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Georg Bangs Liebe.
Roman von Aarl Rosner.
as Haus, in dem sie wohnten, lag ganz weit draußen, über die Wien-Brücke hinüber und dann den Heumarkt entlang. Es war eine stille Gegend, die sich nach und nach aus dem regen
Treiben der Großstadt gesondert und geschieden hatte. Darüber lag es damals wie ein Hauch von Müdigkeit. Das Leben hatte so seltsam ernste Züge dort, und das Ganze war wie ein absterbender Teil am lebenden Körper der Stadt, durch den nur sickernd leise das Blut noch floß.
Da wohnten sie; in einer engen Gasse, deren alte Häuser Helle, verblaßte Farben hatten, wie Seidenstoffe alter Möbel, die die Sonne bleichte und die Zeit. Das breite, doppel-
flügelige Haustor ging es hinein, dann hinweg unter dem hohen, angerüucherten Schwibbogen der Einfahrt und über den stillen großen Hof, in dem die beiden alten Kastanien
bäume standen. Und weiter die zweite Stiege hinauf, vier Treppen hoch.
Hier also hatten der Postkassensekretär Tobias Bang
und seine Frau Marie ihren Haushalt aufgeschlagen, einen gar bescheidenen kleinen Haushalt, in dem alles ruhig dahinlief ohne Hast und lärmende Erregung, gleichwie als Hütte das alte Haus auch diese Leutchen in seinen ernsten Bann genommen.
Als junger Adjunkt hatte Tobias Bang Marien auf einer Landpartie kennengelernt, die sie mit ihrer Mutter mitmachte, und sich in sie verliebt. Geld hatte keines von ihnen, aber lieb hatten sich die beiden jungen Menschen — sehr lieb. So wollten sie denn aufeinander warten, bis sie sich heiraten könnten. Sie sehnten sich nach diesem Ziele, mit vollem Herzen, und wenn sie Sonntags miteinander im Wienerwald gewesen waren oder hoch oben auf dem höchsten Range des alten Burgtheaters, und wenn sie dann vor ihrer Tür Abschied nahmen: dann stand neben der Sehnsucht auch der Trost in ihren Augen, bald wird es sein, daß wir uns nicht mehr trennen müssen.
So vergingen Jahre; aber es war, wie wenn das Ziel sich mit der Zeit verrückte, denn es blieb immer noch in gleicher Ferne. Nur eines hatte sich gemach geändert: die Kraft, mit der sie nach ihm strebten. Erst hatten sie stets davon gesprochen, sie hatten Pläne entworfen, wie sie die Zimmer einrichten wollten und wie sie die Ausgaben einteilen würden. Und immer wieder hatten sie es sich dabei gesagt, wie glücklich sie sein wollten, trotz der bescheidenen Enge.
Dann waren sie stiller geworden und klüger. Da waren Bedenken vor ihnen erstanden, an die sie früher gar nicht gedacht hatten, sie hatten immer mehr gefunden, was sie brauchten, um zusammen leben zu können und auszukommen, und so kam es, daß das Ziel Zu weichen schien. Doch sie ließen nicht nach, sie strebten zueinander, jetzt bedächtig und überlegend.
Zu einer wirklichen Verlobung mit all der Form von Festlichkeit und Freude war es eigentlich nie gekommen. Aber sie wußten, daß sie einander angehörten, und sie warteten. Freud und Leid trugen sie zusammen, wohl ein Jahrzehnt. Und auch Mariens Mutter trugen sie in dieser Zeit
gemeinsam zur letzten Ruhe. Als ihm dann endlich sein
Gehalt erlaubte, sie zu heiraten, da war Marie nahe an den Dreißig, und sie hatten beide die großen Leidenschaften hinter sich gelassen. Sie nahmen nun das Langersehnte wie einen selbstverständlichen und wohlverdienten Lohn — weills ja so ausgemacht war, und weil's ja gar nicht anders sein konnte. Die leuchtenden Farben aber, mit denen sie sich einst die junge Ehe ausgemalt hatten, die waren abgeblaßt. Nicht, daß sie fühlten, wie sie sich früher anders geliebt hatten; sie lebten gut miteinander, beinahe glücklich. In jenem Frieden lebten
sie, der wie der Nachglanz eines dahingegangenen Glückes ist, der sich bescheidet mit kleinen Freuden, und der mehr zage ist bei dem Gedanken an ein Schlimmerwerden als sehnsuchtsvoll nach einer Besserung.
