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der Schwager, der ein Leisetreter war, dessen höchste Sorge die war, nicht aufzufallen, mußte sein Vater ihn darin ver stehen: daß er nun nicht bloß mit seinem Herzen, sondern auch als Gentleman engagiert war.
Daß eine gewisse Wartefrist nötig geworden war, sah er ein, er gab zu, daß die stärksten Wellen der ihm unverständlichen Skandalstimmung sich zuerst ein wenig abgewiegelt haben müßten, bevor er die Verantwortung auf sich nehmen durfte, seinen Namen mit dein des Hauses Gernot zu verbinden.
Dennoch erschien es ihm — im Gedanken an die sonnigen Stunden zu Schwarzburg, an Sabinens gläubige Zärtlichkeit — geradezu feig, mindestens wenig soldatisch, daß er in seiner Herzensangelegenheit gesellschaftlichen Bedenken einen so wichtigen Platz einräumte.
Unzufrieden mit sich und ganz niedergeschlagen verließ er das Haus.
Als Sixt von Soter an diesem Nachmittag von einem größeren Ausritt mit mehreren Reitschülerinnen aus dem Grune- wald zurückkehrte, erhielt er einen Rohrpostbrief. Er war auf Papier mit dem Reichstagsstempel geschrieben und trug die Unterschrift des Abgeordneten Doktor Gernot, der ihn um eine Unterredung bat.
„Hol's der Deibel!" brummte Sixt von Soter.
Natürlich witterte er sofort einen Zusammenhang mit dem niederträchtigen Artikel, den die Montagszeitung gebracht hatte. Um Politik kümmerte er sich sonst verzweifelt wenig. Über die Vorgänge im Reichstag war aber schon in der Vummel- nacht zum Sonntag beim Kartenspiel die Rede gewesen. In dem Zeitungsartikel am heutigen Morgen war auch sein voller Name genannt: „Bekanntlich hatte man die so auffällig plötzliche Verabschiedung aus königlichen Diensten des jetzt hier in Berlin als Tattersalldirektor ansässigen Herrn von Soter, der der Schwiegervater des in die Pedigreeangelegenheit verwickelten Rennreiters war, damit in Verbindung gebracht."
Das fehlte nun gerade noch, daß diese „ollen Kamellen" wieder aufgewärmt würden!
Es war doch seit Jahren ganz still davon gewesen — was wollte man nun mit einemmal wieder von ihm?
Unbehaglich überlas er Gernots kurzes Schreiben ein zweites, ein drittes Mal.
Höflich, korrekt, verbindlich — aber infam kühl! sagte er zu sich.
Er machte sich dienstfrei und begab sich nach Hause, um sich in Wichs zu werfen. Als er die Wohnung dann verließ — denn er gedachte, Gernot selbst aufzusuchen — war er wieder in jedem Zoll Junker, in jeden: Zoll Kavalier der alter: Schule. Er wußte, daß nun der gute Eindruck viel, wenn nicht alles war.
Doktor Gernot kam ihn: auf der Diele entgegen, als das Hausfräulein ihn anmeldete.
„Das ist überaus liebenswürdig von Ihnen, Herr von Soter, daß Sie mir den Weg ersparen wollten, aber ich hatte das Opfer um keinen Preis von Ihnen angenommen." Als sie in Gernots behagliches Arbeitszimmer eintraten, setzte der Hausherr hinzu: „Denn ich erscheine vor Ihnen als Bittender ~ als Bittender in mehrfacher Hinsicht."
„Bei den freundschaftlichen Beziehungen Zwischen unseren Töchtern!" sagte Soter etwas unsicher.
Gernot hatte Platz geboten, aber sie verharrten beide noch stehend.
„Die freundschaftlichen Beziehungen bestehen nicht nur zwischen Ihrer Frau Tochter und meinem Kind," fuhr Gernot nach kurzer Pause fort. „Ich weiß nicht, inwieweit Frau Asta Sie eingeweiht hat. Ich habe um ihre Hand gebeten. Ich habe sie gebeten, auch mir eine Freundin zu sein
eine Freundin auf Lebenszeit — meiner Tochter aber eine zweite Mutter."
