Heft 
(1906) 19
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zu sein, dann müßte es doch wunderbar Zugehen, sollte nicht endlich liebevolle Geduld über Leichtsinn und Zerfahrenheit den Sieg davontragen.

Endlich klappt der Mechanismus; die genaue Buch­führung ist liebe Gewohnheit geworden; jedes kommende Jahr verstärkt die innere Nötigung zur Ordnung: man schreibt an, wie man sich des Abends die Zähne putzt; ein ganz gelegent­licher Seitenblick der Eltern genügt. Regieren aber heißt vor­hersehen. Es kann eine Zeit kommen, wo das Kassabuch nicht mehr sorglos umherliegt, sondern eingeschlossen wird, wo be­denkliche Lücken oder gar Verlegenheitsposten auftauchen könnten. Schon früher war es nicht immer ganz leicht, diesen oder jenen Ausgabeposten so nackt hineinzuschreiben:für Bonbons, für Karussellfahren, einmal Kuchen mit Schlagsahne" usw. Kluge Eltern bauen also vor.

Möglichst früh schon wirft die Mutter einmal hin:Weißt

du, solche Posten sehen eigentlich nicht hübsch aus. Wir wollen dafür ein für allemal einen Sammelnamen schaffen; sagen wir ffür Unnützes^ oder: ,verpulvertß ,verquackelll usw. Ich weiß ja, daß mein liebes Kind ihn nicht allzuoft brauchen wird." Damit ist ein Ventil geöffnet. Vor allem wird die Versuchung zu kleinlicher Lüge oder Unwahrheit gemindert; an die Stelle der Ohrenbeichte ist gewissermaßen die allgemeine Absolution getreten. Der immerhin etwas anstößige Titel wird ein normal empfindendes Kind vor der eigenen Beschämung bewahren, größere Ziffern hinter das ominöse Wort schreiben zu müssen. Ein plötzliches oder gar andauerndes Anschwellen dieses Postens aber würde auch ohne direkte Kontrolle den Eltern ein War­nungssignal bedeuten, unmerklich die Vergnügungen der jungen Herrschaften etwas zu beobachten. Nur verlange man nicht das Unmögliche von einem simplen Kassabüchlein, etwa daß seine

Existenz allein ein vergnügungs- oder putzsüchtiges Mädchen, einen Knaben mit verfrühten Studentengewohnheiten von Ausschreitun­gen zurückhalte! Wer duldet, daß sich seine Kinder an die ver­schiedensten Nervenreizungen, nicht nur Tabak und Alkohol, son­dern auchKinderbülle", Theater- und Konzertbesuche, Toiletten­luxus usw., gewöhnen, für den ist diese Hausmittelpädagogik ungeschrieben. Der wird auch wohltun, statt des altväterischen Taschengeldes seinen Sprößlingen einen monatlichen Wechsel aus­zuwerfen und die selbstverständlichen kleinen oder großen Schulden ohne Wimperzucken zu bezahlen. Eine der größten, meist unbe­wußt und aus Mangel an Überlegung begangenen Grausamkeiten an Kindern ist diese selbstverständliche, weilstandesgemäße" Ge­wöhnung an ein scheinbares Schöpfen aus dem Vollen, an einen gewissen Luxus, einegehobene" Lebenshaltung, die dann oft genug mit dem Tode des Ernährers in die trübselige Lage der entbehrungs- und erwerbsunfähigen Kinder aus gutem Hause umschlägt, dieeinst bessere Tage gesehen haben".

Das Geld ist und bleibt nun einmal einer der giftigsten Fäulniserreger, der die seelische Gesundheit des Einzelnen und der Gemeinschaft bedroht. Die reine Asepsis ist unmöglich wir können unsere Kinder nicht in ein Robinson- oder Eremiten­leben setzen; so bleibt eben nichts als die antiseptische Methode, d. h. energischer Kampf gegen alles, was da faul ist und faul macht am Gelde, und eine durch das eigene Beispiel gestützte Unterweisung in seinem rechten Gebrauch. Es gehört in die Lebensapotheke, als das wichtigste Mittel Zur Erhaltung der Selbständigkeit, Freiheit und Zu edlem Lebens­genuß aber man vergesse auch nicht, der Jugend, die Neigung hat, sich von ihm knechten zu lassen, statt es zu beherrschen, den Totenkopf auf der Etikette aufzuzeichnen mit der Aufschrift:Gift!"

