Heft 
(1890) 50
Seite
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Mutter, Mutter, geh nicht fort!" rief er, als er die Bäuerin erblickte.

Warum nicht?" eutgeguete sie.Du fürchtest Dich doch nicht? Ich will mein Spinnrad holen und mich zu Dir setzen."

Nein, nein, bleib hier!" sagte Magnus aufgeregt und weinerlich.Hol Dein Spinnrad nicht! Wenn Du hinausgehst, kommst Du nicht wieder herein!"

Die Bäuerin setzte sich auf eine Truhe und blieb ruhig sitzen, bis tiefe, ruhige, wenn auch etwas heisere Athemzüge ihr an- kündigten, daß der kleine Ausreißer fest eingeschlafen war.

Peter war mittlerweile herumgelaufcn und hatte die Nach­richt von Magnus' Rückkehr verbreitet. Zum Otterhofbauer wäre sie wohl nicht gedrungen, denn an die Klausenschlucht dachte nie­mand; dieser aber war nach einiger Zeit von selbst umgekehrt, um, von planloser Unruhe getrieben, noch einmal, che er weiter ging, auf dem Hofe nachzusehen, ob man Magnus nicht etwa ge­sunden habe. Eine Centnerlast fiel ihm vom Herzen, als er er­fuhr, daß sein Liebling ruhig schlafend und unverletzt im Bette liege; am liebsten hätte er laut aufgeweint oder laut aufgejnbelt; aber keins von beiden that er und versagte es sich sogar, in die Kammer zu gehen und sich an dem Anblick des Wiedergesundellen Kindes zu weiden; es galt jetzt doppelt, allen Leuten, die ihm die Angst angemerkt hatten, Ruhe zu zeigen.

Er bemerkte sofort die Dreschmaschine und fragte unwillig, ob Rupert noch nicht zurückgekommen sei. Die Knechte wußten nichts, sie waren bloß herumgelanfen, Magnus zu suchen. Da vor Einbruch der Nacht viel versäumte Arbeit nachzuhvlen war, so war niemand da, um die Dreschmaschine auf den Unterhof zu fahren, und nach einer halben Stunde ungeduldigen Wartens machte sich Jakob zum zweitenmal auf den Weg zur Klausenschlucht, um nachzusehen, wo Rupert so lange bliebe. Bei dessen Pünktlichkeit und Pflichttreue war anzuuehmen, daß ihm ein Unfall zugestoßen sei: dennoch ging Jakob viel leichteren Herzens als vorhin den steilen, felsigen Pfad hinauf, der in die Klausenschlucht führte.

Es war eine unheimliche, öde Gegend; der Pfad führte hoch hinauf in den Wald oberhalb des Wasserfalles und wurde nur zu Zeiten, wenn dort oben Holz gefällt wurde, von Waldarbeitern betreten, sonst war er stets unbegangen. Eng wand er sich zwischen dem hohen, aus Felsstücken und Geröll bestehenden Ab­hang, auf dessen Höhe düstere Tannenwaldungen sich meilenweit erstreckten, und dem mit starkem Gefälle gurgelnd und rauschend hernnterschießenden Wasser empor. - Oberhalb des Wasserfalles wurde die Schlucht breiter und der Pfad führte vom Wasser ab, seitwärts in den Tannenwald, dessen dunkle Tiefen ins Unendliche zu führen'schienen.

Bis zum Wasserfall aber brauchte Jakob nicht zu gehen. Scholl halbwegs traf er mit Rupert zusammen. Dieser saß auf einem Stein am Rande des Wassers, in gebeugter müder Haltung, mit bleichem verstörten Gesicht, über welches Blut herabrieselte; auch seine Kleider und seine Hände waren blutig und seine von Bült verklebten Haare Zeugten voll einer Wunde am Kopfe. Er achtete nicht auf Jakobs Nahen und blickte nicht zu ihm ans, als dieser vor ihm stehen blieb.

Na, Rupert, was ist Dir denn geschehen?" fragte der Bauer in mehr unzufriedenem als mitleidigem Tone.

Nichts," erwiderte Rupert, dumpf vor sich hinftarrend.

Nichts? Du blutest aber!"

Rupert fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe, als müßte er sich überzeugen, daß er verwundet sei. Dann zog er sein Taschentuch hervor und begann es zusammenzulegen, um sich damit zu verbinden.

Komm nach Haus!" sagte Jakob,Du bist schlimm zu­gerichtet und hast Deine fünf Sinne nicht mehr beisammen. Kannst Du nicht einmal sagen, was Dir geschehen ist?"

Ich bin gestürzt," erwiderte Rupert mit matter Stimme. Sagt es dem Vater und der Mutter nicht!"

Ruperts verstörtes Wesen siel dem Bauer auf; er sah ihn scharf an und fragte mit finster gekrauster Stirn:

Sag', Bursche, Du hast doch nicht etwa Streit mit dem Burkhard gehabt? Hat der niederträchtige Raufbold seinen eigeneil Bruder ..."

Nein, nein!" unterbrach ihn Rupert hastig;ich bin ge­stürzt. Sagt's dem Vater nicht!"

