Heft 
(1906) 10
Seite
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Der kleine humoristische Schlager rettete für ihn die Situation. Alles lachte. Und auch Doktor Heinroth tat so, als lachte er mit. Aber er fühlte, daß die Angelegenheit da­mit noch nicht abgeschlossen mar: in Gernots Augen funkelte und flackerte es in einer ihn beinahe beängstigenden Leiden­schaftlichkeit.

Die Gruppe zerstreute sich. Jeder, der Zeuge der Aus­einandersetzung gewesen war, berichtete darüber in seinen: Kreise auf seine besondere Art. Die packendste Darstellung gab Doktor Heinroth auf der Journalistentribüne selbst. In­zwischen war ihm nämlich all das eingefallen, was er auf diese und jene Bemerkung hätte sagen können. Und nachdem er den Vorgang dreimal erzählt hatte, besaß dieser ein wesentlich anderes Gesicht.

Noch am selben Nachmittag erfuhr Gernot, sein Gegner hätte gesagt: der gewandteste Revolverjournalist könnte von dem Herrn Reichstagsabgeordneten immer noch lernen, denn die sogenannte Ehrenerklärung für die Frau Baronin streifte bedenklich die Gesetzesparagraphen über Erpressung unter An­wendung von Drohung oder Gewalt.

Auch andere erfuhren den Vorgang irr der Heinrothschen Darstellung. Exzellenz von Wyschnewskr brachte das Ge- schichtchen als Foyerwitz nach Hause mit. Er kam zunächst aber gar nicht dazu, es zum besten zu geberr, denn sein Sohn Heinrich fing ihn schon im Flur ab. Der Marineleutnant war sichtlich verstört, er bat ihn unr eine Unterredung unter vier Augen, noch bevor er mit Mama und Berthe und deren Mann gesprochen hätte.

Mein Junge!" entfuhr es dem weißköpfigen alten Herrn voller Sorge. Er glaubte natürlich, es handelte sich um Schulder:, um einen Ehrenhandel oder eine dienstliche Schlappe.

Sobald er sein Zimmer betrat, in das ihm der junge Offizier folgte, öffnete sich die vom Salon hereinführende Tür.

Und nun gab es eine Familientagung, in der es äußerst lebhaft zuging.

Heinrich hatte seiner Mutter das Geständnis gemacht: er hätte sich am Tage Zuvor in Schwarzburg mit Sabine Gernot verlobt!

Ihre Exzellenz hatte ein Geheimnis noch niemals länger als höchstens ein Viertelstündchen bei sich behalten. Da Berthe und ihr Gatte hinzugekommen waren, so ward die wie eine Bombe wirkende Nachricht sofort Anlaß zu einer allgemeinen Debatte.

Verlobt mit Fräulein Gernot verlobt mit der Tochter des Herrn Doktor Gernot und zwar gerade gestern, ausgerechnet am gestrigen Sonntag, nachdem es tags zuvor im Reichstag Zu dem vielbesprochenen Skandal Gernot- Sczuls gekommen war!

Von was für einem Skandal sprecht ihr? Bon welcher Verhandlung?"

Heinrich geliebtes Kind ja, liest du denn die Zeitung nicht?" rief seine Mama.

Die Exzellenz las sie selbst nur, wenn irgend eine eause eäledra ihrer Kreise sie reizte. Der Name Gernots in Ver­bindung mit dem der Baronin war in den letzten achtund- vierzig Stunden, und namentlich seit dem Erscheinen des heutigen Morgenblattes, hier im Hause jedenfalls öfter denn je zuvor genannt worden.

Und ihr leiblicher Sohn - - das Unglückskind - hatte von alledem keine Ahnung!

Sie wollten ihm zu gleicher Zeit alle drei berichten, dann suchte Berthe nach der Zeitung, die sie in der Aufregung aber nicht fand. Kurz, es war ein unbeschreibliches Durch­einander.

Mitten in diesem Wirrwarr hörte der Marineleutnant das scharfe Anhalten eines Kutschpferdes auf dem Asphalt vor dem Hause: der Wagen, der den Hausherrn brachte, war vor­gefahren.

Der Geheimrat zeigte sich natürlich nicht weniger bestürzt.

