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ferne Aussicht genommenen Genuß auf seinen eigentlichen Wert zu prüfen. Es wäre nicht das erstemal, daß für ein Vergnügen gesammelte Spargroschen im Laufe der Zeit und geistigen Entwicklung einen: edleren Zwecke dienstbar gemacht wurden. Aber natürlich aus freiester Entschließung des Kindes selbst! Hier ist leicht auch die bestgemeinte Beeinflussung non: Übel, die, indem sie, etwa im Angesicht einer drückenden Not an die Sparbüchse der Kinder appelliert, unter Umständen zur Heuchelei, zu einem ungesunden Nachgeben gegen Gefühlswallungen oder — noch schlimmer — gegen den Druck der herrschenden Meinung führen kann. Leider werfen immer mehr, an sich nach ihrem Wert hier nicht zu prüfende Veranstaltungen, begehrliche Blicke nach den kleinen Sparschätzen der Kinder — aber so wenig dagegen eingewendet werden kann, daß das Kind von sich aus solchen oder ähnlichen Zwecken sein Scherflein darbringe, so ernst ist doch vor solchem Klingelbeutelverfahren zu warnen, das allzuleicht in den böftn Schein einer Ausbeutung jugendlicher Unerfahrenheit und rasch aufflackernder Begeisterung geraten kann.
Haben wir nun vorhin für die noch nicht schulpflichtige Kinderschar betont: Die Sparbüchse gehört in die Verwaltung der Mutter, so ändert sich das für das Schulkind. Abgesehen davon, daß es nicht immer nur noch reine Schenkungen sind — Fremdkörper im Spielleben des Kindes — die ihm zu einem kleinen Geldbesitz verhelfen, sondern vielleicht erster süßer Verdienst für kleine Dienstleistungen (auch in wohlhabenden Familien keineswegs zu verwerfen!), Ersparnisse aus freiwilligem Verzicht auf Genuß und dergl., so tritt jetzt die pädagogische Einführung in die eigene Vermögensverwaltung in den Vordergrund. Haushalten lernen sollen Knabe und Mädchen mit den: eigenen Gut. In der Kinderstube, an den Spielsachen, haben sie die Süßigkeit des Mein, die Ehrfurcht vor den: Dein, den gemeinsamen Nießbrauch des Unser, und hoffentlich auch die Freude des Schenkens kennengelernt; jetzt erweitert sich die Aufgabe zu dem Problem zweckdienlicher Verwaltung des Besitzes. Dazu gehören zunächst die Lernmittel: Bücher, Hefte, Griffel, Federn usw. (gerade die unentgeltliche Lieferung dieser Dinge an alle Schüler — im Vorbeigehen sei es gesagt — hat gewissermaßen durch den amtlichoffiziösen Charakter solchen gelieferten Gutes nach den Erfahrungen in Schweizer Schulen den allerbesten erzieherischen Einfluß auf Ordnung und gute Behandlung der Lernmittel geübt) — doch es ist kein Grund, den Geldbesitz auszuschließen. Und dazu bietet sich natürlich nur das «Spargeld und das Taschengeld.
Wenn nun eben das Kind praktische Geldwirtschaft erlernen soll, so ist es klar, daß wir den Lehrer und selbst Vater und Mutter ausschließen. Das vergißt der so wohl gemeinte Vorschlag der Schulsparkassen. Was kann das Kind dabei lernen, wenn es seine Groschen dem Lehrer als dev: Bankier der Schulgenossenschaft abliefert? Eine unschöne und erzieherisch bedenkliche Enthüllung der wirtschaftlichen Ungleichheiten, Protzentum und Mißgunst, verquickt mit Liebedienerei, Belastung des Lehrers mit viel Schreibwerk und Ärger, eine bedenkliche Verschiebung des Verhältnisses zwischen Haus und Schule, Schüler und Lehrer — das sind die Folgen. Nein, wo erzogen werden soll, da muß der heilige Bureaukratius mit seinen tapsigen Fingern draußen bleiben. Selbstverwaltung ist die Losung auch für die Jugend schon.
Empfahl doch schon der alte brave Niemeper, der seine „Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts" (Halle 1818 ) allerdings in einer Zeit niederschrieb, da überall die Selbstverwaltung ihre ersten Segnungen entfaltete, als Mittel gegen Geiz, Engherzigkeit usw. die „Gewöhnung an die Freuden eines geselligen Genusses durch Anlegung eines kleinen Eigentums der Kinder zu freier Disposition darüber". Man wird freilich auch hier noch unterscheiden müssen; was Niemeyer im Auge hat, ist weniger eine eigene Vermögensverwaltung des Kindes im steten Gleichlauf der Tage, als vielmehr ein Extraschatz für besondere Gelegenheiten, kurz das, was das Berliner
Kind „eine Mauke" nennt. Weder zu ihrer Anlegung noch
Ausschüttung im gegebenen Moment bedarf es einer besonderen Anleitung; wohl aber zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung regelmäßig oder doch periodisch eingehender Gelder und entsprechender Buchführung.
