Heft 
(1906) 14
Seite
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Er war eines Tages im Tiergarten ganz unversehens mit seinen: ehemaligen Stallmann Bogladki zusammengetroffen. Erst wollte er seinen Augen nicht trauen, aber als er seinen Fuchs parierte und den einfachen Mann, der ein herrschaftliches Pferd ausführte, schärfer aufs Korn nahm, erkannte er ihn, schon an der demütig gerührten und freudig erregten Art, wie der ihn begrüßte. Er winkte ihn zu sich heran, begann ein Gespräch mit ihm und ließ ihn dann neben sich im Schritt einherreiten.

Bogladki hatte auf dem Soterschen Gestüt, wo er ganz jung als Stallbursche eingetreten war, nicht allzu gute Tage gesehen. Aber er war ein grundgütiger Mensch, etwas bechrünkt und treu. Und Dankbarkeit beseelte ihn noch heute, denn sein hoher Chef hatte ihm seinerzeit eine gute Stellung außerhalb in Nagy- Dewna bei einem ungarischen Magnaten verschafft.

Mit warmer Teilnahme erkundigte sich Sixt von Soter nach seinem Ergehen, und Bogladki erzählte, sichtlich gerührt und zu­gleich geehrt. Gegenwärtig weilte sein Herr, bei dem er Leib­kutscher geworden war, wegen Ankaufs eines Viererzuges in Berlin. Sie unterhielten sich über Fachdinge, und schließlich kam Sixt von Soter auf die letzten Vorgänge im Gestüt zu sprechen, deren Zeuge Bogladki noch geworden war, kurz bevor ihm das große Glück der glänzenden Stellung auf Nagy-Dewna wider­fuhr. Bogladki konnte sich all der Einzelheiten zunächst nicht mehr entsinnen, aber sein ehemaliger Herr rief ihm dies und das so deutlich in die Erinnerung, da^ es ihn: wieder mehr und mehr klar ward.

Ja, siehst du, Alterchen, und was es doch für schlechte Menschen in der Welt gibt. Ich will dir die ganze verdammte Geschichte 'mal erzählen. Du weißt doch noch, was wir damals in Stall IV stehen hatten, wie? Stand I rechts die Lethel und Stand HI links die Minka. Stimmt's?"

Ja, großartiger Gaul, die Lethel. So bis auf die Augen waren sie zum Verwechseln, die beiden Luder. Die Fremden irrten sich auch immer. Aber ich, gnädiger Herr, ich kannte sie ganz genau. Und mir gehorchten sie auch aufs Wort."

Du warst der beste Pferdepfleger, Bogladki, den wir je gehabt haben. Drum Hab' ich dir doch auch gerade

Stall IV gegeben. Die Lethel die galt doch ein Ver­mögen. Und nun denk' bloß, sie sagen, damals, wo ich mit meiner Tochter in Berlin war, da hätte der junge Baron Menkenke gemacht. Die Lethel ging doch nach Amerika, das war doch damals grad in der Schwebe . . ."

Ja, gnädiger Herr, ich weiß, und der Herr Baron der junge Herr der wollte den großen Ritt auf ihr mitmachen."

Den Distanzritt Hamburg-Rom, ganz recht. Aber das weißt du doch noch: hernach trainierte er die Minka, weil die Lethel doch verkauft werden sollte. Und unterwegs ging sie ihm ein, die Kanaille."

O gewiß ja, ja so wird es gewesen sein, gnädiger Herr."

Warte, wir wollen den ganzen Hergang einmal durch­gehen. Und dann sollst du mir sagen, ob es so stimmt."

Bogladki folgte jedem Satz, jedem Wort. Sein hoher Chef war früher nie so geduldig mit ihm gewesen.- Da hatte es manchmal schwapp! eins mit der Reitpeitsche gegeben. Aber heute war er sehr gnädig. Und Bogladki versicherte strahlend:Ja, akkurat so hatte sich's damals zu­getragen" er wußte es noch ganz genau. Und schließlich gab ihm Soter noch eine Hilfe, woran er sich merken konnte, was für Daten man damals gehabt hatte. Als der junge Herr sich entschied, die Minka für den Distanzritt zu trainieren, war es Mitte Jum. An einem Sonnabend, am Lohntag, kam dann die Nachricht aus Palzarone bei Mailand, daß die Minka eingegangen wäre. Erst drei Tage später es war ein Dienstag, denn Dienstags gab's immer saure Bohnen, daran konnte man sich's merken holte der junge Herr dann die Lethel. Das war also Dienstag den 24. Juni, grade an St. Johannis, wo es auf dem Hos Schnaps, Bier und Tanz mit den Mägden gab. Die Lethel hatte bis zu diesem Augenblick in Stand I rechts von der Tür im Stall

Nummer IV gestanden. Und in Stand III links fehlte die Minka seit genau neun Tagen. Er- Bogladki- der die Pflege ganz allein besorgt hatte, mußte es doch wissen!