Und so kam's, daß der junge Seemann seinen Schritt nun gegen vier zu verteidigen hatte.

Er berief sich auf Berthes Freundschaft mit Sabine, auf das Urteil seiner Mutter, die von Fräulein Gernot doch immer so stark eingenommen gewesen wäre, er erinnerte seinen Vater an dessen bewundernde Worte über den glänzenden Politiker Gernot, dem er eine große Bedeutung im politischen Leben beimaß.

Aber die Baronin, liebster Schwager!" warf Tielernhorst- Trenklin immer wieder ein.So lies doch bloß, wie man über ihr Verhältnis zu Herrn Gernot spricht. Sie sei Haus­dame bei ihm gewesen. Na ja, mar: nennt das jetzt Haus­dame. Verstehst du dem: nicht?"

Heinrich von Wyschnewski hielt sich die Ohren zu.Laßt mich damit aus! Ich bin empört ganz empört! Ihr kennt sie eben nicht!"

Ja, liebster Herzenssohn," sagte die Exzellenz,das kannst du doch gar nicht abstreiten: durch die Sache mit Gernot hat sie sich ganz unmöglich gemacht. "

Und er sich mit!" fiel der Schwager ein.Nein, Heinrich, du bist amüsant. Naiv amüsant."

Der junge Offizier stöhnte.Mama, wenn nun auch wirklich unter den Fernerstehenden ein törichter Klatsch ent­standen ist: wir wissen doch, daß sie damals bloß zu Sabinens Pflege dort war!"

Aber da der Klatsch existiert, kann man die Herrschaften eben nicht mehr bei sich empfangen."

Berthe rief fast triumphierend:Siehst du, Heini, siehst du! Die Gräfin Warnau hat das schon vor vier Wochen gesagt und damals warst du so außer dir."

Ich bin es auch jetzt. Ihr wißt ja gar nicht, was da spielt. Etwas ganz anderes, das beweist ... Ach Gott, und ich kann's euch doch nicht einmal sagen ..."

Auf diesem Höhepunkt war die fast stürmisch gewordene Familienszene angelangt, als der Geheimrat, der noch am ruhigsten und sachlichsten geblieben war, seinen kleinen Bericht über den heutigen Zusammenstoß Gernots mit dem Doktor Heinroth vom Stapel ließ.

Er hatte eine wirksame Art zu sprechen. So peinlich es ihm war, daß sein Sohn derungestüme Seemann" hieß er unter ihnen sich derartverhäddert" hatte, besaß es doch einigen Reiz für ihn, das Geschichtchen in rednerischer Steigerung vorzutragen. Die für die Damen interessanteste Tatsache ließ er natürlich den Schluß bilden: die Erklärung Gernots, daß die Baronin von Gamp seine Braut wäre.

Überrascht fuhren die Damen auf.Seine Braut?! Hein­rich, hast du gehört?!"

Heinrich von Wyschnewski nickte trotzig.Ja. Ich wußte es auch schon."

Du wußtest es? Mama, er sagt, er wußte es!"

Die Geheimrätin schüttelte den Kopf.Geh, Heini,

aber dann mußtest du dir doch selbst sagen: es ist aus­geschlossen."

Warum ausgeschlossen?"

Die Baronin von Gamp gewissermaßen in unserer Familie?"

Ja, was habt ihr nur gegen sie?"

Viel. Sie ist unmöglich. Für uns einfach unmöglich."

Tielernhorst-Trenklin drückte sich vorsichtig aus:Siehst du, lieber Schwager, charmant ist sie ja auf alle Fälle. Aber sie hat ein .je na 8ai8 (xuoi!"

Verzweifelt stampfte Heinrich mit dem Fuß auf und wandte sich stöhnend dem Fenster zu.

Jedenfalls verstehe ich Gernot ganz und gar nicht," versicherte der Geheimrat.Er war seinen Jahren und seiner Stellung nrindestens eine größere Vorsicht schuldig."

Und auch seiner Tochter," setzte Frau von Wyschnewski hinzu.

Der junge Seeoffizier verließ das Zimmer.

Sein fester Entschluß war der, abends noch einmal, und zwar Mann gegen Mann unter vier Augen, mit seinem Vater zu sprechen. Mehr als Mutter und Schwester, auch mehr als