Heft 
(1906) 18
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einen Ballon empor, die Feder, eine Weile KülLeschutz, wird Luftruder im Flügel, Steuer im Schweif. So ist dieser echte Vogel vielleicht Produkt eines planetarischen Intermezzo, aber, als er in die Höhe seiner Technik hineinwüchst, findet er auf lange Jahrmillionen hinaus wieder die Situation im ganzen doch unverändert. Aus dem Araukarienwalde kriechen erst recht jetzt seine alten Vettern, gigantische Reptilien, wahre Lind­würmer, die geblieben sind, was sie vorher schon waren: Reptile. Ja, es ist, als breche jetzt erst ihre großartigste Zeit an. Der kleine warmblütige Vogel, Frühprodukt einer kurzen Abkühlung, sieht, über blauem Meer schwebend, eine spitze Flosse aus der Flut steigen. Hier, dort, es spritzt und wirbelt, nun ver­schwinden sie wieder. Diese Flossen gehören nicht Fischen an. Das Meer ist von etwas rückerobert worden. Das lungen­atmende Reptil ist selbst noch einmal wieder in das Wasser gegangen, von seiner höheren Stufe aus dort sein Heil zu suchen.

Diese kochenden Wasserwirbel zieht eine Schar räubernder Ichthyosaurier. Obwohl mit Lungen versehen, also echte Reptile weit über den: Fisch, haben sie nochmals äußerlich Fischgestalt angenommen, räubern auf wirkliche Fische da unten und auf Schwimmer aus dem Molluskenstamm, auf Tintenfische. Die Land­beine der Eidechse sind abermals bei ihnen fast zu Flossen gewor­den, und nur im verborgenen Skelett verrät sich, daß hier eine tatsächlich höhere Stufe ihr Reich abermals zu erweitern strebt, vom Lande wieder in das einstmals verlassene Wasser hinein.

Indem die Jchthyosaurusschar, die wie eine Schar Delphine sich aus der Hochsee tummelt, an der sonnigen Meeressläche sich mit dem oben sreischwebenden Urvogel begegnet, ist es, als sei wirklich noch einmal das biblische Bild erreicht: bloß Wassertiere und Vögel, einsam, weit von jeder Küste zwischen dem blauen Himmel und den: blauen Abgrund. Wie viel liegt doch in Wahrheit dazwischen in der großen Arabeske des historischen Naturverlaufs ° ° °

Uncj wieder spricht die süsse Nrau:

fkein Sinn ist gan? dir rugewandt. Du form es gut, du form es recht

Mein Keben liegt in deiner lnand. Lu einem Kunstwerk, schon und echt,

Dass e5 hinauf zur b>ohe weise Und selig seinen Schöpfer preise.

Albert Sergel.

Paradiesvogel.

Roman von Paul Oskar Locker.

(Schluß.)

ls Sabine zur Soterschen Wohnung am Viktoria-Luise-Platz gelangt war, hatte sie bereits auf der Treppe eine erregte Auseinandersetzung mit angehört, die im Flur stattfand.

Ein Fremder stand zwischen Tür und Angel, mit dem Dienstmädchen unterhandelnd, das beinahe weinte.

Hundegebell übertönte Einzelnes von dieser Verhandlung.

Nein, gewiß nicht, es ist niemand zu Hause. Vorhin waren doch die Beamten da und sind durch alle Zimmer ge­gangen."

Was für Beamte?"

Kriminalpolizisten. Ich wollte sie doch nicht einlassen aber der eine schiebt mich gleich beiseite und geht durchs Berliner Zimmer nach dem Küchenausgang. Der Spektakel von den Hunden die fielen ihn doch gleich an."

Als Sabine in der offen gebliebenen Entreetür erschien, begann das Mädchen, das sie kannte, den Bericht noch einmal, diesmal noch weinerlicher.

Ich werde hier warten," bestimmte Sabine sofort und trat in Astas Boudoir ein, etwas befangen den Fremden musternd.

Gestatten Sie mir's auch, gnädiges Fräulein," sagte der Fremde, da er sah, daß das Mädchen ihr ohne weiteres ge­horchte.

Ich habe keine Rechte hier," sagte Sabine bedrückt.Ich bin nur befreundet vielmehr..."

Eine plötzliche Ahnung durchzuckte sie. Sie trat in Astas Zimmer, worin das Mädchen inzwischen Licht gemacht hatte, und starrte den ihr folgenden jungen Herrn ängstlich an.

Fräulein Gernot? So nehme ich an." Er sagte es halblaut. Und noch leiser setzte er hinzu:Ihre Freundin trägt meinen Namen."

Es war Theo von Gamp.

Ein paar Sekunden lang strich es wie Grauen über sie hin. Sie wäre am liebsten entflohen. Aber indem sie ihm in die Hellen, offenen und doch so unsagbar traurigen Augen sah, er­griff sie eine seltsame Rührung. >

Bleiben Sie. Niemand hat eher ein Recht als Sie, Asta in dieser Stunde hier zu empfangen."

Sie waren in der Verhandlung?"

Ich habe den Bericht gelesen."

Und sind ihr gram."

Sie schüttelte den Kopf.Dann wür' ich ja nicht ge­kommen. "

Ich fasse das alles noch nicht," sagte er matt.

Sie haben Asta schon gesprochen?"

Ich fuhr mit ihr von Moabit aus nach dem Tattersall. Sie nahm an, daß sie ihren Vater dort am ehesten treffen würde. Inzwischen sollte ich vorausfahren, um hier nach ihm Zu sehen. Sie will ihn natürlich sprechen, bevor er ver­haftet wird sie will ihn: erklären . ° . Sie hat ja so Furchtbares durchgemacht ..."

Wie ist es nur gekommen? Wir haben uns erst gestern getrennt. Jetzt, nachträglich, wird mir ja vieles klar: ihre Schwermut oft in den letzten Wochen, die so gar nicht zu ihren: früheren Wesen stimmen wollte. Aber daß es nun so mit einem Schlage über sie Hereinbrechen würde, wer konnte so etwas ahnen!"

Theo blickte die junge Dame forschend an. Es lag etwas in ihren Zügen, das ihn mitteilsamer machte, als er sonst war. Sie hat mir anvertraut, was den mächtigen Umschwung in ihr zustande gebracht hat. Eine Begegnung kurz vor ihrer Vernehmung."

Eine Begegnung?"

Mit einen: Manne, der Ihren: Hause nahestehen soll, wie Asta nur sagte."

Sie wechselte die Farbe.Wer war es?"

Er nannte ihr Wyschnewskis All:men und schilderte ihr ruhig, nur in etwas müden: Ton, erdrückt fast von der Fülle der Geschehnisse, alles so, wie Asta es ihm geschildert hatte.

Und Sabine lauschte, in tiefer Bewegung.

1906. Nr. 18.

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