Mittel waren auch total erschöpft, und unsere seelischen Kräfte obendrein."
„Ich verstehe die Lage wohl." Nachdenklich blickte Gernot vor sich hin. „Und ich verstehe auch, daß es
Ihnen und Asta nach so aufregenden Zeiten nur darauf ankam, endlich Frieden und Ruhe zu finden. Aber um so mehr halte ich es jetzt für meine Pflicht, Asta von der Oual endgültig zu befreien. Sie hat wahrhaftig lange genug gelitten."
„Wahrhaftig!" bestätigte Sixt von Soter seufzend. Und er knüpfte daran ein paar Bemerkungen über die letzten ganz furchtbaren Zeiten von Astas erster Ehe und über Gamps kopflose Flucht vor seinen Gläubigern.
Darüber kamen sie vom Hauptthema etwas ab.
„Die Scheidung ist dann wegen böswilligen Verlassens ausgesprochen worden?" fragte Gernot, dem es vor allem darauf ankam, sämtliches Tatsachenmaterial lückenlos zusammenzubekommen.
„Ja. Es schien uns so am einfachsten — wenn es auch langwierig genug war. Gamp schrieb dann ja noch mehrmals an meine Tochter und beteuerte seine Unschuld. Aber sie blieb unerbittlich."
„Wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?"
„Zufälligerweise in diesem Frühjahr."
„O —!" Gernot blickte überrascht auf.
„Ja. Es ging mir selber nahe. Er ist nämlich recht auf den Hund gekommen, der Herr Baron."
„Lebt er fetzt hier?"
„Nein, er befand sich nur auf der Durchreise. In einem Caf6 war's — spät abends einmal — da entdeckte er mich plötzlich und kam auf mich zu. Na, armer Teufel ist er. ja doch. Er tat mir höllisch leid trotz allem. Abgerissen sah er aus — seine letzte Stellung hatte er in Alexandrien auf einem Reisebureau gehabt. Wär' ich bei Kasse gewesen, hätt' ich ihn bei Gott unterstützt." Er seufzte auf. „Ja, Herr Doktor, das sind so Lebensdinge."
„Und Asta erfuhr davon?"
„Später. Natürlich."
„Wie nahm sie's auf?"
„Sie weinte. Sie war damals gerade in Ihrem Haus. All das Elend trat ihr da wieder vor Augen —- äh! . . . Jetzt soll er irgendwo in Süddeutschland bei einer Automobilfabrik angekommen sein. Lang' wird das ja nicht dauern. Leichtsinniges Huhn war er von je. Na, und Indien und die umliegenden Bierdörfer, die gelten ja auch nicht gerade als Besserungsinstitute: Grüne Neune in Singapur, und was man sonst so von den Herren Weltreisenden hört."
„Für Asta muß es doch entsetzlich sein. Wenn er ihr nun plötzlich einmal gegenüberträte?"
„Das würde er ja nicht wagen."
„Nein, nein, nein. Freilich. Das dürfte er nicht wagen."
Gernots Blick schweifte an der junkerlichen Gestalt seines Besuchs vorbei ins Freie. Von den Bäumen am Kurfürstendamm, auf dem die Helle Sonne lag, drang der Widerschein in das große Herrenzimmer. Es war still im Haus. Wenn keine der Straßenbahnen vorüberfuhr, hörte man die Vögel im Geäst der Bäume zwitschern.
Die Stimmung hatte zuerst etwas Gezwungenes, etwas Steifes gehabt. Gernot selbst war sich grausam vorgekommen, daß er den alten Mann zwang, das ganze Leid seiner schwersten Tage noch einmal Schritt für Schritt mit ihm durchzugehen. Aber je weiter er forschte, desto lichter ward es für ihn. Sixt von Soter gab ihm auf jede Frage eine klare, bündige Antwort. Und gerade die etwas derbe, poltrige, im Grunde aber gutmütige Art des alten Sportsmanns war es, die ihn, den Juristen und Menschenkenner, am besten überzeugte.