Nur sie — sie ahnte es manchmal, daß es ein arideres Ziel gewesen, nach dem sie ausgezogen waren. Dann kam es über sie wie ein Suchen nach etwas Verlorenem — sie wußte nicht wonach. Gleichwie als müßten sie sich auf den Inhalt eines fernen Traumes besinnen, war es ihr dann; eines Traumes, von dem ihr nur ein Ahnen geblieben war, aber kein Erinnern. Aber das alles war unklar in ihr, und sie hing ihm nicht nach. Das Leben forderte sein Recht, die Alltagspflichten zogen sie an sich.
Tobias Bangs stete und zähe Sorge war es in der ersten Zeit immer gewesen, daß ein Kind kommen könnte. Er, der so viel gestrebt hatte, um sich sein kleines Heim zu schaffen, hütete nun beinahe ängstlich dessen Ruhe. Ihm war so wohl, daß er es nun zu einem Plätzchen gebracht hatte im Leben, wo er zufrieden seine schmale Freiheit genießen konnte, und er fürchtete das Geschrei des Kindes, die neuen Sorgen und Pflichten.
Dann aber war das Kind gekommen, und sie fanden sich beide darein und waren sogar recht herzlich froh darüber; namentlich die Marie, die bisher immer so allein gewesen den ganzen Tag, während ihr Mann im Amte war.
Es war ein Junge, ein schwächliches, blasses Kind, das nicht so recht gedeihen wollte, dessen kränklich kleiner Körper die Eltern in steter Sorge hielt und ihnen damit an die Seele wuchs. Es war ein stilles Kind, das wenig schrie, ein Kind, das manchmal dalag mit gar seltsam alten, sorgenvollen Zügen um den Mund und die großen, furchtsam ins Leben schauenden Augen. Und das Kind paßte so recht in dieses alte stille Haus und in die beiden peinlich reinen Zimmer da oben im vierten Stock, zwischen die glatt polierten, altmodischen Möbel, von denen ein mattes Duften ging wie von getrocknetem Lavendel.
Hier wuchs der kleine Georg heran, ganz ohne Anschluß an andere Kinder, allein die Eltern als Geführten, und, da die Mutter fleißig in der Küche und in dem kleinen Haushalt schuf, meist auf sich selbst gewiesen in seinen Spielen. Erbaute hohe und weite Schlösser, Häuser und Burgen aus
hölzernen Bausteinen auf, und wenn sie einstürzten, dann baute er sie wieder und wieder — bis er müde war und das aufgab. Er erzählte sich selbst, im Tone, wie wenn er zu anderen spräche, die Märchen, die ihm die Mutter schon so oft erzählt und.vorgelesen hatte, oder er kommandierte seine abgenutzte!: Bleisoldaten, von denen der blaue Lack längst abgesprungen
war, und ließ sie auf dem Tische aufmarschieren in langen.
Kolonnen. Manchmal führte er auch Gefechte und Schlachten mit ihnen auf und schoß nach ihnen mit Tonkugeln und Dominosteinen.
Oft auch mußte ihm die Mutter die alten schwarzen Stahlstiche erklären, die in den schmalen Goldleistenrahmen an den Wänden hingen. Historische Bilder in der nüchtern heroischen Auffassung der frühen Romantik, die Figuren wie erstarrt irr weiten, theatralischen Gebärden. „Maria Stuart auf den: Schafott", „Heinrich der VIII., der Katharina Howard verstößt" und „Der Tod des Sängers Rizzio".
Oder er kniete auf dem harten Lederstuhle vor dem Fenster, drückte die Nase platt gegen die Scheiben und sah hinüber nach dem Dach des Vorderhauses, in dessen Rinne die Tauben gurrend hintereinander herliefen, oder hinunter in die breiten Kronen der beiden Kastanienbäume im Hofe. Das war die Welt seiner ersten Kindheit. - -
Und dann starb der Vater.