Heft 
(1906) 14
Seite
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Es wurde Sonntag. Gleich beim Erwachen früh am Morgen ging Georgs erster Gedanke zu seinem Freunde. Und was er später auch noch tat an diesem Vormittage, während er Schulaufgaben schrieb und während er zur Kirche ging, in der er wie an jedem Sonn- und Feiertage mit seiner Mutter eine stille Messe hörte, sein Denken war nur halb bei allen diesen Dingen. Aber keine kleinliche Zerstreutheit war es, die ihn umfing, nein, sein Gemüt war erfüllt von einer stillen, erwartenden Andacht, wie er sie nie vorher empfunden hatte.

Durch den weiten, weihrauchduftenden Raum der Kirche schallte die Glocke des Ministranten. Ihr Klang war fein und zog ein zitterndes Vibrieren hinter sich. Da ging ein Scharren durch die Bänke und durch die Reihen, und all die Menschen beugten ihre Knie und schlugen an die Brust und sahen vor sich nieder. Und wieder klang der Ton der kleinen Glocke durch den weiten, von Dämmerlicht erfüllten Raum. Georg sah auf. Da stand der Priester, von dessen Schultern es in golddurchwirkten Falten floß, und Hielt mit beiden Händen die strahlende Monstranz hoch empor. Weihrauch stieg duftend auf, und viel kleine Lichter stachen mit warmem Schimmer in den Nebel.

Wie schön ist das! dachte der Knabe. Zum erstenmal, seit er zur Kirche ging, verband sich ihm, halb unbewußt ein tiefer Sinn mit dieser Schönheit. Er dachte nicht an jene Lehre, die der Katechet ihm in der Schule vorgetragen hatte, und sah auch nicht den Leib des Herrn in der Monstranz. Aber ein Gefühl ergriff ihn, als wäre es das Leben selber, das sich da offenbarte, als spräche aus dem allen eine milde ernste Stimme: Siehe ich komme zu dir.

Still und schweigsam ging Georg Bang mit seiner Mutter aus der Kirche und durch die Straßen. Die Menschen fluteten vorbei an ihnen, und ihm war es, als läge heute ein neuer Ausdruck über allen. Zu Hause setzten sich die beiden bald an den Tisch zu dein hescheidenen Mittagsbrot. Georg blieb seltsanr ruhig, er nur wenig und blickte wie im

Traum vor sich hin. Zweimal fragte die Mutter, ob ihm etwas fehle; er schüttelte den Kops: nichts.

Dann, bald nach Tische, machte sie den Sohn zurecht für den Besuch. Sie gab ihm Lehren, nicht zu viel zu fragen, und der Mama von Hans beim Kommen und beim Gehen die Hand zu küssen, sie band ihm die Krawatte zu einer schönen breiten Schleife und mahnte ihn, sie nicht mit Kaffee oder Schokolade zu betropfen. Und gegen sieben Uhr am Abend wollte sie ihn wieder holen das sollte er doch sagen, wenn man fragte.

Als sie dann eben gehen wollten, begegneten sie Herrn Schneeberger im Vorzimmer. Er kam aus dem Kaffeehaus, in dem er sich an jedem Sonntagnachmittag bei einen: Berg von Zeitungsblättern seinenSchwarzen" gönnte, und wollte nun zu Hause seine Pfeife rauchen und auf dem Sofa eine Stunde schlafen. Auch das gehörte mit zu seinen Sonntags­freuden. Nicht eben freundlich sah er Georgs Aufputz an; und als Frau Bang nun von dem seltsanr stillen Wesen des Knaben sprach, da zuckte er die Achseln.Der Bub wird Würmer haben!" sagte er.Würmer sind sehr beliebt in diesem Alter." Ein kurzer Gruß, und dann verschwand Herr Franz Schneeberger hinter seiner Tür.

Frau Marie Bang und Georg gingen zusammen nach der Reisnerstraße. Würmer? dachte sie, und sah besorgt auf ihren blassen Jungen vielleicht. Sie konnte ja auf alle Fälle für ein paar Kreuzer Wurmsamen aus der Apotheke mitnehmen. Half's nicht schaden konnte es ja auch nicht viel.

Mit klopfendem Herzen stieg Georg neben seiner Mutter über die teppichbelegte Treppe hinauf. Sie gingen vorbei an der Tafel mit dem seltsamen WorteMezzanin" und stiegen höher bis zum dritten Stocke, wo der NameHeinrich Gerold" auf dem blanken Messingschilde einer Doppeltüre stand.

Hier küßte Frau Marie Bang den Buben zum Abschied auf die Wange, und wahrend er die Glocke zog und nun klopfenden Herzens wartete, ging sie die Treppe hinunter.

(Fortsetzung folgt.)

Die Schöpfungstage.

Von Wilhelm Bölsche. Mit Illustrationen von Heinrich Harder.

Es werde Licht! Bedeutsam hat der biblische Mythus dieses Ereignis an den An- ^ fang aller Dinge gestellt. ^ Menschen selbst sind

Lichtkinder. Wenn unser Denken sich hinabträumt in die endlosen Abgründe des Seins, wenn es eine Ms. Stelle im Uferlosen sucht, wo unsere Welt, die Epi­sode des Geschehens, in der wir auftreten sollen, beginnen könnte, so erscheint kein Augen­blick geeigneter dazu als das Auf­machen eines ersten Lichtes. Kei­nes bestimmten Lichtes noch. Keiner Sonnen, Sterne, Monde. Nur eines ganz allgemeinen ersten Däm- merns über unbestimmten Welten­ballungen des Alls. Eines ersten Gegensatzes von Hell und Dunkel, in dem überhaupt etwas- sichtbar wird auf der Weltenbühne.

Es ist jene Bormorgenstimmung, die in unserer irdischen Natur dem Frühaufsteher begegnet, wenn die Sterne ver­bleichen und doch die Sonne noch nicht aufgegangen ist.

I.

Chamisso hat sie einmal unvergleichlich geschildert mit den Augen seines Einsiedlers auf Salas y Gomez:

Ich saß vor Sonnenaufgang an dem Strande,

Das Sternenkreuz verkündete den Tag,

Sich neigend zu des Horizontes Rande.

Und noch gehüllt irr tiefes Dunkel lag Vor nrir der Osten, leuchtend nur entrollte Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag,

Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte;

Mein starrer Blick lag ans des Meeres Saum,

Wo bald die Sonne sich erheben sollte.

Die Vögel auf den Nestern wie im Traum Erhoben ihre Stimme, blaß und blasser Erlosch der Schimmer in der Brandung Schaum.

Es sonderte die Luft sich von dem Wasser,

In tiefem Blau verschwand der Sterne Chor;

Ich kniet' in Andacht, und mein Aug' ward nasser.

Nun trat die Pracht der Senne selbst hervor,

Die Freude noch in wunde Herzen senkt;

Ich richtete zu ihr den Blick empor ..."

Immer, wenn ich den biblischen Schöpfungsmythus lese, drängt sich nur unwillkürlich die Vermutung auf, es liege ihn: ein ähnliches Naturbild zugrunde: eine Insel, die sich um Morgengrauen aus den Nebeln und Wassern entschleiert. In die chaotische Nachtstimmung dringt zuerst ein diffuses Bor­morgenlicht. Irr seiner zarten Helle sondern sich Himmel und Meer. Es sondern sich Wasser und Land. Im kreidigen