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Heinroth aber wich ihm im Wandelgang des Reichstags in großem Bogen aus.
Dennoch verließ ihn die Spannung nicht: er glaubte, fortgesetzt gegen einen neuen Angriff gewappnet sein zu müssen.
Die Vorbereitungen für eine Kommissionssitzung hielten ihn an den nächsten Abenden bis tief in die Nacht hinein am Schreibtisch fest. Trotz der reichen Arbeit fühlte er sich in dieser Zeit doch sehr einsam. Die Sülle, die Leere in der großen Wohnung bedrückte ihn. Sabine fehlte ihm — und vor allem Asta, deren Wärme und Lebhaftigkeit, deren Grazie und Frohlaune dem ganzen Haus den Stempel aufdrückten.
In dieser ziemlich zerklüfteten Stimmung wurde ihm der Besuch des jungen Herrn von Wyschnewski gemeldet.
Er unterbrach seine Arbeit und ließ bitten.
Daß Zwischen seiner Tochter und der Schwester des jungen Seeoffiziers die freundschaftlichen Beziehungen vollständig eingeschlafen waren, das hatte er gelegentlich erfahren. Ebenso bekannt waren ihm die Bemühungen Wpsch- newskis um Sabine.
Freudig überrascht vernahm er, daß der Marineleutnant die Damen in Schwarzburg aufgesucht hatte.
Wyfchnewski hatte viel auf dem Herzen. Es drängte ihn zu einer rückhaltlosen Beichte. Nur die Scheu, einen Taktfehler, einen gesellschaftlichen Verstoß zu begehen, riß ihn immer wieder, wenn er schon zu einem freieren Aufschwung ansetzte, wie an einer Kette zurück. Das Ergebnis der Aussprache mit seinem Vater war nicht sehr ermunternd gewesen. Sein Vater hielt ihm vor, daß er voraussichtlich gar nicht auf den vorgeschriebenen Heiratskonsens mit Sabine Gernot würde rechnen können: solange ihr Papa nicht für eine vollkommene Rehabilitierung der Dame, die er seine Braut nannte, gesorgt hätte.
Unsicher versuchte der junge Seemann einen Eingang, bald von dieser, bald von jener Seite. Immer wieder verließ ihn der Mut, da der Blick Gernots so ruhig und klar auf ihm weilte, als übersähe er schon alles.
Aber plötzlich schoß ihm eine heiße Welle vom Herzen zu den Schläfen empor, er stand unvermittelt auf und sagte tief- aufatmend:
„Nein, Herr Doktor Gernot, so geht es nicht. Ich muß — ich muß es Ihnen doch sagen — alles sagen . . . Und ich bin todunglücklich, daß ich so ungewandt, so wenig beherzt bin."
Auch der Hausherr hatte sich erhoben. Es bewegte ihn etwas im Ton des jungen Offiziers.
„Die Jugend ist immer im Vorteil, Herr von Wysch- newski. denn sie darf wagen, wo unsereiner immer noch wägen muß."
„Ich habe Fräulein Sabine sehr, sehr lieb. Und ich
glaube: sie ist mir auch ein wenig gut. Darüber haben
wir uns am Sonntag so ziemlich verständigt. Es war ein
solches Glück in mir, wie ich's gar nicht schildern kann. Und ich wollte mir gleich anderen Tages den Dreimaster aufsetzen und wollte zu Ihnen, um Ihnen alles ehrlich darzuffellen. Wie es war - - und wie es geworden ist. Aber natürlich mußt' ich auch mit meinen Eltern sprechen. Und da . . . Ach, es wird mir so entsetzlich
schwer, damit herauszukommen, denn die Vorstellung, es könnte Sie kränken, und ich könnte mir dann mein Glück für immer verscherzen ..."
Ganz hilflos brach er ab. Es arbeitete in seiner Brust. Gernot sah ihm die tiefe Bewegung wohl an. Eine Weile schwieg er, selbst stark aufgewühlt.
„Ihre Eltern haben Ihnen anempfohlen, den Besuch im Dreimaster jetzt noch zu unterlassen?" fragte er, während er mit einem leicht überlegenen, wenn auch etwas bitteren Lächeln auf die blaue Jnterimsmütze hinblickte, die der junge Seeoffizier krampfhaft in der Hand hielt.