Ja, ja, so war's," sagte Bogladki kopfnickend,darauf würde ich schwören können."

Das brauchst du ja nicht, gute alte Seele," meinte Sixt von Soter lachend. Dann klopfte er ihm auf die Schulter und gab ihm die Hand.

Laß dir's gut gehn, altes Haus. Übers Jahr Hab' ich vielleicht in Ungarn zu tun, dann besuch' ich euch. Wieviel Kinder habt ihr? Potzblitz, daß du eine Ungarin geheiratet hast! Und sprichst selbst schon fertig ungarisch, wie? Ja, alter Bogladki, der liebste von allen Stalleuten bist immer du mir gewesen. Na, das Hab' ich dir ja auch ins Zeugnis ge­schrieben. Wie? Grüß deine Frau, Alterchen!"

. . . Bogladki stand heute scheu und bedrückt im langen Korridor des Gerichtsgebäudes. Als Herr von Soter mit

seiner Tochter an ihm vorüberkam, wollte er freudig den Hut

ziehen, um ihn zu begrüßen. Aber sein ehemaliger hoher Chef blickte nicht zu ihm her und da wagte er nicht, sich bemerk­bar zu machen. Auch den Baron von Gamp glaubte er zu erkennen. Aber der hatte sich mächtig verändert, der Herr Baron. Bogladki wunderte sich auch darüber, daß die beiden jungen Eheleute sich nicht nebeneinander auf eine der langen

Bänke setzten, sondern daß Herr Theo, der sehr bleich war

und mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz stand, fast un­beweglich verharrte und mit seinen großen, Hellen, jetzt so selt­sam ernsten Augen über das Gewühl hinsah . . .

Im Sitzungssaal herrschte bereits eine drückende Hitze. Das Bild unterschied sich von dem anderer Tage sehr wesentlich. Die eleganten Toiletten auf den Bänken, die große Zahl der zur Verhandlung aufgebotenen Verteidiger, die charakteristischen Männerköpfe im Zuhörerraum, die dicht umlagerten Tische der Berichterstatter alles wies darauf hin, daß sich's um einen Prozeß handelte,von dem man sprach".

So oft der Nuntius die Tür öffnete und jemand eintreten ließ, durchschwirrte ein Flüstern den überfüllten Raum. Die Eingeweihten gaben Auskünfte die Neugierigen fragten.

Der Herr mit dem vollen, roten Gesicht und dem blonden Bart, ist das der Kläger?"Nein, das ist Doktor Heinroth, der Beklagte."Gibt's hier keine Anklagebank?"Nein, es ist ja kein öffentliches Strafverfahren, nur Zivilprozeß, Beleidigungsklage."Da, sehen Sie, der Herr, der jetzt eintritt, das ist Gernot."Famose Erscheinung."Ich Hab' ihn damals im Reichstag gehört, als die Sache mit Sczuls passierte."Ob Sczuls heute auch da ist?" - Hier auf der Tribüne nicht."Vielleicht kommt er als Zeuge vor."Warum Gernot nicht lieber den Polen ver­klagt hat?"Der ist ja immun als Abgeordneter. Da hätte sich die Geschichte über Jahr und Tag hingezogen." Haben Sie draußen die beiden Stalleute gesehen? Die glatt­geschorenen Gesichter. Echte Typen vom Turf."Ja, die sind von der Verteidigung geladen."Donnerwetter, Heinroth hat zwei Rechtsanwälte, der läßt sich's was kosten."Alles Reklame für sein Blatt. Bedenken Sie den Eindruck, wenn es heißt: er hat einen Mann wie Gernot gestürzt. So aus dem losen Handgelenk."Für den amerikanischen Jockey ist ein vereidigter Dolmetscher da."Ist es wahr, daß sie den geschiedenen Mann von der Baronin doch noch aufgetrieben haben? Es hieß immer, er wäre in Bombay."Den haben Sie nicht gesehen? Er stand doch draußen am Gangfenster. Der Schlanke, Braungebrannte, mit den hellgrauen Augen." Was, das blutjunge Kerlchen?"O, er ist schon gut seine Achtundzwanzig."Die Herren da auf der zweiten Bank links von uns, das sind doch sicher gleichfalls Offiziere in Zivil."Vielleicht ehemalige Kameraden von Gamp."Der eine, der mit dem Habyschnurr, ist Freiherr von Wegerlein."Was, der Rennreiter?" --Ja, der