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„Ich verspreche dir, ich bleibe ganz vernünftig."
„Also noch einmal: was willst du?"
„Dir bloß sagen, daß ich dich noch immer lieb Hab' und daß ich all die dummen Worte von damals tief bereue."
„Was nützt das?"
„Ich weiß ja auch, daß du selbst niemals so grausam gewesen wärst. Aber Papa. Der wollte mich eben nur rasch außer Landes haben. Und dann hat ihm alles Drehen und Schieben und Wenden doch nichts genützt."
„Rühr' das nicht mehr auf, du!"
„Ja, ja. Es ist besser so."
„Und auch klüger."
Er zuckte die Achseln. „Mein Vorteil« Hm. Meinst du das? Ja, du siehst, viel klüger hat mich die Erfahrung doch nicht gemacht."
„Gewiß nicht. Denn wenn ich Papa alles sage . . ."
„Das wirst du ja nicht."
„So?!"
„Nein."
„Um dich zu schonen, denkst du?"
„Vielleicht." Sein Blick bohrte sich in den ihren. Er
fühlte in sich trotz ihrer erzwungenen Härte doch wohl so etwas wie Macht über sie. „Und weil's zwischen uns etwas gibt, immer noch, wovon Papa nichts ahnt. Und wovon er nichts zu wissen braucht."
Sie war dunkelrot geworden. „Das ist nicht wahr."
„Asta . . .!"
„Du sollst mich nicht so ansehen ... Du hast kein Recht ..."
Er atmete tief auf. „Ganz vergessen kann man's doch nicht. Wie lieb man sich gehabt hat, wie schön es war
und wie selig . . "
„Schweig!"
„Das hat mir auch das gräßlichste Elend nicht nehmen können: die Erinnerung."
Sie fühlte wieder, daß jene heiße Welle sie überflutete.
Das Zittern meldete sich von neuem in ihren Knien. Eine
wohlige Erschöpfung überkam sie.
Noch ehe sie entrinnen konnte, war er wieder bei ihr und umarmte, küßte sie.
Nun geriet sie ins Weinen. Aber er küßte ihr die Tränen weg. Eine wilde Zärtlichkeit, die ihr Schmerz bereitete, lag in ihm. Er hatte sich nicht verändert.
„Ich tu dir ja nichts, ich tu dir ja nichts," sagte er immer wieder, halblaut und zärtlich, während er sie zwang, sich zu setzen. Er behielt ihre Hände, küßte ihre Finger, die Handflächen, preßte sie an seine heißgewordenen Wangen und ließ schließlich sein Gesicht in ihren Schoß sinken.
Sie sah blendend aus in dieser Stunde: hatte sie sich doch für Sabine, die sie immer bewunderte, besonders hübsch machen wollen. Sie trug ein Teekleid von weißem Seidenmusselin, mit Stickerei und Spitzen ganz durchsetzt. Es öffnete sich über einem mattblauen Unterkleid. Die weit ausfallenden weißen Halbärmel bekamen durch die hellblauen mit Spitzen besetzten Unterärmel einen matten blauen Schimmer. Die stimmungsvolle Pracht berauschte ihn geradezu.
„Laß uns doch von damals sprechen, Asta," sagte er leise und bittend, indem er liebkosend über die weißen Stoffe strich und Asta wieder und wieder zart auf die sich ihm enthüllenden Arme küßte. „Warum willst du nicht, Liebling?"
„Wenn das Mädchen kommt — oder Papa — du, es gibt eine Szene, ich weiß es. Und das ist mir doch so gräßlich! — Laß mich, so laß mich doch!"
„Ich tue dir nichts. Du kannst mit mir machen, was du willst."
„Mühsam hat man sich durchgesetzt, und jetzt kommst du und wirst einem alles über den Haufen werfen."
„Bin ich je schlecht zu dir gewesen? Ich Hab dich bloß lieb. Trotz allem. — Asta, weißt du noch, damals, wo wir die Fahrt nach Thale im Harz gemacht haben?"
„Sprich nicht davon. Es muß, es muß, es muß vergessen sein."