Der Storch und sein Nest.

ine eigenartige Umfrage wurde im vergangenen Sommer in Ost­preußen veranstaltet. Man versuchte mit Hilfe der Lehrer, Förster und Gutsbesitzer die Zahl der bewohnten und leerstehenden Storchnester Zu ermitteln. Man hoffte, auf diese Weise einen Anhalt für die Frage Zu gewinnen, ob die Zahl der Störche zu- oder ab­genommen hat. Das Ergebnis liegt noch nicht vor, denn es ist nicht leicht, die ausgesandten Fragebogen ausgefüllt zurückzuerhalten, so daß immer aufs neue der Versuch wiederholt werden muß, Aus­kunft Zu erhalten. Jedenfalls hat man es mit einem dankenswerten Unternehmen zu tun, das uns zum erstenmal eine ziemlich genaue Zahl liefern wird. Ganz wird sie mit der Wirklichkeit nicht über­einstimmen, denn gerade unter den Störchen gibt es sehr viele Hagestolze, die nicht nisten, sondern zur Nacht einen Baum aufsuchen. Auf großen Bruch- und Wiesenflächen stehen manchmal Hunderte von alleinlebenden Störchen, die sich sehr anstrengen müssen, um ihren Unterhalt zu gewinnen. In solchen Gegenden ist nicht nur eine Abnahme, sondern ein völliges Verschwinden der Feldlerche festgestellt, der von den Störchen das Nest ausgeraubt wird. Das Gleiche ge­schieht dem Rebhuhn und überhaupt allen Erdbrütern. Auch kein Junghase wird in solchem Revier heranwachsen. Seitdem diese Tatsachen festgestellt worden sind, wird dem Storch seitens der Grünröcke eifrig nachgestellt. Ja sogar die Bauern, die früher ein altes Rad auf dem Scheunendach anbrachten, um ein Storchenpaar Zum Nestbau zu veranlassen, mögen Herrn Adebar nicht mehr leiden.

Mir sind mehrere Fälle bekannt, in denen alte Storchnester zer­stört oder die Vögel durch Flintenschüsse vertrieben worden sind. Und bei dem im vorigen Jahre erlassenen neuen Wildschongesetz für Preußen wurde allen Ernstes seitens der großen Jagdherren der Versuch gemacht, den Storch für vogelfrei zu erklären, d. h. seine Vertilgung zu gestatten. Das ging entschieden zu weit, aber anderer­seits hätte die Erlaubnis erteilt werden können, die alleinlebenden Störche abzuschießen. Ebenso wünschenswert wäre es auch für manche Gegenden, die Überzahl der nistenden Störche zu beschränken Es gibt manche Dörfer, in denen auf jedem Gebäude mehrere Storchnester zu finden sind. Das ist vom Übel, denn bei einer

solchen Anhäufung sind die Störche darauf angewiesen, alles zu nehmen, was ihnen vor den Schnabel kommt. Herr Adebar steht von alten Zeiten her in sehr guten Beziehungen zum Gemüt des deutschen Volkes. Wenn man davon absieht und nur die Frage prüft, ob er nützlich oder schädlich ist, dann fällt die Antwort völlig zu seinen Ungunsten aus. Die Frösche, die er fängt, sind als Jnsektenvertilger wertvoll, und die Ringelnatter ist als Mäusefänger geschätzt. Er nährt sich also, von allem anderen abgesehen, von Tieren, die dem Menschen nützlich sind. Der giftigen Kreuzotter tut er wenig Abbruch, da sie sich fast ausnahmslos im Walde auf­hält, den der Adebar nie aufsucht. Der Wert der ersten Umfrage über den Storch wird erst zur vollen Geltung kommen, wenn nach fünf oder zehn Jahren die zweite folgt. Die Zahl der leerstehenden Nester läßt bei einmaliger Zählung keinen Schluß auf die Abnahme der Vogelart zu. In meinem Heimatdorf gab es zwei Storchnester. Manchmal war keines, manchmal eins, manchmal waren alle beide be­wohnt. Man mußte also entweder annehmen, daß sowohl die Alten wie die Jungen auf der Reise oder im Winterquartier umgekommen waren, oder sie hatten unterwegs neue Wohnstätten bezogen, die ihnen besser züsagten, und hatten die Heimat vergessen. Überhaupt sind Beobachtungen über Ab- oder Zunahme einzelner Vogelarten schwer zu machen. Sie werden jetzt ja systematisch gesammelt und in Fach­blättern zusammengestellt, aber ihr Wert ist doch recht problematisch. Erst eine ganze Reihe übereinstimmender Angaben verdient Be­achtung. So scheint es festzustehen, daß die Schwarzdrossel oder Amsel in den Wäldern abgenommen hat. Sie siedelt jetzt lieber in Parks und Hausgärten und findet dort so viel Schutz und Nahrung, daß sie in milden Wintern hier bleibt. Andere, von Fachblättern ver­zeichnte Beobachtungen bedürfen entschieden noch wiederholter Fest­stellung, denn die zurückkehrenden Vogelschwärme schlagen oft aus noch unbekannten Ursachen andere Wege ein. Am sichersten sind stets die Beobachtungen der Jäger, z. B. über die Abnahme der Waldschnepfe, denn da liegen nicht nur Zahllose Wahrnehmungen, sondern auch die Zahlen der jährlich erlegten Vögel vor, deren Ver­gleich einen sicheren Schluß zulüßt. A. Sk.