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Schultern sah. „Das klingt aber gar nicht bescheiden, Herr Schmidt," meinte sie drollig hofmeisternd.
Nun fiel er aus den Wolken -- platt auf die Erde aus seinen verbotenen Träumen. „Was denn — Pardon! — ich habe nicht recht. . . bitte, was sagten Sie?"
„Ich erlaubte mir nur zu bemerken, daß ich mich darauf gefreut hätte, Sie persönlich kennen zu lernen."
„Ach so. — In der Tat? In der Tat — höchst liebenswürdig!" Er war fassungslos vor glücklicher Bestürzung, wischte sich den Schweiß von der Stirn und stotterte etwas von „kolossaler Hitze".
Das Fräulein aber zuckte die Achseln und sagte gelassen: „Ich finde es gar nicht warm, Herr Schmidt. — Ja, also als mir Herta gestern auf dem Polterabend sagte: ,Bau- meister Schmidt wird dich zu Tisch führen. Macht dir das nicht Spaß?^ Da Hab ich gesagt: ,Ja, natürlich, aber riesigen ll"
Und sie sah ihn gut und freundlich, aber doch ein wenig anzüglich mit ihren klugen Augen an, so daß er sich das Gehirn zermarterte mit dem Gedanken: Kennt sie mich? Warum nimmt sie dies unleugbare Interesse an mir?
„Und darf ich fragen," stammelte er verwirrt, „gnädiges Fräulein scheinen von meiner Existenz gewußt zu haben, ehe ich die Ehre, das Vergnügen . . . Hat vielleicht mein Freund Fritz, — hat die junge Frau . . .?"
„Keineswegs!" Ihre braunen Augen funkelten vor Freude, ihn ein bißchen Zappeln zu lassen. „Sie waren ja nur kurze Zeit verlobt, und ich bin erst vor kaum acht Tagen von einer Studienreise in Italien zurückgekommen. Nein, meine Bekanntschaft mit Ihnen ist schon alt, Herr Schmidt, uralt. . . "
„Ur—alt. . .?" Und dabei sah sie aus wie achtzehn!
„Ja, uralt. Und alles, was Sie schufen, habe ich mit Interesse verfolgt. Ich habe Ihr schönes Talent wachsen sehen und. . ."
Schwapp! — hielt der Wagen. Der blaue, silber
betreßte Diener riß den Schlag auf und half der zierlichen Gestalt hinaus. Arnold Schmidt aber blieb regungslos
sitzen, und erst nach einer diskreten Aufforderung des Betreßten, der die Tür noch immer in der Hand hielt, sprang er aus dem Vehikel — nicht ohne mit dem neuen blanken Zylinder so heftig gegen die niedrige Decke zu stoßen, daß ihm der Kopf brummte. Halb betäubt schritt er hinter der duftigen weißen Schleppe her, die vor ihm über den roten Teppich fegte. Und diesem Leitstern wie ein Schlafwandler folgend, sah er sich in einem Salon, wo das Brautpaar, die Glückwünsche in Empfang nehmend, von den Gästen umdrängt wurde und unaufhörlich Händedrücke, Umarmungen, Küsse und Rührungsausbrüche über sich ergehen lassen mußte.
Arnold Schmidt mußte eine Weile warten, ehe er sich bis zu ihnen hindurchgearbeitet hatte. Aber die Zeit wurde ihm nicht lang.
War denn das nicht, um die Wände raufzulaufen, zu fliegen oder sonst etwas zu tun, was gegen alle uns bekannten Naturgesetze verstößt?
„Ich habe mich darauf gefreut, Sie persönlich kennen zu lernen. . . "
Persönlich? Ja, kannte sie ihn denn sonst schon? Und woher? — Und was hatte sie noch gesagt — von seinem „schönen Talent"?
„Also doch noch!" rief in diesem Augenblick Fritz Sieb- machers jubelnde Stimme. Der glückstrahlende Ehemann hatte ihn entdeckt. Er mußte gratulieren, der jungen Frau die Hand küssen. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er dies Kunststück wagte — und er vollbrachte es mit der Eleganz und Schneidigkeit eines Herzensbrechers von Profession. Herta versuchte zu schelten; aber sie war doch gar zu selig und hätte es nicht übers Herz gebracht, dem hartgesottensten Sünder auch nur eine Sekunde gram zu sein.