„Ach du! Und anderen Tags in der Frühe! — Du standst auf dem Balkon in deiner fliederfarbenen Matinee in der Sonne! Weißt du noch, ich hatte Rosen bestellt? Da war nun der Riesenstrauß im Zimmer — der Duft und die Farbe! Und du kamst immer wieder herein und lachtest und stecktest das Gesicht in den Strauß und küßtest die Blumen! Es waren Teerosen, nicht?"
„Malmaison . . .!" Sie hatte es halblaut in versunkenem Ton gesagt. Die Szene war mit dem ganzen Zauber ihres jungen Frauenglücks im Glanz jenes ersten leichtsinnigen Jahres mit den kostspieligen Reisen und all den verschwenderischen Extravaganzen, die mit zum Ruin geführt hatten, vor ihren Sinnen aufgetaucht. Sie sah sich selbst in ihrem koketten Gewand mit dem noch gelösten Haar, für dessen goldigen Schimmer er sich immer so begeistert hatte, sie atmete die Bergluft und den Rosenduft, und ihr Ohr umschmeichelte der Ton der neckenden, lustigen, übermütigen Stimme ihres jungen Gatten. Erschrocken fuhr sie auf. Sie faßte sich an die Kehle. „Torheit, Torheit! Ach, wie schlecht du doch bist!"
Er hielt sie umschlungen und küßte sie. Aber jetzt lachten seine jungen Augen, die vorher so traurig, fast hoffnungslos geblickt hatten.
„Bin ich wirklich so schlecht?" fragte er zärtlich. „Weil ich davon spreche? Soll ich auch nicht mehr daran denken? — Du, und weißt du noch, in Hamburg nach dem Derby, damals, wo ich den ersten Preis gekriegt habe? Ach, im Hamburger Hof abends, am Fenster. Du, die Alster mit den Lichtern, und die Musik im Pavillon. Nein, das vergißt man nicht. An dem Tag Haft du das Heliotropkleid mit der flandrischen Spitze gehabt und den wundervollen Pariser Hut dazu. Er hatte die Farbe von: Kleid, war aber von einem Spitzenschleier verhüllt, der vorn eine Rose trug. Ich weiß es noch genau, wie? Und sie waren alle rein
weg in dich. Du, der kleine Graf Saldern, der Neid, was? . . . Wenn ich draußen dran dachte, mußt' ich oft noch lachen. Aber dann kam immer wieder eine Eifersucht, eine Eifersucht, ach . . .!"
Nun sträubte sie sich nicht mehr. Sie hatte sich in den
trüben Zwischenzeiten ja auch oft genug an all diesen heißen
oder festlichen, bunten, glitzernden Erinnerungen berauscht. So schwatzten sie denn, schwatzten, und verloren die Brücke zur Gegenwart.
Bis es acht Uhr schlug und Asta entsetzt aufsuhr.
„In zehn Minuten ist Papa da; der darf dich nicht mehr hier antreffen!"
„Aber ich darf doch kommen, heimlich, dann und wann, nur auf ein paar Minuten?"
„Wozu? Man wird nur elend davon. Der Gram, daß
es damals so fürchterlich hat enden müssen. Hoch oben und
glücklich — und dann mit eins unters Pack gestoßen. Nein, nein, nein, geh, es führt zu nichts!"
„Asta . . .!"
„Ich sorge dafür, daß Papa dir hilft. Verlaß dich drauf. Aber laß mich auch meinen Weg gehen. Und — sei nicht schlecht, Theo!"
Er lächelte und strich liebkosend über ihre widerwillig zuckende Hand. „Wenn ich jetzt bloß das große Los gewinnen könnte! Recht rasch! Du, was meinst du?"
„Ach, wie kindisch du noch immer reden kannst."
„Nein, ganz im Ernst einmal. Sag doch, 'ne Million in der Tasche . . . oder 'ne halbe . . . und 'nen Rosenstrauß in der Hand. Was? Kämst du dann mit?"
Sie sah ihn zornig an. „Mit dir?" rief sie. „Wie denkst du dir das?"
„Wieder heiraten. So denk ich mir's."
„Schweig. Ich mag nichts mehr hören. Ich will nicht, will nicht, will nicht!"