Heft 
(1890) 50
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stehenden Bruder; er begrüßte ihn kurz und wandte sich dann zu dem Bauer, der noch immer aufgeregt hin und her ging.

Meine Mutter war hier, Bauer," begann er;sie sagt, der Herr Förster hätt' erlaubt, daß sich mein Großvater droben an der Klausenschlucht Tannenzweige holt zur Streu für sein Stück Vieh. Der alte Mann kann nicht selbst hinauf, da wollt' ich Euch bitten, daß Ihr mich auf ein paar Stunden hinauftaßt, die Mutter wünscht's."

Tannenzweige zur Streu!" höhnte Burkhard aus seiner Ecke.Das giebt einen feinen Dünger! Aber freilich, für die Paar Kartoffeln, die Dein Großvater zieht, wird er gut genug sein!"

Mit Dir red' ich nicht!" sagte.Rupert barsch.

Meinst Dil, ich ließ' nur den Mund verbieten und noch dazu von einem Knecht?" fuhr Burkhard auf und stürzte ohne weiteres mit erhobenen Fausten auf Rupert los. Dieser packte ihn aber mit eisernem Griff an der Kehle und in der nächsten Sekunde lag Burkhard der Länge nach auf dem Boden. Gewandt wie eine Katze sprang er wieder auf, aber die rauhe, kraftvolle Faust des Otterhofbauern verhinderte die Fortsetzung des Kampfes. Er packte jeden der Gegner, die mit funkelnden Augen sich maßen, am Arm und hielt sie auseinander.

Haltet Ruh'!" donnerte er.Rupert, der Burkhard ist mein Neffe und Dn bist mein Knecht, das vergiß nie wieder! Geh' jetzt, hol sür Deinen Großvater die Tannenstren, aber um sechs Uhr bist Dn wieder hier und fährst die Dreschmaschine hinunter auf den Unterhvf!"

Rupert ging schweigend hinaus.

Dn bleibst, bis er fort ist!" sagte Jakob zu Burkhard. Wenn Ihr jetzt hintereinander kämt, so güb' es blutige Köpfe!"

Wir werden scholl hintereinander kommen, dafür steh' ich Euch, Ohm!" murmelte Burkhard, indem er mit feindseligem Blick in den Hof sah, wo Rupert, mit einer Axt, Strohseilen lind einem schweren Hackklotz versehen, eben sich zum Fortgehen rüstete. Am Röhrenbrunnen stand Eva, die den Salat für das Abendessen wusch; Rupert trat auf sie zu, und Burkhard sah, wie sie ihm die Hand gab. Burkhards Augen funkelten und er­preßte halblaute Drohungen zwischen den Zähnen hervor.

Ans einem der Ställe kam Magnus gelaufen.

Wo gehst Du hin, Rupert?" rief er,nimm mich mit!"

Das geht nicht," entgegnete Rupert freundlich,ich gehe hinauf in die Klausenschlucht, wo die schwarzen Felsen und der große Wasserfall sind; da darfst Dn nicht mitgehen. Das ist zu weit für Deine kurzen Beinchen und Dil könntest auch in den Wasserfall stürzen."

Ich könnte mein Schiffchen Hineinsetzen!" rief Magnus mit leuchtenden Augen.

Dein Schiffchen segelt viel besser im Brunnentrog oder auf dem Mühlbach," erwiderte Rupert.

Magnus wollte noch weiter drängen, aber jetzt rief der Otterhofbauer durch das Fenster ihm in strengem Tone zu, er müsse da bleiben, die Klausenschlucht sei zu gefährlich für ihn.

Rupert verließ den Hof. Am Thore schaute er sich noch einmal nach Eva um, die, noch immer am Brunnen, Magnus' stets schmutziges Gesichtchen mit einem Zipfel seiner Kittelschürze abwusch; sie hütete sich ängstlich, sich nach Rupert umzuwenden, denn sie hatte Burkhard am Fenster stehen sehen. Kurz darauf kam dieser am Brunnen , vorüber; er blieb stehen und betrachtete Eva mit Blicken, aus denen weit eher Haß als Liebe sprach.

Wann gehst Du denn wieder zum Tanz?" fragte er in grobem Tone.Das ist ja ganz wunderlich, daß Du da nie mehr zu sehen bist!"

Es läuft ja immer auf eine Schlägerei hinaus," entgegnete Eva kurz;daraus mach'ich mir nichts. Du magst's schon eher gewöhnt sein, drum geh' Dn nur hin!"

Kommst Du nächsten Sonntag?" fragte Burkhard in einem Tone heimlicher Drohung.

Nein, da ist Kindtauf' beim Rainbauer. Da geh' ich hui."

So! Der Rainbauer ladet wohl auch die Knechte ein zur Kindtauf', drum gehst Du hin?" höhnte Burkhard grimmig.

Eva zuckte die Achseln. Dann nahm sie ihre Salatschüssel auf, ließ Burkhard ohne Gruß stehen und ging ins Haus zurück. Burkhard sah ihr eine Weile nach, dann verließ anch er den Hof..

