Heft 
(1906) 07
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sind ausgereift, abgewogen und abgeklärt bis ins Letzte. Er kennt kein oberflächlich genialisches Hinwerfen, er legt seine Liebe in jede Einzelheit wie in die Komposition, er behandelt jede Zeichnung als ein Bild. Man hat Oberländer nach dieser Richtung sicher noch gar nicht genug gewürdigt.

Er ist ein Meister der Komposition, und in den Tausen­den von Zeichnun­gen, die er für dieFliegenden" vollendet hat, stek- ken wenigstens Hunderte von Bil­dern, die nur der Übersetzung in die Farbe und ein größeres Format harren. Das hat sich ganz überraschend gezeigt, als er vor etwa zehn Jahren zu malen begann.

Eine Anzahl der farbigen Bilder, mit denen er der Welt bewies, daß der Oberländer auch noch was anderes kann, als mit der Feder zeichnen, geht auf alte Illu­strationen aus denFliegenden Blättern" zurück. Das pompöse große AquarellNoahs Weinschenke" bildet den Schluß einer Vilderserie von 1878:Wie Noah den Wein erfand"; dasParadies", das im Vorjahre Aufsehen machte, war als Zeichnung schon vor 25 Jahren in denFliegenden Blättern" zu sehen, und derKampf mit dem Drachen", dies gemütlich parodistische Ritterstück, war in seinen Uranfängen das Kopfstück zu einer BalladeHinko von Donnershorst, der finstere Ritter". Oberländer hat das Gebiet des humoristischen Zeichners allein nie genügt. Seit ihn die Not ums Brot von der Malerei

weg auf dies Gebiet führte, und seit ihn der Erfolg auf diesem Felde erhielt, hat ihn die Sehnsucht, zu malen, Bildmäßiges zu schaffen, nie verlassen. Und diese Sehnsucht lebte er nun

auf ganz eigene, für den, der näher zusieht, rührende Art in ^ seinen Zeichnungen aus. Wo ein anderer sich mit ein paar lustigenFigurenbe- gnügt hätte, gab er eine wertvolle und reiche Komposi­tion, gab er dekora­tive Schöpfungen, Stimmungen, oft neben dem Hu­mor lyrische Poe­sie. Wie eminent malerisch Ober­länder alles sah, haben wohl die wenigsten bemerkt; der feine Strich seiner Federzeich­nung täuschte dar­über weg. Oft ge­nug brauchte es, wie schon angedeu­tet, nur einer gerin­gen Umarbeitung, und es würden bei entsprechender Vergrößerung schöne und ernsthafte Wand- und Staffeleibilder aus seinen übermütigen Illustrationen. Wenn er eine Landschaft als Hintergrund der Szene ausführt, so ist sie oft geradezu schön, manchmal großartig, immer charakteristisch. Ein feiner Humor steckt auch oft in diesen Landschaften, ein so feiner, daß ihn nicht viele als Humor verstehen. Gesehen ist alles an Menschen, Tieren und Dingen, nichts gleichgültig, alles eindringlich behandelt in allem steckt Liebe. Und das ist ein alter und wahrer Satz: Die Liebe, die ein Künstler an sein Werk wendet, kommt als Intensität der Wirkung immer wieder zum Vorschein. Auch in der

Der Biß in die Zitrone.

(Aus dem Skizzenbuch des kleinen Moritz-)