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das Tier. Die Schnecke, der noch fast trilobitenhafte Tausendfuß, der Wurm krochen an der Rinde aufwärts. Wie heute noch im Mangrovenwalde unserer Tropen, kletterten kleine Fischchen an dem Wurzelwerk hoch. Allmählich bildete ein Volk dieser Fische nach Art unserer noch lebenden Molchfische seine Schwimmblase zu einer Lunge für freie Landlustatmung um. Die Brust- und Bauchflossen des Fisches ergaben gleichzeitig vier Beine. Wahrscheinlich sind es schon früh rechte Kletterbeine gewesen. Der Daumen stellte sich ein als wirksames Mittel zu diesem Klettern. Schon aus früher Urwelt haben wir Spuren von vielleicht molchartigen Tieren im Schlamm, bei denen der Daumen aufs schönste entwickelt ist. Man glaubt in Zeiten zu sehen, wo der Boden zwischen Baum und Baum noch kaum zu Fuß passierbar war. Die Kletterer, die von einem Värlappbaum zum anderen wollten, mußten hinüberspringen wie unsere Eichhörnchen. Ein solches Tier im Sprunge spreizt aber alle Viere, daß die Luft es möglichst lange trage. Bei gewissen Eichhörnchen führt das zu einer Streckung und Spannung der Haut, die Seitenhaut dehnt sich schließlich zu einem Fallschirm, der es den sogenannten „fliegenden Eichhörnchen" ermöglicht, geradezu eine zum Sprung von Baum zu Baum zu große Strecke zu durchflattern. So war der Schritt auch damals wohl schon nicht allzu groß gleich vom Klettertier zum fliegenden Tier. Der Tausendfuß vom Jnsektenstamm ist früh schon im Steinkohlenwalde selbst zu fliegenden echten Insekten übergegangen: als Heuschrecke ist das Insekt knarrend dahingesaust, als Eintagsfliege hat es sich vom Wasser emporgegaukelt. Wer heute über den Ozean segelt, erlebt den „fliegenden Fisch", der sich über das Wasser heraufschnellt und aus seinen Flossen schwebt. Wie sollte die Eidechse, das Landtier und Klettertier, das doch aus dem Fisch geworden war, diese Kunst nicht auch gefunden und vervollkommnet haben!
In dem biblichen Mythus erscheint Zugleich mit den Wassertieren und lange vor den eigentlichen Landtieren schon das „Gevögel, das auf Erden unter der Feste des Himmels fliege". Das Naturbild eines Seefahrers steckt darin. Fern bis zum bleichen Horizont nur schwer rollende dunkelgrüne Wasser mit weißen Schaumkämmen. Ein Fisch schnellt heraus. Eine Schar blauer Medusen schwimmt still durch die große Meeresöde dahin. Da schwebt aus den Himmeln plötzlich eine silbergraue Möwe herab, wiegt sich frei über den: schaukelnden Plan, umkreist das Schiff und verliert sich als Heller Punkt endlich langsam wieder gegen den Horizont zwischen Himmel und Wasser. Wie der Fisch dem Wasser, so schien solcher Vogel der reinen Luft anzugehören. In den Sagen des fernen Ostens kommt der Paradiesvogel vor, von dem es heißt, daß er lebend nie zur Erde kehre. Das Männchen sollte seinen Rücken als Nest dem Ei und dem brütenden Weibchen darbieten. Das ist nun leider nur ein liebliches Märchen. Wohl gibt es einen Pinguinvogel, der sein Ei ähnlich in einer Hautfalte mit sich schleppt, und das wunderbare eierlegende Säugetier von Australien, das Schnabeltier, trägt (in seiner landbewohnenden Form) ebenfalls das Ei in einem angewachsenen natürlichen Beutel mit sich über Land. Aber weder das Schnabeltier, noch dieser Vogel können fliegen.
Die schönen Steinkohlenwälder mit ihren Schachtelhalmen und Bärlappbäumen waren längst als langsam erhärtende Torfmaffe begraben und von den Uferdünen des Weltmeers zogen sich weite dunkle Forste starrer Nadelhölzer vom Schlage unserer Zimmeraraukarien landeinwärts, unterbrochen von Beständen lichtgoldgrüner Ginkgobäume und kurzstämmiger, mit langen Palmwedeln gezierter Cycadeen — da löste sich wohl um die Abendstunde, wie heute von den Tropenbäumen das gespenstische Volk der großen fruchtfreffenden Fledermäuse, der „fliegenden Hunde", so damals ein Geschlecht fledermaushaft beschwingter scheußlicher Reptile, um möwengleich auf die graue Meeresfläche hinauszuschweben. Pterodaktylen, „Flugfinger", waren das. Aus weit von Baum zu Baum springenden Ur- eidechsen hatten sie sich entwickelt, indem sie gleichsam mit dem
Arm und einen: einzigen riesenhaft verlängerten Finger ihrer Hand die eigene Haut wie das Dach eines Regenschirms jeder- seits von sich abzerrten und so einen gewaltigen Fallschirm und Flugdrachen sich ausbildeten, auf dem sie pfeilschnell dahin glitten. Die meisten ihres Geschlechts waren wirklich klein wie die Fledermäuse. Aber gelegentlich mischten sich doch auch Riesen dazwischen, größer klafternd als der mächtigste Vogel, trotzdem aber federleicht durch papierdünne, innen leer ausgehöhlte Knochen. In bewundernswürdiger technischer Leistung schien bei ihnen vom Reptil aus wirklich das Problem auch des Fliegens gelöst, nachdem dieses Reptil glücklich von Fisch und Molch aus das Land und den Wald erobert hatte.
