sehnsucht einer edlen Seele, als ein Bekenntniß zu dem Glauben an den Fortschritt der Menschheit. Und fortschreiten wird die Menschheit, wenn sie auch den Sprung ins Land der Märchen niemals machen wird; fortschreiten wird sie, aber die Weltentwicklung läßt sich nicht meistern, nicht von dem Dichter und nicht von dem Revolutions­manne; fortschreiten wird sie dieser Glaube ist es, der auch um Bellamys Buch eine so große Gemeinde versammelt hat.

Ainstere Mächte

(t. Fortsetzung.) Eine Gauerngeschichte von KLmcrv Weib^ob.

ie Otterhofbüuerin, eine behäbige, dumme, gutmüthige Frau, Erbtochter eines reichet! Vollhufners, bemerkte mit Befremden die Zeichen der Neigung Evas zu einem Knechte; sie konnte sich eine solche Geschmacksverirrung nicht erklären, sie warnte Eva, sich beim Bauer etwas anmerken zu lassen, und schüttelte bedenklich den Kopf, als das Mädchen feuerroth wurde, sowie sie Rupert erwähnte.

Es ist Zeit, daß Du Dich mit dem Burkhard fest versprichst!" sagte sie;Du wirst gar zu wunderlich!"

Den Burkhard will ich nicht!" stieß Eva hervor.

Mir wär' er auch zu roh," sagte die Bäuerin.Gieb

acht, der schlägt Dich in den ersten paar Tagen!"

Ich will ihn nicht!" wiederholte Eva.

Nun ja, das wird sich schon finden," sagte ruhig die Bäuerin.Nimm Dich nur beim Jakob in acht, wenn der merkt, wie sonderbar Du mit dein Rupert bist, wird er fuchswild."

Jakob war aber nicht so blind, nichts zu merken. Er merkte sowohl Evas als Ruperts Liebe, aber seitdem er den letztern schätzen und achten gelernt hatte, konnte er nicht umhin, es höchst begreiflich zu finden, daß ein Mädchen ihn dem rohen, untauglichen, faulen und dabei schmächtigen, unansehnlichen Burkhard vorzog.

Ganz ohne jeve Spur vonFuchswildheit" redete er eines Tages Rnpert, der mit einem Sack Kartoffeln über den Hof ging, darauf an und erklärte ihm, daß auch er es viel lieber sehen würde, wenn die Eva ihn nähme und nicht den Burkhard, daß es aber doch nun einmal zu den Unmöglichkeiten gehöre, so lange er keinen eignen Hof habe, und daß er es sich deshalb ja nicht einfallen lassen solle, mit der Eva je ein Wort von Liebe zu reden, da alsdann seines Bleibens auf dem Hofe nicht mehr tätiger sein könne. Rupert verlegte sich nicht aufs Leugnen, er gab finster zu, daß er Eva liebe und daß er wohl wisse, daß es ganz aussichtslos sei.

Ihr könnt Euch darauf verlassen, Bauer," sagte er bitter, ich weiß, was sich für einen Knecht gehört gegenüber einer reichet! Bauerntochter. Zu einem eignen Hof kann ich's ja doch mein Lebtag nicht bringen!"

Jakob zuckte die Achseln.Ich glaub's selbst nicht, daß Dein Großvater, der alte Schachtelschnitzer, große Schätze in der Truhe hat, und was Deine Mutter beim Lohnspinnen erspart hat, reicht auch wohl nicht aus zu einem eignen Hof, wemlls auch kein besserer zu sein brauchte wie Euerer draußen in der Moor­heide, wo keine Krähe sich satt fressen kann."

Na, Bauer, es könnte doch sein, daß der Moorheidehof einmal dem Rupert gehört," sagte ein Knecht, der schon eine Weile gehorcht hatte, indem er jetzt näher trat.Gestern Halls in der ,Blauen Schwalbe' beim Kegelschieben Schlägerei gegeben, und da ist der Burkhard so übel zugerichtet worden, daß er daheim hinterm Ofen sitzt und vom Doktor hat vernäht werden müssen."

Das ist nicht das erste Mal," sagte Rupert, während Jakobs Augenbrauen sich in verhaltenem Zorne über den rauflustigen

Neffen finster zusammenzogen.Wer am Werktage zum Kegel­schieben geht, trifft dort nichts als Tagediebe und schlechtes Ge­sindel, da gieblls immer Keilerei."

Diesmal hat er aber einen so bösen Hieb bekommen, daß es das nächstemal nur eilt bißchen tiefer zu gehen braucht, dann gehört der Hof dem Rupert," bemerkte der Knecht.

Schweich!" fuhr ihn der Otterhofbauer an, froh, seinen Grimm an jemand auslassen zu können.Setz' dem Rupert nicht solche Mucken in den Kopf; über so was hat schon gar mancher so lang gegrübelt, bis er dann selber nachgeholfen hat und zum Mörder geworden ist."

Zum Mörder,, der Rupert?" rief der Knecht.Nein, Bauer, so Hab' ich's nicht gemeint, ich meine nur, es könnte sich ganz gut zufällig mit einem andern so fügen. Der Burkhard trinkt und rauft das ganze Jahr, da kann es doch leicht ge­schehen, daß einer einmal zu gut trifft. Zum Mörder braucht darum der Rnpert nicht zu werden."

Jakob entfernte sich brummend, und nun sagte der Knecht zu Rupert:Weißt Du auch, worüber sie gestern in der Mauen Schwalbe' gerauft haben? Es hatte einer den Burkhard damit gehänselt, daß Du sehr in Gunst ständest bei der Eva. Also nimm Dich vor ihm in acht! Dem, der das gesagt hat, hat er gleich mit dem, Messer geantwortet, der versteht keinen Spaß!"

Rupert zuckte die Achseln und trug schweigend den Sack in den Keller hinab.

Scheu blieben auf dem Otterhofe die aus- und eingehenden Knechte vor den Fenstern der Stube stehen, in der sich der Bauer aufzuhalteu Pflegte, und horchten auf die lauten, zornigen Stimmen, die immer heftiger herausschallten. Burkhard war, nothdürftig genesen, zu seinem Oheim gestürzt und setzte diesen heftig darüber zur Rede, daß er eine Liebschaft zwischen dem Rupert und der Eva duldete. Der Otterhofbauer war aber nicht der Mann, der sich zur Rede setzen ließ, und Burkhard merkte alsbald, daß er mit seinen Drohungen und Vorwürfen an den Unrechten gekommen war; er fing an, sich vor Jakobs maßlosem Zorn zu ängstigen, und verfiel in ein scheues, finsteres Schweigen, während Jakobs donnernde Stimme noch lange im ganzen Hause gehört wurde.

Und jetzt mach', daß Du hinauskommst, Tagedieb, Tauge­nichts, Raufbold!" schloß Jakob seine niederschmetternde Straf­predigt.Dir Ev' nimmt keinen, der nicht auf eignem Grund und Boden sitzt, das weißt Du so gut wie ich, aber Dich nimmt sie auch nur, wenn Du ganz anders wirst. -- Da kommt der Rupert," fuhr er fort mit einem Blick in den Hof.Verhalt Dich still, verstanden? Kein Wort sprichst Du mit ihm, oder ich fahr'. Dir dazwischen, daß Dir Hören und Sehen vergeht!"

Rupert trat in die Stube und wars einen erstaunten Blick auf seinen mit verbissener, düsterer Miene in einer entfernten Ecke