Heft 
(1906) 14
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Kürassier."Was soll der General eigentlich, der im Gang draußen auf und abgeht?" -Das ist Herr von Wichern, der als Oberstleutnant das Regiment führte." -In dem Baron von Gamp stand?" -Ja. Gamp mußte doch damals den Abschied von den Marren nehmen." --Nein, meine Herren, Sie täuschen sich, ich weiß es ganz genau, Gamp ist freiwillig ge­gangen."Na, mir hat man gesagt, er wäre mit schlichtem Abschied weggeschickt worden."I, dann hätt's doch zuvor zu 'ner Ehrengerichtsverhandlung kommen müssen."Da ist der Gerichtshof."Wer führt den Vorsitz?" -Amts­richter Preuschker, riesig geschickter Jurist."Na, ich bin gespannt wie ein Regenschirm."Scht, still, Ruhe!"

Nun schwieg das Schwirren, Scharren, Flüstern, Sprechen und Raunen. Nur da und dort räusperte sich noch jemand.

Vor Eintritt in die eigentliche Verhandlung legte der Vor­sitzende den beiden Parteien noch einmal die Möglichkeit eines Vergleichs nahe. Aber die Erklärungen, die die beiden Rechts­anwälte im Auftrag ihrer Mandanten sofort abgaben, ohne noch eine besondere Instruktion einzuholen, bewiesen, daß dieser Versuch von vornherein aussichtslos war.

Es ging fast wie ein Aufatmen durch die Reihen der Zuhörer: ein Vergleich hätte sie ja um die ganze Sensation gebracht, denn es waren doch zweifellos allerlei Enthüllungen zu erwarten.

Gleich nach der Verlesung des Protokolls vom ersten Termin meldete sich Rechtsanwalt Fresenius, der erste Ver­teidiger des Doktors Heinroth, beim Vorsitzenden mit dem Antrag, im Namen seines Klienten eine Erklärung abgeben zu dürfen. Nach kurzer Beschlußfassung durch den Gerichtshof wurde ihm die Erlaubnis dazu erteilt.

Fresenius, der mit seiner Beweglichkeit und Schärfe den vollen Gegensatz zu dem ruhigen, würdigen, immer leicht überlegenen und kühlen Vertreter der Gegenpartei, Justizrat Bressentin, bildete, wandte sich beim Sprechen mehr dem Publikum als dem Richtertisch zu. Es kam ihm anscheinend besonders darauf an, sich den Zeitungsberichterstattern ver­ständlich zu machen:

Es ist in den letzten Wochen in der Tagespresse meinem Mandanten teils versteckt, teils unverblümt der Vorwurf gemacht worden, er habe zur Erbringung des Wahrheitsbeweises ver­schiedene Reisen unternommen, die den Verdacht einer Zeugen­beeinflussung aufkommen ließen. Weitere Schritte, um diese beleidigenden Insinuationen zu verfolgen, behalten wir uns vor. Feststellen will ich im Namen meines Mandanten heute aber, daß weder er selbst noch einer seiner Rechtsbeistände mit einem der für den heutigen Termin geladenen Zeugen auch nur ein einziges Wort gewechselt hat. Daß dies von der Gegen­partei nicht behauptet werden kann, liegt auf der Hand."

Ein leises Flüstern und Hinundherwenden der Köpfe im Zuschauerraum.

Schon hatte Justizrat Bressentin beim Vorsitzenden sein Anrecht, auf diese Erklärung sofort erwidern zu dürfen, geltend gemacht.

Ich stelle die Frage an den Herrn Vertreter des Beklagten, ob er mit dem letzten Satz seiner Erklärung die Vermutung hat aussprechen wollen, daß auch nur im entferntesten eine Zeugenbeeinflussung von meinem Mandanten oder seinen Rechts­beiständen versucht worden sei."

Bei den nahen verwandtschaftlichen Beziehungen der Hauptzeugen untereinander," lautete die Entgegnung,steht es für mich fest, daß die einzelnen Punkte, die heute hier zur Sprache kommen sollen, im familiären Kreise erörtert worden sind. Das Gegenteil wäre ja wohl auch unnatürlich. Nichts anderes als diese Feststellung bezweckte der Schluß meiner Erklärung."

Sofort ging es nun zur Vernehmung der Sachverständigen und der Zeugen.

Als erster wurde der Herausgeber der Sportzeitung auf­gerufen, die bei dem in Fachkreisen vielerörterten Fiasko der Lethel auf amerikanischem Boden zum erstenmal die Vermutung ausgesprochen oder wenigstens angedeutet hatte, daß

dieses plötzliche Versagen eines so erstklassigen Rennpferdes doch wohl nicht ganz einwandfrei wäre.

