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„Guten Abend, Bauer," sagte der eine, seinen breiten Filzhut lüftend. „Wir kommen vom Moorheidehof; wir haben dem Bauern Burkhards neuen grünen Hut mit den Pfauenfedern gebracht, der droben in der Schlucht am Wasserfall lag. Der Moorheidler sagt aber, seit vielen Stunden sei Burkhard fort und ^ noch nicht wieder daheim gewesen, und er läßt bei Euch anfragen, ! Bauer, ob er vielleicht hier im Otterhofe sei." ^
„Und hier," sagte ein anderer, während der Otterhvfbauer i verneinend den Kopf schüttelte, „ist Ruperts großes Gartenmesser, - das lag auch am Rande des Wasserfalles, und hier sind seine Axt und sein Hackklotz. Aber der ist ganz voll Blut und sein Messer auch!"
Den Otterhofbauer überrieselte es kalt. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke, daß hier etwas Schreckliches an den Tag komme, und mit einem Gefühle des Abscheus nahm er die blutbefleckten Gegenstände in Empfang.
„Die Bündel Tannengezweig, die Rupert zusammengebuuden hatte, haben wir zum alten Schachtelschnitzer geschafft," bemerkte einer der Waldarbeiter.
„Gut," sagte Jakob kurz, „ich will Euch einen halben Tagelohn bezahlen. Dafür geht Ihr zurück nach Dockenförth und sagt meinem Schwager, Burkhard sei nicht hier."
„Das wird er nicht anders erwartet haben," sagte der erste Waldarbeiter. „Er meinte gleich, Burkhard sei in den Wasserfall gestürzt. Gerade oberhalb des stärksten Gefälles, wo die Steine den Bach noch dämmen, lag sein Hut am Wasser und Ruperts Messer daneben."
„Ja, Ruperts Messer daneben!" wiederholte ein anderer mit Betonung; „wir haben's dem Moorheidler gar nicht gezeigt."
„Geht!" befahl der Otterhofbauer. „Geht!" donnerte er mit der Stimme eines gereizten Löwen, als die Leute noch zögerten. Wie gescheuchte Unglücksraben stoben sie davon und verschwanden im Dunkeln.
Der Bauer stürzte in die Stube, nahm das Oellämpchen von der Wand und ging damit in Ruperts Kammer.
Dieser lag nicht mehr auf dem Bette; er hatte Licht gemacht, saß auf einem Schemel und starrte still vor sich hin; er fuhr auf, als der Bauer polternd hereinstürzte und ihn mit eisernem Griffe E am Arme packte.
„Mensch, jetzt gesteh', was geschehen ist!" schrie Jakob. „Burkhard ist in der Klausenschlucht gewesen! Warum hast Du's geleugnet? Ihr seid aneinander gekommen, denn Dein blutiges Messer, siehst Du, das Messer hier, hat neben seinem Hut gelegen! Warum hast Du's geleugnet?"
Rupert war leichenblaß geworden und heftig machte er sich aus Jakobs Händen los.
„Bauer, Ihr fragt . . . Ihr fragt so — als glaubtet Ihr . . . als glaubtet Ihr, ich hätte dem Burkhard etwas angethau, als hätte ich ihn gemordet!" rief er mit unheimlich blitzenden Augen.
Den Bauer überlief es wieder kalt.
„An welcher Stelle« hast Du gearbeitet droben in der Schlucht?" fragte er mit erzwungener Ruhe.
„Im Gehölz unterhalb vom großen Wasserfall, hundert Schritt seitwärts über dem Weg," antwortete Rupert, Jakobs Gesicht mit finsteren Blicken prüfend. -
„Und hart am großen Wasserfall, da wo der Bach sich vor dem Sturze staut, hat Deines Bruders Hut gelegen! Und Du hast Burkhard nicht gesehen?"
„Ich habe ihn gesehen, aber ich wollte es nicht sagen," ent- gegnete Rupert nach einigem Zögern. „Er kam herauf und fragte mich, ob ich gutwillig auf die Eva verzichten wolle, sonst wolle er mir jetzt die Fahrkarte in die Hölle besorgen. Ich saß oben auf einer Tanne und, da er nicht klettern kann, so lachte ich und sagte, er solle mich doch holen. Ta nahm er den Klotz, auf dein ich meine Zweige zerhackte, und warf ihn mir so furchtbar au den Kopf, daß ich herunterstürzte, und dann weiß ich nichts mehr von mir."
„Warum hast Du das nicht gleich so erzählt?" fragte Jakob kalt. „Warum hast Du geleugnet, daß Du mit dem Burkhard Streit gehabt hast?"
„Weil sich's der Vater immer so zu Herzen nimmt, wenn mir der Burkhard etwas Böses thut," erwiderte Rupert. „Und dann war mir's auch noch so wüst im Kopf, wie Ihr mich in der Schlucht gefunden habt ... Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, damit der Vater nichts erfährt."
„Und was ist aus Burkhard geworden?"
„Das weiß ich nicht. Ich war ja wie todt!"
„Er scheint in den Wasserfall gestürzt zu sein. Er ist mich nach Hause gekommen und sein Hut lag am Wasser."
