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Kunst geht keine Kraft verloren, und je mehr einer Leim Schaffen gewollt und gedacht hat, um so stärker wird er den Genießenden festhalten, um so länger wird diesem der Genuß dauern. Daß ist gewiß nicht der unbedeutendste von den Gründen, wegen deren uns Oberländers Meisterstücke so fest im Gedächtnis haften, die seine Volkstümlichkeit ausmachen.
Er ist ein Mann, der denkt.
Das versteht sich Lei einem echten Humoristen eigentlich auch von selbst. Man sieht ihn viel einsam durch die Straßen gehen. Da sammelt er dann seine Beobachtungen auf, Beobachtungen in unendlicher Menge.
Er wiederholt sich eigentlich nie. Immer findet er wieder neue Spielarten der Spezies, die er mit Vorliebe darstellt.
Mit Vorliebe? Eigentlich kennt er keine, sondern seine Liebe gehört so ziemlich allem, was da kreucht und fleucht, kroch und flog, vom Saurier der Sekundärzeit bis zum Kommerzienrat des zwanzigsten Jahrhunderts.
Oberländer hat gar keine Spezialität — auch ein Unikum für
einen Humoristen des Griffels! Er hat nur einen Stil, aber einen ungemein wandlungsfähigen. Er wirkt heute durch den Ton, morgen durch den einfachsten Strich, dann wieder durch Zierliche Silhouetten, heute mit reichen, bewegten Massen, morgen mit plastisch herausgearbeiteten Einzeltppen, heute mit schlagendem Realismus, ein andermal mit grotesker Übertreibung, ein drittes Mal durch geistreiche Anwendung und Persiflage eines fremden Stils. Wie wandlungsfähig seine Art ist, zeigte er einmal besonders verblüffend in der schon oben erwähnten Serie „Der Kuß", worin er dies Thema nach den verschiedensten berühmten Mustern bearbeitete. Es war vielleicht einer seiner größten Erfolge, und so viele nach ihm in den Witzblättern Ähnliches versucht haben mögen, es ist keiner auch nur nahe anihn herangekommen.
Er hat den „Kuß" behandelt im Stil von Gabriel Max, dessen Geistergruß damals außerordentlich viel besprochen wurde, und an dessen Weise sich da auch der Parodist in harmlosen: Spotte anlehnt, im Sinne Makarts, dessen saftstrotzende Stillebenmalerei des Abundantiastils auch im Schwarzweiß famos getroffen ist, im Stil Courbets, der als Repräsentant des französischen Naturalismus — in Deutschland gab es damals noch keinen — herhalten mußte, im Stil Genellis mit den entsprechenden Muskelhppertrophien und Ver
renkungen, im Stil Alfred Rethels, dessen markige Holzschnittmanier überraschend gut, vollwertig kann man sagen, nachgeahmt ist, Menzels, den er in einem ffgurenreichen Volksfest: „Der Kuß der Festjungfrau" nachahmt, Gustav Dorös, Alma Tademas,
Wilhelm Büschs, die alle nicht minder gut parodiert wurden, und Kostüminskps, in dem eine ganze Gruppe in der .Zeit der Neurenaissance in Mode gekommener Kitsch- und Genremaler ihr Teil bekam. Und jedes Blatt dieser gelungenen Reihe ist ein echter und guter Oberländer! Aber es steht hier nicht der Raum zur Verfügung, auch nur seine allerbekanntesten Blätter aufzuzahlen; so wie man sich an diese Aufgabe macht, wächst sie einem unter den Händen. Kein Gebiet menschliche:: Lebens und keine Zeitepoche, die er nicht behandelt hat mit immer gleichem Humor, mit immer gleicher Meisterschaft der Kennzeichnung und des mimischen Ausdrucks. Der letztere sei ja nicht vergessen, denn hier ist Oberländer ganz einzig. „Der Biß in die Zitrone" gibt eine Probe. — Ist die suggestive Wirkung dieses niederträchtigen Bubenmanövers auf die Mundspeicheldrüsen nicht so eminent wahr geschildert, daß auch dem Beschauer das Wasser in: Munde A!t-ALhen. zusammenläuft? Über Ober
länder als Tierschilderer könnte man allein eine Monographie schreiben. Namentlich die Löwen sind ihm ans Herz gewachsen, und er hat den König der Tiere immer wieder von einer neuen komischen Seite zu behandeln gewußt. Wer Tiere in Zoologischen Gärten und Menagerien viel beobachtet hat, dem ist auch nicht entgangen, daß I^6l:8 leo einen gewissen, schwer definierbaren Zug von Komik im Gesicht hat, in diesem unverhältnismäßig großen Kopfe mit seiner dicken Nase und seinem Knebelbart. Wie hat Oberländer diesen Zug variiert in ungezählten Wüstenidyllen
und phantastischen Geschichten! Er ist der fleißigste Besucher der Menagerien, die allherbstlich durch München kommen, und wer Studien gesehen hat, wie er sie da mit vollendeter Beherrschung der Linie zeichnete, der begreift es, warum der Künstler seiner Aufgabe auch in der Übertreibung so glänzend gerecht wird.
Seit zehn Jahren etwa ist Meister Oberländer als Maler aufgetreten und gleich mit vollem Erfolg, mit so großem Erfolg, daß seine Bilder aufs lebhafteste begehrt wurden, den Weg in die Museen fanden und in den Ausstellungen einen Ehrenplatz bekamen. Zunächst erschien ein ernstes großes Ölbild „Resignation", ein heiliger Einsiedler in der Öde mit einen: Löwen. An diesem einen Werk, das in allem ernste und tiefe Kunst ist, hat sich sein Streben nach Malerei großen Stils fürs erste genuggetan. Er hatte gezeigt, daß er's konnte, die Welt erkannte das mit Überraschung an, und der bayerische Staat kaufte das schöne Bild für die Münchener Pinakothek — wenn es ein Unikum bleibt in dieser
Isar-Athen.
Fortbildung.
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