Aber das Geschlecht dieser flatternden Regenschirme, die sich in der Ruhe zuklappten und mit den jenseit der Flughäute freien Krallenfingern ruhig an irgend einen Vaumast hakten, blühte noch und entschwebte allabendlich seinem Araukarien- und Cycadeenwalde, da erschien zwischen ihnen jäh mit einer ganz anderen Flugart schon ein neues Geschöpf, das nach dieser Seite einen viel höheren Triumph darstellte. Es erschien der erste Vogel selbst.
Auch er erschien noch mit den deutlichen Spuren, daß er von der Eidechse, vom Reptil kam. Aber ganz andere Wege hatte hier doch die alte kaleidoskopische Formkraft, die auch in diesem Reptil lebte, eingeschlagen. Die Schuppe des Reptils hatte sich umgeformt zur weichen, bunten Feder. Aus großen Schwungfedern, die der Arm wie einen Schild führte, hatte sich jederseits ein echter Flügel gebildet. Zum Zeichen der Reptilienherkunft ragten auch aus diesem Flügel allerdings noch drei Haken, drei Krallenfinger hervor, fähig, sich ebenfalls noch gebotenen Falles fledermaushaft an einen Baumast anzuklammern. Eidechsenhaft lang, aus endloser Wirbelkette gebildet, schleppte auch der alte Reptilschwanz noch nach, obwohl ihn seitlich schon echte Federn garnierten. Und im Rachen glänzten scharfe Zähne, Zähne des Krokodils an einem Vogelkopf! So segelte er von seinem Ast, der Urvogel Archäopteryx, einer Krähe einstweilen erst an Größe gleich.
Aber eine gewaltige Kette der Schicksale mußte sich Ring an Ring geschlossen haben im Laus der Dinge, daß gerade er schon werden konnte.
Seine Blutwärme war nicht mehr von der Außentemperatur der Luft abhängig. Er trug eine innere Heizung in sich in: Gegensatz zu seinen Ahnen vom Molch- und Reptiliengeschlecht. Wann war ihm das als glücklichste, als bequemste Anpassung verliehen worden? Um den Ausgang der Steinkohlenzeit hatte die Erde allen Anzeichen nach ein ungeheuerliches Phänomen erlebt: eine Eiszeit hatte sie, schrittweise von der Südhalbkugel zur Nordhalbkugel vorschreitend, heimgesucht, eine Eiszeit, viele Millionen von Jahren vor jener allbekannten, in der die Mammute lebten. Vielleicht hatte die Steinkohlenzeit selbst mit ihrer großen Gebirgsbildung und Gebirgsverwitterung (welche Äonen der Zeit tauchen in solchen Worten auf!) und mit ihrer fabelhaften Pflanzenentfaltung so stark die Kohlensäure der Atmosphäre fortverbraucht, daß um ihr Ende ein allgemeiner Kohlensäuremangel entstand, der die Lufthülle dieser Erde schwächer, unfähiger machte gegenüber der Wärmeausstrahlung in dem kalten Weltraum, und so sank Jahrtausende hindurch die Gesamttemperatur um eine gewisse Änzahl Grade, genug, Gletscher zu entsenden von allen Gebirgsresten und die Lebenswelt zu bedrohen. Zu bedrohen? Nein, zum Experimentieren, zum neuen Formenwerfen neu zu bringen. Eine solche Form ist höchstwahrscheinlich damals das warmblütige Wirbeltier gewesen. Als Archäopteryx taucht es fliegend auf, zunächst dann wieder Bürger einer sich neu erwärmenden Erdenwelt, in der die Eiszeit doch nur vorübergehender ein Schreckschuß gewesen war. Die wärmende Feder, die innere Heizung, erlangt vielleicht in einem Moment stärker dräuender Abkühlung, wurde mit der Wiederkehr der allgemeinen Tropenwärme in der folgenden Sekundärzeit (Trias, Jura, Kreide) zunächst jetzt bloß eine Erleichterung für das mechanische Problem des Fliegens. Die Blutwärme hebt den Körper wie