Rupert schüttelte den Kopf.
„In den Wasserfall? Wie denn? Er war ganz nüchtern und der' Wasserfall liegt ja ein gut Stück- weiter oben. De) Weg macht da eine starke Biegung seitwärts in die Waldungen da kann selbst im Dunkeln niemand ins Wasser geratheu."
.„Wenn man ihm nicht hineinhilft!" stieß Jakob mit heisere) Stimme hervor; „Du sagst die Wahrheit nicht, Rupert! Wem der Burkhard im Wasser gefunden wird, wenn er nicht doch nock nach Hause kommt, dann sag' ich Dir's ins Gesicht, daß Di Deinen eigenen Bruder erstochen und ins Wasser geworfen hast!"
Ruperts Augen starrten mit gläsernem, hohlem Blick in dae hvchgeröthete Gesicht des Otterhofbauern; wie Angst und Schrecken sprach es aus diesen Augen und wie gelähmt erschien auf Augenblicke seine ganze Gestalt. Dann aber sprang er auf, und in fiebernder Hast, ohne ein Wort zu reden, riß er seine an der Wank hängenden besseren Kleidungsstücke von dem hölzernen Kleiderrechen herunter und schleuderte alles in die Kiste, die seine sonstigen Habseligkeiten enthielt. Dann nahm er die Kiste wie eine Feder auj seine Schulter, stieß den Otterhofbauer zur Seite und trat unter die Thür. Dort aber blieb er stehen, und mit unheimlich aus dem bleichen Gesicht herausblitzenden Augen rief er zurück: „Ich geh' nach Hause, Bauer! Wo man mich für einen Brudermörder hält, bleib' ich nicht!"
„Sv geh'!" sagte Jakob in hartem Tone, „ich halte Dich ^ nicht!"
Rupert ging ohne weiteren Gruß hinaus, aus dem Hause,
! aus dem Hofe; er warf keinen Blick auf Evas erhelltes Fenster,
! nur auf die Dreschmaschine warf er einen, deren rauchloser Schloi ! drohend in die Nacht hineinragte und vor der die Pferde geduldig standen, auf das Anschirren wartend. Ihn ging das nichts mehr an. Auf der finstern Landstraße kamen ihm Bauern aus Docken förth eiligen Schrittes entgegen, sie trugen große Stangen und Laternen; er drückte sich seitwärts in den tiefen Graben und ließ sie vorüberziehen, ebenso den Arzt in seinem Korbwägelchen und den Gendarmen, der in kurzem Galopp auf Wieselbach zusprengtc.
„Sie wollen den Burkhard suchen," murmelte Rupert halblaut vor sich hin. „Ob sie ihn im Wasser finden werden?"
Er dachte nicht daran, sich den Suchenden anzuschließen. Seine Wunde schmerzte furchtbar, Fieber verwirrte ihm die Sinne, so daß er, als die Kiste ihm zu schwer wurde, dieselbe ohne weiteres auf der Landstraße stehen ließ. So kam er in tiefer Nacht auf dem Moorheidehof an.
Am andern Morgen wurde Burkhards Leiche im Wasser gefunden; er hatte eine klaffende Wunde am Kopfe und noch viele am Körper. Am Abend, einem trüben, regenschweren Herbstabend, erschien der Gendarm auf dem Moorheidehof und verhaftete Rupert wegen dringenden Verdachtes, daß er den Burkhard im Streit erstochen und die Leiche in den Wasserfall geschleppt habe.
Eine gebrochene, wankende Greisengestalt begleitete den bleichen, finster dreinschauendeu Rupert zum Leiterwagen, auf welchem dieser neben dem Gendarmen zur Stadt fahren sollte. Es war der Moorheidler, der unter der Wucht des so plötzlich über ihn gekommenen furchtbaren Geschicks bis zur Unkenntlichkeit gealtert war. Seine Hände zitterten, als er des Sohnes Hals zum Abschied umklammerte, aus seinen sanften Augen strömten die Thränen unaufhaltsam. Er küßte Rupert mehrere Male, stand lange an dem in den Angeln niederhängenden Hofthore und schaute dem Leiterwagen nach, der durch die feuchten Dünste der Moorheide dahinfuhr. Au einem der kleinen Giebelfenster des Hauses stand Gertrud und schluchzte in ihre Schürze hinein.
Die Leute., die im Abendzwielicht dem Wagen begegneten, wichen ihm scheu aus und warfen verstörte Blicke auf den regungslos dasitzenden Rupert. Man zweifelte nicht daran, daß Rupert des Mordes in der That schuldig, daß der Verlauf seiner Begegnung mit Burkhard so, wie er ihn erzählte, erlogen sei. Warum hatte er anfangs, als die Leute ihn gefragt, ob Burkhard ihn verwundet habe, verneinend geantwortet? Warum war er so , verstört, so sonderbar gewesen? Und vor allen Dingen, wie sollte ^ Burkhard in den Wasserfall geratheu sein? Ruperts eigne Ver- ^ wundung sowohl als sein blutiges Messer bewiesen, welchen blutigen ! Kampf die Brüder dort oben in der Schlucht mit einander ge-