Heft 
(1906) 14
Seite
290
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schied jedem die Hand und sah ihnen noch nach, wenn sie im Flur und auf der Treppe verschwanden. Erst die Mama, die an ihren Handschuhen nestelte, dann Hans und zum Schluß Sephi, die mit den trippelnden Kinderfüßchen zu jeder Stufe zwei Schritte brauchte.

Es war ein schönes, neues Haus, mit breiter läufer­bespannter Treppe, in dem die Gerolds wohnten. Auf dem ersten Absatz der Treppe war eine Tafel angeheftet, auf der standMezzanin" das konnte man noch sehen, wenn man unten an: Fuß des Stiegenhauses stand. Und jedes Wort schallte da so sonderbar wider.Mezzanin" Georg Bang konnte sich den Sinn dieses Wortes nicht deuten; er hatte es niemals vorher gehört. Das alles ließ ihm das Haus geheimnisvoll erscheinen und wob ihm um die Gestalten der Mutter und der Schwester seines Freundes seltsam märchen­hafte Züge. Sie wurden ihm zum Inhalt seiner Träume.

Sein sehnsüchtiger Wunsch war es, einmal mit hinauf kommen zu dürfen in das schöne Haus.

Er dachte sich die Dinge und das Leben dort ganz wunder­bar er meinte, es müßte da oben sein, so daß man gar nie weinen könnte. Er sah es förmlich vor sich, wie da die schöne Frau so ernst und langsam und mit halbgeschlossenen Augen so wie sie immer auf der Straße ging durch all die vielen Zimmer rauschte. Sie trug lange, gelbe Handschuhe dabei aus weichem Leder, und die Zimmer waren so feierlich und wunderbar wie jenes auf dem Stahlstich, auf demder Tod des Sängers Rizzio" zu sehen war. Auch Sephi sah er so im Geiste. Sie trug ein zartes Spitzenkleidchen und saß in einem großen Seidensessel . . .

Und in all dieser Herrlichkeit durfte sein Freund Hans Gerold immer leben das alles war ihm täglich Umgebung, er war ja selbst ein Stück davon!

So kam es, daß sich die ganze scheue Verehrung, die Georg Bang vor diesem Hause und vor seinen Bewohnern empfand, als Liebe auf seinen Freund Hans übertrug. Er wurde ihm zum Inbegriff des Guten, Hohen und dessen, was er selbst so gerne gewesen wäre.

Zu Hause sprach er Zu seiner Mutter von dem Freunde und den Seinen. Die Wangen wurden ihm dann rot vom Reden, und Frau Marie Bang nickte ihm zu und strich ihm übers Haar.Halt' dich nur an diesen kleinen Gerold," sagte sie dann,das muß nach allem, was du sagst, ein guter, lieber Bub' sein!" Im stillen aber ging ihr dabei wohl ein weh­mütiges Sinnen durch den Kopf. Sie fürchtete für ihren armen Buben den Augenblick, da ihn das Leben hart und schonungslos erkennen lassen würde, daß Freundschaft zwischen arm und reich nicht mit hinaus wächst über die Knabenjahre. Und wie Frau Marie Bang, so dachte auch Herr Franz Schnee­berger, nur daß er seine Meinung nicht still für sich behielt wie jene. Denn als er an einem jener Abende, an denen es ihn Hinübergetrieben hatte Zu den beiden, die so gut zuzuhören ver­standen, von dem Freunde Georgs hörte und als er dabei das begeisterte Gesicht des Kleinen sah, da lachte er so spöttisch und so überlegen, daß Georg mit dem Weinen kämpfen mußte.

Ja, ja Freunde!" sagte dann Herr Schneeberger,

haben wir auch g'habt haben wir alles auch g'habt! Sogar mehrfach, junger Herr! Eine ganze Hetze! Aber jetzt? Du lieber Gott! Sind alle stolz an mir vorbeig'wachsen ja! Der eine is a großer Verleger heut', und der andere handelt mit unverdorbenem Papier, der dritte macht Bankg'schäfte, und der vierte sitzt scho' im Zuchthaus aber kannst's glauben, Bua nicht einmal der möcht'mich, den titellosen Antiquar, als seinen Freund von damals kennen wollen! Freunde, die in guter Lage leben, sind nicht für uns wir hängen, wenn wir noch so jung und dumm sein, wie auch ich es einmal war einen guten Teil von unserem Besten an sie, und Wnnen sie damit doch nicht an uns halten, wenn's Leben sie höher tragt als uns!"