Sixt von Soter hatte beistimmend den Kopf gesenkt, und Gernot fuhr fort: „Ich bekam kein schlankes Ja. War's der Altersunterschied, der Asta noch zögern machte - - ich weiß es nicht. Nach dem Briefwechsel der letzten Wochen durfte ich aber hoffen, daß nun die letzten Bedenken aus der Welt geschafft seien. Ich kann Ihnen also nur versichern, Herr von Soter, daß meine herzliche Verehrung für Ihre Frau Tochter versuchen wird, ihr ein schönes, glückliches Dasein zu bereiten."
In allen feierlichen Momenten fühlte sich Sixt von Soter verzweifelt unschlau. Er war froh, als dieser Teil ohne erhebliche Entgleisung überstanden war. Ein mehrfaches Händeschütteln bildete den Höhepunkt der Entwicklung.
„Ich brauche jetzt aber Ihre schwiegervüterliche Entschuldigung, Herr von Soter. Eine Indiskretion in der Sonnabendsitzung und in der Presse hat mich soeben gezwungen, unser Verlöbnis bekannt zu geben. Das ist gegen die Verabredung mit Asta. Ich möchte Sie daher bitten, mir zu verzeihen, daß ich Ihre Einwilligung nicht vorher eingeholt habe."
„Aber mein verehrter Herr Doktor Gernot — was könnte ich in meinen gedrückten Verhältnissen einzuwenden haben, wenn meiner Tochter ein solches Glück widerfährt? Nein, ganz ohne Schmeichelei. Ich weiß, sie schätzt Sie, sie liebt Ihr Töchterchen. Und — ehrlich gesagt — hätte ich doch auch zu schweigen, selbst wenn mir ihre Aussichten minder vorzüglich erschienen. Asta ist alt genug, ist erfahren genug, um für sich selbst einzustehen. Das Schicksal hat sie ja sehr, sehr schwer geprüft."
Natürlich sagte sich Sixt von Soter, daß all diese Erörterungen nur die Einleitung bildeten. Der gefürchtete Augen blick, da Doktor Gernot die Angelegenheit Lethel-Minka an schneiden würde, mußte auf dem Fuße folgen.
Gernot knüpfte auch sogleich an die letzte Bemerkung an.
„Ich weiß, daß ich einen wunden Punkt berühre, Herr von Soter, aber völlige Offenheit ist jetzt geboten. Ihre Frau Tochter hat Neider — Neiderinnen — man gönnt ihr die äußere Stellung nicht, die sie dank ihren Talenten einnimmt. Nun bringt da eine Gruppe übler Nachredner den Verdacht auf, sie hätte seinerzeit um eine Fälschung gewußt, die ihr Gatte in einer Pedigreeangelegenheit begangen haben soll. Und ich bitte Sie um eine rückhaltlose Darstellung, damit ich instand gesetzt bin, der — jedenfalls ganz aus der Lust gegriffenen — Behauptung zu begegnen."
Sixt von Soter nickte.
„Man hat es ja auch mir vorgeworfen. Aber erst aus diesem Borwurf erfuhr ich doch damals den Verdacht. Und weil es für so etwas keine sichtbare Entlastung gibt, hat mich's damals mein Amt gekostet. Statt mir zu beweisen, daß ich darum wußte, sollte ich beweisen, daß ich nicht darum wußte. Lächerlich. Man glaubte es uns einfach nicht, daß es eine Sorte von Selbstbewußtsein und Ehr lichkeit gibt, die sich nicht auf Schritt und Tritt Atteste ausstellen läßt. Jedenfalls waren wir beide ganz unvor
bereitet, ganz fassungslos, das kann ich Ihnen versichern, als das Unglück dieser üblen Nachrede damals über uns hereinbrach."
„Warum haben Sie nur danials nicht sofort den Versuch gemacht, Herr von Soter, die Sache durchs Gericht untersuchen und regeln zu lassen?"
„Ja, wür's wirklich zu einen: Prozeß gekommen, dann hätte sich ja alles klar erwiesen. Aber man war ja so kopflos. Das alles, was da geschah, verletzte mich so unbändig, machte mich irre an Gott und der Welt. Mein Schwiegersohn war zudem ins Ausland entwichen — auv Gründen, die viel näher lagen. Verteufelter Schulden hat ber. Wir hatten also gar keine Handhabe und waren froh, als wir endlich wenigstens das Scheidungsurteil in Händen hielten. Schreckliche Zeiten. Da waren wir dann natürlich des Zanks vor Gericht übersatt — bis dahin. Unsere äußeren
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