Überwachung und Kontrolle sollen ausgeschlossen sein, und doch soll die Selbstverwaltung des Kindes in die Erziehungsprovinz fallen, also von den Erziehern im Auge behalten werden — es scheint die Quadratur des Zirkels. Glücklicherweise ist unser ganzes Leben an solchen Widersprüchen reich und besteht alle Lebenskunst in der richtigen Auffindung der
Mittellinie zwischen den Extremen, wie bei Aristoteles die
ethischen Tugenden sämtlich in der Mittelachse entgegengesetzter Laster liegen. Ist nicht unsere ganze Erziehung auf den gleichen Paradoxen aufgebaut, nämlich auf der Erzielung des „frei
willigen Gehorsams" oder der „freien Selbstzucht"?
Wie die höchste Leitungskunst darin besteht — nur allzugut wissen es unsere lieben Frauen! —> daß der Geleitete gar nicht die geheimen Fäden spürt, die ihn lenken, wie die beste Staatsregierung offenbar die ist, die ihre Ziele nicht durch Fremdgesetzgebung von oben auf die Köpfe von Untertanen, sondern durch Selbstverwaltung freier Bürger zu erreichen weiß, ganz ebenso heißt die Aufgabe der Eltern und Erzieher in der Taschengeldfrage: Regieren — als regierte man nicht; scheinbar nichts — und doch alles sehen; niemals befehlen — und doch in bestimmter Richtung handeln lassen, kurz, wenn ich einmal einen Ausdruck aus dem Zirkus, der Pferdeuniversität, entlehnen darf, den Zögling in Hoher Schule mit allen Gangarten vorführen und doch Zügel, Peitsche, Sporn und selbst sichtbaren Schenkeldruck beiseite lassen.
„Ja, das sind wunderschöne Theorien," meint da vielleicht manche Mutter, „aber wie fängt man das praktisch an?" Ich glaube, Sie verstellen sich, meine verehrte Frau — von Müttern haben wir Erzieher ja alles gelernt; mütterliche Liebe im Bunde mit väterlicher Sorgfalt findet von selbst den richtigen Weg. Aber sei es drum; exemplifizieren wir:
Ein jedes Kind, das regelmäßig wiederkehrende kleine Ausgaben hat, sei es nun der Groschen für die elektrische Bahn, für das Frühstück, für Hefte usw., ist reif für ein Taschengeld. Und sollten solche Ausgaben — wie z. V. auf dem Lande — sich nicht ohne weiteres bieten, dann tut man wohl, sie zu schaffen, indem man dem Kinde ein eigenes Ressort übertrügt, etwa für Mädchen die Beschaffung und Erneuerung der ewig verloren gehenden Zopfbänder oder Handschuhe, für Knaben die der Schuhsohlen, Hosenträger oder Schuhsenkel, der Murmeln oder Bälle und dergleichen. Als Termin empfiehlt sich der Monat; die Woche ist zu kurz, das Semester zu lang. Das Fixum sei reichlich nach der Erfahrung bemessen, aber unerschütterlich; Nachtragsforderungen werden mit eiserner Festigkeit abgelehnt. Extraeinnahmen, sowie Ersparnisse werden auf das Fixum nicht angerechnet, sondern bleiben zu freier Verfügung.
Für die Buchführung — das Einnahme- und Ausgabeheft werde einfach ebenso selbstverständlich wie notwendig für die geistige Äufbewahrung des Geldes hingestellt, wie das Portemonnaie für seine reale — erbiete man sich zu freundlicher Hilfe — niemals als Revisor und Kontrolleur. Das Kind wird gern, schon uv: der Neuheit des Gegenstandes und der Nachahmung der Erwachsenen willen, die Einrichtung eines Kassabuches begrüßen und — nach wenigen Wochen oder Monaten vernachlässigen, es müßte denn ein geborener künftiger Rechnungsrat sein. Die Mutter sieht nichts und sieht alles, bis zum nächsten Ersten. Da heißt es: „Oh weh! dein geistiges Portemonnaie hat ja ein Loch — viele Löcher! Da kann man nichts Neues hineintun! Komm rasch, wir wollen versuchen, aus dem Gedächtnis Zu flicken." Das wird sich ohne Zweifel noch manchmal wiederholen — wir vergessen immer, daß gewisse Fehler dazu da sind, um gemacht zu werden, und daß ohne Verzeichnen noch niemand zeichnen gelernt hat! — aber wenn die Mutter daran festhält, Helferin, nicht Richterin