„Jawohl. So ist es. Und nun — urteilen Sie, richten Sie über mich. "
„Das Urteil ist ja klar: Sie sind Ihren Eltern ungehorsam. Vielmehr — Sie suchen ihr Gebot zu umgehen."
„Aber schicken Sie mich deshalb nicht weg! Ach, liebster Herr Doktor Gernot, ich bin ja so einsam, so verlassen. Und schon ganz verzweifelt. Ihrem Fräulein Tochter Hab ich's am Sonntag auch schon gebeichtet. Aber nun ist's noch schlimmer geworden. Weil doch meine Schwester und weil Mama — weil sie sich mit Frau von Gamp nicht vertragen. Und da es jetzt heißt, sie wird Sabinens Stiefmama, so — so . . . So. Nun ist es heraus."
Eigentlich hätte der Inhalt dieser stoßweis erzwungenen Darlegung Gernots ganzen Zorn herausfordern müssen. Aber der junge Seemann hatte etwas so Flehendes in Blick und Ton, daß sich nur ein großes Mitleid in Gernots Brust rührte.
„Ja, mein lieber junger Freund, unter diesen Umständen erscheinen mir Ihre Wünsche und Hoffnungen allerdings ebenso aussichtslos wie Ihren Verwandten."
„Ich habe ganz sachlich mit meinem Vater gesprochen. Wenn ich Ihnen bloß sagen dürfte, welchen Weg er mir gezeigt hat, um die Bedenken gegenstandslos zu machen."
„Sprechen Sie."
„Aber Sie werden mir nicht böse sein?"
„Für eine Offenheit niemals."
„Papa meinte, all den Gerüchten, wie sie jetzt Sczuls und Heinroth aufgebracht hätten, ließe sich doch leicht durch eine Feststellung vor Gericht begegnen."
Gernot nickte gelassen. „Es ist auch selbstverständlich meine Absicht, den Richter entscheiden zu lassen. Ich habe meinen Rechtsanwalt, den Justizrat Vressentin, beauftragt, die Klage einzureichen."
„Wirklich?!" Es blitzte in Wyschnewskis Augen zuversichtlich auf. „O dann — dann kann also noch alles gut
werden?!"
„Wer bis zu dieser Entscheidung," sagte Gernot sehr ernst und nachdrücklich, wenn auch äußerlich durchaus ruhig, „muß ich Sie bitten, jeden Verkehr mit meiner Tochter zu meiden."
Der junge Offizier Zuckte leicht zusammen, wußte sich aber sofort soldatisch zu fassen. „Natürlich ist mir Ihr Wille in diesem Falle Gesetz."
Gernot streckte ihm die Hand hin. „Über alles andere können wir also erst später sprechen."
„Nur - erwartet das gnädige Fräulein doch zweifellos irgend eine Nachricht?" wandte Wyschnewski noch zögernd ein.
„Ich fahre morgen nach Schwarzburg, um sie ihr zu geben."
Aug' in Aug' verharrten sie noch ein paar Sekunden. Die. Brust des jungen Seemanns war zum Zerspringen voll. Er hätte noch tausend Dinge zu sagen gehabt, deren dringendste die beschwörende Bitte gewesen wäre, nicht an ihm das zu vergelten, was Argwohn und Mißverständnis bei seinen Verwandten gezeitigt hatten. Aber Gernots überlegene Ruhe zeigte ihm an, daß der Empfang beendigt war.
Als Gernot allein war, durchmaß er ungeduldigen, erregten Schritts das Zimmer.
Der junge Freiersmann seiner Sabine hatte ihm ehrlich gefallen. Es war ein schlichter, warmherziger Mensch. Er begriff wohl, daß seine Tochter ihm gut sein konnte. Und er litt nun mit den beiden jungen Leuten, für deren Glück seine Verbindung mit Asta ein so schweres Hindernis bildete. Er konnte das gar nicht fassen: er selbst, der Sabinens junges Leben so licht und rosig hätte schaffen mögen, er mußte ihre Hoffnungen trüben, wenn nicht vernichten!
Was rissen und zerrten sie nur mit einem Male an ihm? Und was hatte Asta der Welt getan? Warum gönnten die Menschen ihnen den Frieden nicht, den sie alle drei