Mit verkniffenem Gesicht zog er dann dicke Wolken aus seiner Pfeife. Frau Marie Bang aber nickte ihrem Buben,

dessen Augen so ängstlich fragten, mit beruhigendem, leisem Lächeln zu, streichelte die kleinen braunen Hände, die auf dem Tische lagen, und gab dem Gespräche eine andere Wendung.

Und als Herr Franz Schneeberger dann gegangen war und die Mutter das Zimmer noch ein wenig aufgeräumt und sich dann zur Ruhe begeben hatte, daß nur ihre gleichmäßig tiefen Atemzüge hörbar waren, da lag Georg noch lange wach mit offenen Augen in seinem Bette. Die Worte, die Herr Schneeberger mit seiner eindrucksvollen Art gesprochen und die der Knabe doch nur halb verstanden hatte, die hatten in ihm mit dem Gedanken an eine Trennung von dem Freunde und von den Seinen ein nur noch tieferes Gefühl für diese alle erweckt. Ihm schien allein die Möglichkeit einer solchen Trennung verknüpft mit einem Schmerze sondergleichen. Ihm war's, wie wenn er nicht genug zum Ausdruck bringen könnte, was jene seinem Dasein waren. Seine Augen suchten in dem Dämmerdunkel des Raumes, sie gingen über das Bett der Mutter hin und blieben haften an den: schwarzen Flecken an der Wand, von dessen schmalem Goldrahmen ein leiser, falber Schimmer ging. Er wußte, das warMaria Stuart auf dem Schafott". Er sah die schlanke, schwarzgekleidete Gestalt mit den in Schmerz erhobenen Händen im Geist förmlich vor sich, er sah die rohen Henkersfäuste, die sich drohend ihr entgegenstreckten und seine erregten Gedanken trieben weiter, weit hinaus über den fahlen Rahmen des alten Stiches. Er träumte sich hinein in alle möglichen, phan­tastischen Geschichten, in denen stets sein Freund oder Sephi und die schöne Frau in irgend eine große, schreckliche Gefahr gekommen waren, und wo dann im letzten Augenblick er auftrat und sie retten konnte. In seinem Kinderherzen war der kleine Held erwacht, die Liebe zu dem Freunde und den Seinen hatte die Phantasie des Knaben aufgeweckt . . .

Seit diesen: Abend wurde die Hingebung, mit der Georg Bang an seinem Freunde Gerold hing, noch inniger und tiefer. Es wurde jene stille und beinahe feierliche Liebe, wie sie nur Knaben kennen mit reinem, unverdorbenem Gemüte, bei denen sich das ganze Fühlen, sinnig und sinnlich un­gesondert, dem Freunde gibt.

Und dann sollte sich eines Tages sein stiller Wunsch erfüllen.

Es war kurze Zeit vor dem Geburtstage Hans Gerolds, als dieser ihm gleich morgens in der Schule mit der frohen Nachricht kam:Papa läßt deine liebe Mama schön grüßen und fragen, ob du am Sonntag nach dem Essen Zur

Schokolade zu uns kommen darfst!"

Georg war ganz glücklich und hatte doch ein wenig Angst zugleich. Er konnte es kann: fassen, daß er nun in das schöne Haus sollte gehen dürfen, über die Teppiche auf der Treppe hinauf und in die große Wohnung, von der er schon so viel geträumt hatte.

Er war zerstreut während der folgenden Stunden, und als ihn der Lehrer plötzlich beim Namen rief und nach etwas fragte, da konnte er nicht einmal die Frage wiederholen, so daß ihn der Lehrer unaufmerksam schalt und eine ganze Weile stehen ließ. Da stand er nun, sah auf die Platte des niederen Tisches hinunter und gab sich alle Mühe, auf­zumerken. Dennoch trieben ihn die Gedanken immer wieder fort; wie leerer Schall klangen die Worte des Lehrers an sein Ohr, und auch das Bewußtsein des Schändlichen der Strafe, die er eben erhalten hatte und die ihn an jedem anderen Tag empfindlich getroffen hätte, drang nicht zur Tiefe in dem sonst so leicht verletzten Knaben.

Und als dann gar, nach der Schule, beim Nachhause­gehen Herr Gerold, der seinen Sohn abholte, dem Georg Bang noch einmal sagte, daß er am Sonntag um drei Uhr doch kommen sollte, wenn seine Mutter es erlaubte, da konnte er kaum Worte und Stimme finden, um Antwort zu geben . . . Nur den Arm seines Freundes Hans, mit dem er Hand in Hand gegangen war, zog er fester an sich, und seine Augen strahlten vor Dank und Freude . . .