Soter sagte schließlich: „Glauben Sie mir, Herr Doktor, ich? Hab' es tausendmal schon bitter schwer empfunden, als
den größten Rechenfehler in meinem ganzen Leben, daß ich damals zu matt, zu mürbe war, um die Sache aus eigener Kraft klarzustellen. Aber bedenken Sie unsere Lage! Wir waren wie das wunde Wild, das sich in die Stille zurückzieht. Am liebsten hätte man an der Sache verbluten mögen. Äh — Schwamm drüber! — Aber wär's heute
möglich: die Schandmäuler wollt' ich ihnen schon stopfen. Nur — wie ist so ein erbärmlicher Klatsch und Tratsch zu fassen? Es wäre der Kampf des Don Quixote gegen die Windmühlenflügel. Hab ich nicht recht?"
Gernot gab ihm die Hand. „Sie sollen den Kampf jetzt jüngeren Fäusten überlassen. Daß er nicht gegen Windmühlenflügel geführt wird, dafür sorgen meine persönlichen Gegner schon, die mir eine breite, nicht zu verfehlende Angriffsfläche bieten!"
Die Aussprache hatte Gernot durchaus befriedigt. Was jetzt erforderlich war, um den Verdacht ein für allemal aus Astas Leben auszuscheiden, das stand klar und unverrückbar vor ihm. Er begriff wohl, daß ein Mann wie
Astas Vater in der Stunde eines solchen Zusammenbruchs die Spannkraft verlieren konnte, die erforderlich gewesen wäre, um den vom Geifer der Menge befleckten Schild wieder blank zu bekommen. Aber jetzt stellte er sich Schulter an Schulter mit ihnen —- und eine trotzige Lust lebte in ihm, sich für Astas Namen mit der hinterlistigen Gegnerschaft zu messen.
„Haben Sie Dank, Herr von Soter, aufrichtigen Dank. Die letzte Unklarheit haben Sie mir genommen. Und ich sehe der Zukunft nun völlig gewappnet ins Auge."
„Offen und ehrlich Hab' ich Ihnen die bittere, schlichte Wahrheit gesagt!" bekräftigte Soter seine Worte — erlöst, daß dieses Verhör beendigt war.
Ein abermaliger Händedruck —- und sie schieden.
Auf dem Heimweg überlegte sich Sixt von Soter noch einmal Satz für Satz der kurzen Aussprache. Er hatte nichts anderes gesagt, als was er nun schon seit Jahren Zu sagen pflegte, wenn irgend ein Neugieriger auf die faule Sache von damals zu sprechen kam. Mittlerweile glaubte er selbst schon, daß sich's so zugetragen hatte, wie er's schilderte.
Eine leise Beunruhigung löste bei ihm nur die Vorstellung aus, die ihm in Gernots letzten Worten zu liegen schien: er würde bei nächster Gelegenheit einen der Schreier vor die Klinge fordern!
Nun, vorläufig war er mit dem Resultat dieses Ouer- treibens ganz zufrieden, es hatte Gernot veranlaßt, öffentlich die Verlobung auszusprechen.
Das war eine Partie, die Asta mit einem einzigen Schlage in den alten Glanz versetzte — vielleicht sie alle beide.
Wenn nur nicht noch knapp vor Torschluß ein leidiges Hindernis eine Hinausschiebung der Hochzeit nötig machte. Als Hindernis konnte bei dem allgemeinen Zeitungsgerede schließlich auch noch Theo in Betracht kommen. Daß „das Unglückswurm" auch ausgerechnet jetzt wieder hatte im Land auftauchen müssen!
So recht von Herzen froh ward Sixt von Soter jedenfalls noch immer nicht. Aber abends bei einer guten Flasche Wein, der er eine zweite folgen ließ, beschwichtigte er die in ihm aufsteigenden Zweifel.
* » *
Natürlich fand Gernot in diesen Tagen nicht die rechte Stimmung, um an Asta oder Sabine zu schreiben. Es mangelte ihm.auch die Zeit. Er hatte mehrere ausführliche Besprechungen mit dem Justizrat Bressentin, der ein weitläufiger Verwandter von ihm war. Daneben liefen noch die beruflichen Geschäfte.
Die Zeitungen brachten nichts über den Artikel des Montagsblattes. Auch zu einer Erneuerung oder Fortsetzung des Wortduells mit Sczuls kam es nicht. Doktor