Heft 
(1906) 07
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mit es ist, als schämen wir uns der ganzen Kleider, die wir auf dem Leibe tragen, ja des einfachen Mahles, das uns zu Hause erwartet, des be­scheidenen Luxus, den sich auch der Arme noch gestattet. Denn wer diese Räume betritt, er sei noch so arm, er ist reicher als die Ärmsten, deren Arbeit wir hier zum ersten Male be­wußt sehen. Gesehen haben wir sie oft, tragen wir sie doch vielleicht am eigenen Leibe.

Da steht auf einer Figur ein kleiner Anzug für einen zwölfjährigen Knaben, Rock,

Weste, lange Hosen. Es ist weiter kein Staat mit ihm zu machen. Aber es ist ein tüch­tiger, dicker, warmer Stoff, und alles ist gut und solide gearbeitet. Der Arbeitslohn

gen, dessen Herstellung 21 Mark Lohn: für die Stunde

Stunden erfordert, bringt eine nicht ganz fünf Pfennig (siehe Abbildung 2).

Unwillkürlich halten wir inne, denn diese trockenen Zah­len lösen fast gewaltsame Em­pfindungen in uns aus. Wir halten es ja nicht für möglich, daß das in Deutschland ge­zahlt wird! Wir haben nie

Abb. 3. Kinderkonfektion. (Verdienst von 6 bis 7 Pfennig in der Stunde.)

Abb. 4. Holzschnitzerei aus Ober­ammergau.

(Verdienst von 11 Pfg. in der Stunde.)

ist reich gegen wird ja auch wie­der durch das teu­rere Leben der Großstadt, durch die höhere Miete aufgezehrt.

Die Anzug­näherin, die 16^2 Pfennig in der Stunde verdient, ist noch nicht die ärmste. Wirschrei­ten weiter zum Wäschetisch. Da hängen zwei Kin­derkleidchen, die ihren Verfertigerin­nen sechs bezw. sieben Pfennig in der Stunde ein­tragen (siehe Ab­bildung 3). Die Löhnefallen rapide. Ein gestrickter Kra-

die anderen.

für ein Dutzend dieser Anzüge beträgt 12 Mark, die Arbeiterin braucht dazu 72 Stunden, ihr Stundenverdienst beträgt 16 V 2 Pfennig nein weniger. Denn wie alle Heimarbeiter hat auch sie Unkosten: Licht und Heizung, die der Arbeiter in den Fabriken nicht minder genießt wie die Fürsorge der Krankenkassen, Berufsgenossen­schaften und Altersversicherung. Die Wohltaten bleiben dem Heimarbeiter verwehrt, die Not­wendigkeiten muß er sich von seinem kärglichen Verdienst be­schaffen.

Und Beispiel neben Beispiel liegt vor uns, sie zeigen uns, daß die Löhne verschieden und in Berlin nicht am schlechtesten sind. Denn die Arbeiterin, die an dem Uniformmantel eines Eisenbahners 25^ Pfen­nig in der Stunde verdient. Aber das bißchen Mehrverdienst

in Wohltätigkeit gekargt und manche runde Summe über die Grenze geschickt, wenn es galt, in Nachbarländern zu helfen und zu retten. Und im Herzen Deutschlands ist das möglich . ° °

Wir gehen weiter und werfen einen Blick auf gewisse Erzeugnisse der Papierindustrie. Dort erweckt die Verschieden­heit des Lohnes unser In­teresse. Am Tütenkleben ver­dient die Arbeiterin in Han­nover 22 Pfennig in der Stunde, während eine andere in Halle nur 5^6 Pfennig bekommt.

Es gibt auch heute noch Leute, die der Hausindustrie das Wort reden. Sie be­haupten, die Fabrikarbeit zer­störe das Familienleben, wäh­rend die Heimarbeit es fördere: die Eltern seien nicht gezwun­gen, ihre Kinder den ganzen

Abb. 5. Leimarbeiter in der Schwarzwälder-Uhrenindustrie.

(Verdienst von 16 bis 20 Pfennig in der Stunde)

Abb. 6. Holzschnitzerei aus Ober- ammergan.

(Mann und Frau verdienen zusammen 14 Pfennig in der Stunde.)

Tag ohne Aufsicht Zu lassen.

Eine wirksame Il­lustration dafür bietet das kleine Bild aus der Praxis: Eine arme Witwe und ihre drei unmündigen Kinder ernähren sich vom Erbsen­auslesen. An ei­nem Zentner Erb­sen arbeitet diese kleine Fabrik vier Stunden und wird dafür mit 70Pfen­nig entlohnt. So müssen sich acht Hände regen, um zusammen in der Stunde 17^2 Pfen­nig zu verdienen.

Die drückende Armut der Heim­arbeiter, der Man-