Heft 
(1890) 50
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kämpft hatten, da war es nur allzu glaubhaft, daß Ruperts über­legene Kraft seinen Bruder das Leben gekostet hatte. Als aber der Leiterwagen, der den Verhafteten zur Stadt brachte, am Otterhofe vorüber fuhr, stürzte Eva heraus und drückte heftig Ruperts Hand.

Ich weiß, daß Du's nicht gethan hast!" rief sie und ihre Augen strahlten im Hochgefühle, ihre Liebe jetzt bethätigen zu können.Laß nur die Leute reden und glauben, was sie wollen, ich weiß, daß Du nicht lügst!"

Rupert erwiderte den Händedruck und sagte mit trübem Lächeln und zuckenden Lippen:Wenn Du nur dabei bleibst, Ev'! Wer weiß, was die klugen Leute vom Amt alles herausbringen! Vielleicht drehen und wenden sie's so, daß sie mich zum Mörder machen."

Wenn Du Dich nicht selbst dazu machst, das Amt macht Dich nicht dazu," sagte der Gendarm streng.

Komm ins Haus, Ev', daß Dich der Bauer nicht sieht!" mahnte eine der Mägde ängstlich.

Sorg' mir für den Vater und für die Mutter, so lang ich fort bin, Eva!" rief ihr Rupert noch zu.

Der Leiterwagen holperte davon, die dunkelnde Landstraße entlang. In den kleinen Bauernhäusern am Wege erloschen all­mählich die Lichter, nächtliche Stille senkte sich ans das Thal, auf die immer mehr in die Ferne schwindenden zerklüfteten Felsmassen des Gebirges; laut und brausend aber schoß in der Tiefe das Gewässer dahin, der Bach aus der Klausenschlucht. (Fortsetzung folgt.)

Die Schlaraffrngrsellschsst.

Von Schmidt-Werhenfeks. Mit Zeichnungen von Werner Jehme.

H^>on allen Gesellschaften unter- ^ haltenden Zwecks ist die Schlaraffia" die einzige, welche eine über die ganze germanische Welt, also außer dem Deutschen Reiche auch über Oesterreich- Ungarn, die Schweiz und Nord­amerika sich verzweigende Aus­dehnung gefunden und durch die Einheit ihres Charakters wie ihrer Gesetze eine eigenartige Bedeu­tung gewonnen hat. Denn nicht bloß die Lust an fröhlicher, künst­lerisch gehobener Geselligkeit führt die Mitglieder zusammen, die, mehr als dreitausend an derZahl, in fünfundneunzig Städten ihre Sitze, ihreBurgen", haben, sondern sie haben sich auch höhere Ziele gesteckt: die Ausbildung eines hilfbereiten Gemeingeistes und jenes ritterlichen Sinnes, der über

Umzug in ein anderes geräumigeres und besser geeignetes Lokal vor, bei welchem schon schlaraffischer Spaß genugsam in Scene gesetzt wurde.

Toller als zuvor sprudelte es nun von Witz und Humor in dieser Gesellschaft. Mit Feuereifer sorgten einzelne immer an den Abenden der Zusammenkünfte für künstlerisch gehobene Unterhaltung. Die vom Orchester spielten auf, die von der Oper ließen sich in Gesängen hören, die vom Schauspiel gaben Vorträge zum besten; in fröhlichem improvisirten Zu­sammenwirken wurde manch Possenspiel getrieben, das mehr und mehr stehende Bedeutung bei bestimmten Veranlassungen und sinnbildliches Gepräge annahm. In: Grunde lief es auf eine Verspottung der Eitel­keiten und Lächerlichkeiten dieser Welt durch eineu feierlichnärrischen Kultus derselben hinaus. Daher die Einführung eines höchst pomphaften Ceremoniells, das namentlich bei der Ausnahme neuer Mitglieder und bei Ertheilung des Ritterschlages zur Geltung kam. Ein mittelalterliches Kauderwelsch bildete sich für verschiedene Bezeichnungen von Dingen und Handlungen aus, Gruß, Beifalls- und Zutrunksruf lauteten anders als bei den gewöhnlichen Menschen. Dazu trat ein komisch-gravitätisch sich bewegendes, mit Schalksmütze stolzirendes Ritterthum, sich spreizender Hofwürden- und Reichsambtsdünkel, unfehlbarer Despotismus des Ober- schlaraffen als des erwählten primus inter pures und demüthig ehrfurchts­voller Gehorsam seiner Reichsunterthanen, die er zum Besten des Schatzes

alles Gemeine und Niedrige erhaben ist. Der rechte Schlaraffe soll in ! in Geldstrafen nehmen oder gar ins schauerliche Burgverließ zu Unken seinem bunten Schalksordenskleid sich äußerlich der profanen Welt und und Ratten werfen lassen konnte. Der Uhu wurde als mächtiger und ihrem Getriebe wie völlig entrückt, als dreihundert Jahre vor ihr geboren ! kluger Wächter, auch als Bote der göttlichen Minerva, zum Schutzpatron wähnen und mit warmem Herzen edlem Menschenthum sich widmen. ' erkoren und in ausgestopfter Leibhaftigkeit auf hohem Throne zur unbe-

, So war es gemeint und so wurde es gehalten in dem kleinen Kreise, der sich einst in zwangloser Geselligkeit beim Hopfentrank aus Pilsen in Prag zu­sammenschloß, und so ist es geblieben in dem jetzt über zwei Erdtheile sich erstreckenden Schlaraffenreich mit seiner in die Tausende angewachsenen Mitgliederschar.