Im Hausflur begegnete Eva dem kleinen Magnus, der mit seinem Segelschiffchen zur Thür hinaus wollte-

Wo gehst Du hiil?" fragte sie zerstreut, das Herz noch voll zorniger Erregung über Burkhards Reden.

An den Mühlbach." erwiderte Magnus.

Fall' ja nicht hinein!" warnte Eva.

Nein, nein!" versicherte Magnus.

Er schlüpfte eiligst hinaus.

Die Nebel, die aus den Wiesenthälern anfftiegen, verkündeten das Nahen des Abends.

Die Dreschmaschine, die um sechs Uhr in den Unterhvf ge­fahren werden sollte, war aus der Scheuer herausgeschoben worden; aber nun stand sie verlassen im Hof und niemand dachte daran, die Pferde anzuschirren. Im Otterhose herrschte Be stürzung und Aufregung, denn bereits seit zwei Stunden ver­mißte man den kleinen Magnus, und alle Bewohner des Hofes, alle Nachbarn waren unterwegs, um ihn zu suchen. Einige durch- stöberten mit Stallgen den nur wenige Fuß tiefen Mühlbach; das Wehr war gerade geschlossen gewesen und das Mühlrad gestellt, so daß bald festgestellt werden konnte, daß das Kind nicht darill lag; andere liefen die Landstraße entlang oder suchten im Walde. Der kleine Gänsehirte dachte an den Ententeich hinter der Hut wiese, und da Magnus mit seinem Segelschiffchen weggegangen war, eilte er dorthin.

Der Otterhofbauer, der mit angstgefoltertem Herzen es kaum über sich vermochte, äußerlich ruhig zu bleibell, kam auf den Ge­danken, Magnus könnte seinem geliebten Rupert in die Klausen­schlucht uachgefolgt sein, und machte sich schleunigst auf den Weg dorthin; er sagte keinem Mellschell etwas davoll, er wollte allein sein nlit seiner Angst, deren er sich vor Zeugen geschämt Hütte. Er­halte sein Weib zu einer Nachbarin sagen hören:Der Jakob ist ganz auseinander vor Angst," und ihm, der so stolz auf seine kaltblütige Ruhe war, hatte das einen empfindlichen Stich ins Herz gegeben.

Die Ruhe, mit der iuzwischeu die Bäueriu die Kartoffeln zur Abendsuppe schälte und in Scheiben in den Topf schnitt, war keine erkünstelte; es kam ja hundertmal vor, daß Kinder sich ver­liefen, es war ganz in der Ordnung, daß man sie suchte, aber wozu diese erregten Gesichter, das Hin- und Herlaufen, diese Auf­regung, als wäre etwas Unerhörtes geschehen? Es war gut, dachte die Bäuerin, daß sie vernünftiger war! Sie allein war daheim geblieben und that gelassen die liegengebliebene Arbeit; auch die Abendsuppe ihres Söhnchens, die Eva bereits gekocht hatte, hielt sie sorgfältig warm und hütete sie vor dem Neberkochen.

Jetzt sah sie den kleinen Gänsehirten in größter Eile über den Hof laufen.So, der )vird ihn wohl gefunden haben," dachte sie, den Topf mit Magnus' Suppe etwas zur Seite schiebend, um sie abkühlen zu lassen. Magnus nichts Heißes.

Bäuerin, Bäuerin!" rief athemlos der Gänsehirt,der Magnus liegt drüben am Ententeich, dicht am Rande. Er ist ganz naß und zittert so, daß er- nicht gehen kann. Zum Tragen ist er mir zu schwer, kommt schnell!"

Bleib' hier in der Küche, Peterle, es ist sonst niemand daheim," sagte die Bäuerin, sich die Hände an der Schürze ab­wischend.Wenn der Speck geschmolzen ist, kannst Dn die Zwiebeln Hineinthun."

So schnell, wie ihre Behäbigkeit es erlaubte, eilte sie über die Hutwiese, über welcher der Nebel dick und feucht lag, auf den Ententeich zu; an seinen! mit einzelnem Strauchwerk bepflanzten Rand fand sie Magnus, ganz in sich zusammengekauert, mit nassen Kleidern, zitternd und wimmernd.

Was hast Du denn angestellt, Du böser Bub'?" fragte sie, indem sie ihn in die Arme nahm;bist in den Teich ge­fallen?"

Magnus' Zähne klapperten, er gab keine Antwort.

Wirst Dich recht verkästet haben," sagte die Mutter, und noch schneller, als sie gekommen war, eilte sie auf den Hof zurück. Dort zog sie Magnus aus, rieb ihn mit warmen Tüchern, steckte ihn in sein anit vielen heißen Steinkrügen erwärmtes Bett, gab ihm die bereitgehaltene Suppe und hieß ihn schlafen. Da sie sah, daß er zum Erzählen M; erschöpft war, fragte sie. ihn nichtstveiter ans; es war ja auch ganz unwichtig, zu erfahren, was ihm ge­schehen war. Nach einigen Minuten ging sie leise zur Kammer­thür und sah nach, ob Magnus schlief; er lag wach, erhitzt und aufgeregt in seinen Kissen-