So drohte sie nur lächelnd mit dem Finger. „Machen Sie's wieder gut, Herr Baumeister, was Sie an der armen Ursula verbrochen haben!"
Er schwor es, die Hand auf dem Herzen, mit den heiligsten Eiden. (Fortsetzung folgt.)
klätter'uncl Llüten
Die Kmundsen-tzLpedition nach dem magnetischen Nordpol. (Mit dem nebenstehenden Bildnis.) Eine der wichtigen naturwissenschaftlichen Aufgaben, die in der Neuzeit mehr und mehr systematisch in Angriff genommen wurden, ist die Erforschung des Erdmagnetismus. Fast alle Polarfahrer haben auf ihren Entdeckungsreisen nebenbei auch magnetische Beobachtungen angestellt; vor einigen Jahren entschloß man sich aber in Norwegen, eine Expedition auszusenden, die in erster Linie magnetische Beobachtungen machen sollte.
Zu ihrem Führer wurde der Kapitän Roald Amundsen in Christiania ernannt. Im Jahre 1903 trat er auf der „Gjöa", einem kleinen und mit geringer Besatzung versehenen, aber vorzüglich ausgerüsteten Schiffe, die Reise an.
Amundsen hatte schon früher reiche Erfahrungen im Polarmeere gesammelt, denn als Schiffsoffizier hatte er 1897/99 de Gerlache auf der „Belgien" in das Südpolargebiet begleitet und dabei die erste unfreiwillige Überwinterung in der Antarktis mitgemacht.
Diesmal war der Norden sein Ziel. Die „Gjöa" sollte längs der Nordküste des amerikanischen Festlandes nach Westen Vordringen und Schritt für Schritt den Gang der magnetischen Erscheinungen beobachten. In diesen Gebieten hatte schon im Jahre 1831 James Clarke Roß auf der Halbinsel Boothia Felix den magnetischen Nordpol entdeckt, jenen Ort der Erde, auf dem eine um eine wagerechte Achse freipendelnde Magnetnadel senkrecht zu stehen, kommt. Seit Roß' Zeiten hatte nie
Noald Amundsen.
mand jene Gegend mehr besucht. Amundseu sollte dorthin Vordringen und die gegenwärtige Länge des schwankenden magnetischen Nordpols feststellen. Von da ab beabsichtigte er weiter westwärts zu steuern und durch die Bering- straße heimzukehren. Auch diese Aufgabe war wissenschaftlich interessant. Jahrhunderte lang wurde von den Engländern die Nordwestpassage, die Durchfahrt um die Nordtüste Amerikas vom Atlantischen nach dem Stillen Ozean, gesucht. Im Jahre 1853 konnte Mac Clure feststellen, daß eine solche Durchfahrt vorhanden war, aber er konnte sie nicht erzwingen, sein Schiff wurde vom Eise eingeschlossen und er mußte aus einen: anderen ihm entgegengesandten heimkehren. Amundsen löste nun glücklich die beiden ihm gestellten Aufgaben; er erreichte den magnetischen Nordpol und drang daun weiter nach Westen vor. Im Winter 1904/1905 wurde er bei der King William-Insel vom Eise eingeschossen, konnte aber im darausfolgenden Sommer weiterfahren. Am 2. September 1905 gelangte die „Gjöa" an die Mündung des Mackenzieflusses, und schon hoffte man, daß noch in demselben Jahre die Beringstraße erreicht werde, aber bereits am folgenden Tage wurde das Schiff bei Kap Herschell im Verein mit mehreren dort kreuzenden Walfischfängern wieder vom Eise festgehalten. Die Expedition mußte noch einmal überwintern. Inzwischen ging aber Amundsen über Land nach Fort Eagle in Alaska, von wo er Nachrichten über den Verlauf seiner
NMin, Christian!«, Phot.
1906. Nr. 9.
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