Steh' auf und komm nach Hause!" wiederholte Jakob.

Rupert erhob sich wankend. Aber der kraftvolle Arm des Otterhofbauern war eine wirksame Stütze, lind so gelangte der Verwundete in vcrhältnißmäßig kurzer Zeit ans den Hof. Die Knechte und Mägde liefen aus allen Ecken zusammen und um­ringten ihn mit lauten Schreckensrnfen.

Hat das der Burkhard gethan?" riefen mehrere mit Empörung.

Nein, ich bin gestürzt," erwiderte Rupert.

Du hast aber eine Wunde an der Stirn und eine am Hinterkopf," sagte einer der Knechte,Du kannst doch nicht ans den Vorder- und Hinterkopf zugleich gefallen sein?"

Wo hast Du Deiil Handwerkszeug, Deine Axt und Deinen Klotz?" fragte ein anderer.

Das liegt alles oben in der Klausenschlncht," erwiderte Rupert;thnt mir den Gefallen und holt cs mir!"

Ebeil fuhr in stillem Korbwägelchen der Dvckenförther Arzt am Hvfthore vorüber. Rasch eilte Eva, die bisher wie gelähmt vor Schreck, stumm und regungslos dagcstanden hatte, dem leichten Gefährt nach. Der Arzt hörte ihr angstvolles Rufen und hielt sein Pferd an. Athemlos und mit Thrünen in den Augen er­zählte ihm Eva, daß Rupert gestürzt und schwer verletzt sei.

So such' nach reinem alten Leinen und reiße es in lange Streifen!" sagte der Arzt, und, sein Pferd wendend, fuhr er in den Otterhof.

Rupert war in seine Kammer geführt worden, und der Otterhofbauer, der bei Unglücksfällen stets selbst Zugriff, ohne sich erst umzusehen, ob sich kein anderer dazu verstünde, wusch eigen­händig die Kopfwunden, während die Mägde frisches Wasser herbeischafsten und das blutige hinaustrugen. Der Arzt kam hinzu, verband die Wunden mit schneller, geschickter Hand und sagte, sie Hütten nichts zu bedeuten.

Er ist aber nicht recht bei sich," bemerkte der Bauer.Er ist ganz duselig und dümelig lind kann nicht einmal erzähleil, wie er eigentlich gestürzt ist."

Gestürzt ist er allerdings und zwar ans den Hintcrkopf," sagte der Arzt.Rupert, wo hast Du die Stirnwunde her?"

Rupert lag ans dem Bette mit geschlossenen Angen, in einer Art Halbschlummer; das Verbinden hatte ihn sehr erschöpft. Er öffnete jetzt die Augen und murmelte:Ich bin gestürzt."

Dil hast einen gewaltigen Schlag gegen den Kopf erhalten und bist hingestürzt," sagte der Arzt.Wer hat Dir den Schlag gegeben?"

Rupert schwieg.

Der Schlag rührt von etwas Stumpfem her," sagte der Arzt,voll einem Hammer zum Beispiel."

Ich glaube, er hat mit dem Burkhard Streit gehabt," be­merkte der Bauer.Mall merkt ihm all, daß er etwas nicht sagen will. Die zwei sind gewiß hintereinander gekommen!"

Die eigenen Brüder!" sagte der Arzt.Da kann ich ja gleich auf den Moorheidehvf fahren und Nachsehen, ob der Burk­hard auch Löcher im Kopfe hat!"

Ich bitte, Herr Doktor, sehen Sie sich erst noch den Magnus an," sagte Zögernd der Bauer.Er ist heute nachmittag in den 'Ententeich gefallen."

So? Nichts als Unglück heute bei Euch, Bauer! Na, ein kühles Bad wird dem strammen Bürschchen nichts anhaben können! Ich will aber doch nach ihm sehen."

Er folgte dem Otterhofbauer in die Kammer, wo Magnus fest schlief. Der Arzt befühlte und behorchte ihn und konnte dem angstvoll zusehenden Vater die Versicherung geben, daß nur etwas Schnupfen zu befürchten sei.

Mit Rupert wird es auch bald besser werden," bemerkte er im Weggehen.Er ist noch betäubt voll dem heftigen Schlage, er wird bald wieder zu klarerem Bewußtsein kommen."

Er bestieg sein Kvrbwägelchen und fuhr davoll, während Jakob die Pferde aus. dem Stalle zog, um selbst die Dresch­maschine auf den Unterhof zu brillgell, wo am andern Morgen Punkt vier Uhr das Dreschen beginnen sollte, die Maschine also geheizt und zum Betriebe fertig still mußte.

Da erschienen am Hvfthore ein paar dunkle, in Lumpen ge­hüllte, kräftige Gestalten, die in der mittlerweile hereingebrochencn Dunkelheit ein unheimliches Aussehen hatten; sie traten näher, und Jakob erkannte, daß es Waldarbeiter waren, wie mall sie in der Klanseilschlucht und an anderen schwer zugänglicheil Stellen der großen Waldungen anzntressen pflegt, in denen die bessereil Holzknechte nicht arbeiten wollen.