Sagenhaft schon ist der Anfang dieser Schöpfung geworden. Keine Chronik ver­möchte ganz zuverlässig eiuen einzelnen als ihren einzigen Urheber zu bezeichnen. Zumeist waren es Mitglieder des Prager Landes­theaters, die zuerst am 10. Oktober 1859 nach der Vorstellung auf Verabredung in einer Bierwirthschaft zusammenkamen und in lustigen Einfällen sich vergnügten. Damals besaß jene Bühne unter ihrem Direktor Thome einen stattlichen Bestand an jungen, aufstrebenden Talenten, von denen mehr als eines später zu Ruhm uud schönen Erfolgen gelangt ist. Diesem jungen Volk, bei dem theilweis lieb gebliebenes Studententhum mit künstlerischer Genialität sich versetzte, war das Kneipen Helle Lust, und jugendlicher Uebermuth suchte ihm einen idealen Zug zu geben. So entstand dort, was eine so große, ungeahnte Zukunft haben sollte.

Um dieselbe Zeit hatte sich in Prag ein ästhetisch-litterarischer Verein unter dem Namen Arcadia" gebildet, dem auch mehrere Ange­hörige des Theaters beitraten. Als aber ein­mal ein neu angemeldetes Mitglied bei der Ballotage abgelehnt wurde, erklärten in kolle- gialischem Ehrgefühl die schon aufgenommeneu ihr Ausscheiden aus dieser Gesellschaft. Trutzig- lich beschlossen sie, aus der erwähnten lustigen Kneipverbrüderung eine freie Künstlervereini­gung zu machen. Ihr Theaterdirektor schloß sich an und zog einen weiteren Theil seines Personals an sich; ebenso wurden neue Mit­glieder aus anderen Berufskreisen gewonnen. Die auf solche Weise stattlich verstärkte Gesell­schaft taufte sich in absichtlicher Herausforderung gegen die so wählerischen Arcadier unter großem JubelSchlaraffia" und nahm sogleich den

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Oie Verneigung deseinreitenden" Schlarassen vor dem Ilhu.

dingtesten Verehrung aller Genossen und Pilger (das waren die eingeführten Gäste) aufgestellt, später sogar eine Zeitlang durch einen leben­digen ersetzt. Ihm galt der ersteLulugruß" gleich beim Eintritt in dieBurg", den Gesell­schaftssaal. Als bösem Geist, der Uhus Dienst zu stören trachte, gab man einem Pokal den NamenOho", und sowie er sein unheilvolles Wirken spüren ließ, beschwichtigte man ihn durch Trankopfer. Chorgesänge wurden ge­dichtet und komponirt, deren frische Ursprüng­lichkeit und melodische Eigenart noch heute in allenBurgen" weit uud breit ihren bestricken - den Zauber ausübt.

Der Corpsgeist, welcher gegen die Arcadier die Trutzschlaraffen hatte erstehen lassen, kräf­tigte sich durch alle diese heiteren Thaten und Genüsse; er bewirkte eine Brüderlichkeit der Gesinnung, die, wie dreißig Jahre es bewiesen haben, nicht von rasch verrauschender, phrasen­hafter und schnell in Ernüchterung verfallender Flüchtigkeit war, sondern sich auch in för­derndem uud manchmal rettendem Beistand goldrein bewährt hat. Daraus ergab sich eine hingebende Liebe der Prager Schlaraffeu an ihre Schöpfung und ein gerechtfertigter Stolz auf ihre Schalksritterschaft.

Im Anfang des Jahres 1861 hatte eins ihrer Mitglieder den ernsten Einfall, all dies Treiben und den Sinn des Schlaraffenthnms in die regelrechten For­meln eines Reichsstatuts, einesSpie­gels", zu fassen, und mit dessen An­nahme erhielt die Schlaraffia ihre stehende Organisation und trat in ein gefestetes Vereinsverhältniß. Jur we­sentlichen ist dies Statut bis heute maßgebend für alle Erweiterungen geblieben, welche die Gesellschaft erfuhr.

Dasselbe Mitglied derPra- ga", wie sich im besonderen die Schlaraffia jener Stadt nannte, rief dann nach seiner Ueber- siedelung nach Berlin daselbst im Oktober 1865 eine neue