Der Artikel wurde verlesen.

Erklären Sie uns, Herr Zeuge, was Ihr Blatt veranlaßt hat, einen so schwerwiegenden Verdacht auszusprechen."

Ich war damals noch nicht Herausgeber des Blattes, sondern nur Mitarbeiter. Aus dem Redaktionsjournal habe ich ersehen, daß den Artikel ein hervorragender Fachmann geschrieben hat, Graf Uslarn-Wichtenbruck, der mit dem Buch­staben II. zeichnete und zwölf Jahre lang für unser Blatt tätig war. Er schrieb übrigens damit nur eine Behauptung nieder, die in Sportkreisen damals seit Wochen von Mund zu Munde ging. Ich habe selbst mehrmals auf dem Sattel­platz in Karlshorst davon sprechen hören. Und es wurde besonders scharf kritisiert und für besonders belastend gehalten, daß der Freiherr von Gamp, durch den der Verkauf der angeblichen Lethel vollzogen worden war, inzwischen seinen Abschied genommen hatte und auf Nimmerwiedersehen ins Ausland gereist war."

Noch mehrere Herren aus Sportkreisen wurden nach dem Zeugen vernommen. Sie konnten im allgemeinen nur das­selbe bestätigen: das Gerücht hätte sich damals mit großer

Zähigkeit erhalten, daß das nach Amerika verkaufte Pferd nicht die Lethel gewesen wäre, und man hätte es sehr be­dauert, daß es zu keiner Klarstellung mehr gekommen wäre, weil das Eingehen des Renners den Amerikaner am Pro­zessieren verhindert hätte. Einer der Zeugen meinte: was am meisten, am unangenehmsten aufsiel, das wäre der Um­stand gewesen, daß der Schwiegervater des in der öffent­lichen Meinung Beschuldigten, der damalige Gestütsdirektor Sixt von Soter, sich auch auf den vorhin verlesenen Artikel hin damals nicht gerührt hätte, obwohl man wußte, daß ihm das Blatt zugeschickt worden war.

Die Zeugengruppe wurde entlassen. Keiner der Herren verließ aber den Saal, sondern sie nahmen sämtlich in den vor der Zuschauertribüne leergehaltenen Stuhlreihen Platz.

Herr Zeuge Sixt von Soter!" rief der Vorsitzende dem Nuntius zu.

Unter starker Spannung aller Anwesenden trat der Auf­gerufene ein.

Von einer Vereidigung des Herrn Zeugen nehmen wir vorläufig Abstand," erklärte der Vorsitzende,der verwandt­schaftlichen Beziehungen zu den Hauptbeteiligten wegen."

Sofort erhob sich Gernot und sprach erregt mit Justizrat Bressentin, der sich darauf zum Wort meldete:

Mein Klient erblickt in der Nichtvereidigung des Herrn Zeugen nicht nur ein ganz ungerechtfertigtes, durch nichts zu begründendes Mißtrauen, zumal eine Verwandtschaft im Sinne des Gesetzes noch nicht besteht, sondern im weiteren Verfolg auch eine Benachteiligung seiner Prozeßführung."

Es kam zunächst zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen den Parteien, und das Schöffengericht trat in eine Beratung ein. Das Ergebnis war: der Vorsitzende blieb bei seiner vorläufigen Entscheidung, behielt sich aber die nachträg­liche Vereidigung des Zeugen vor.

Sixt von Soter hatte hoch aufgerichtet und unbeweglich dagestanden. Seine Miene wies einen etwas spöttischen

Zug auf. In seinen Augen blitzte es. Keine Wendung war ihm entgangen. Das einzige, was ihn bisher noch mit Furcht erfüllt hatte, die Aussicht, seine Aussagen beschwören zu müssen, sank wie eine schwere Last von ihm. Mit kurzem, anscheinend bedauerndem Kopfnicken nahm er den Gerichtsbeschluß entgegen.

Sie sind wohl über die zur Erörterung stehenden Punkte orientiert, Herr Zeuge. Herr Doktor Heinroth hat in der Nummer 19 dieses Jahrganges seiner Zeitung den Ver­dacht ausgesprochen, Sie hätten in Gemeinschaft mit Ihrem Schwiegersohn, dem damaligen Leutnant Freiherrn von Gamp, unter Mitwissenschaft Ihrer Frau Tochter, an Stelle der von Mr. Patterson in New Pork Ihnen abgekauften Stute Lethel ein minderwertiges Pferd hinübergeschickt. Einen ähnlichen