407
stammt zu Umecht aus der Akustik. Tatsächlich ist aber die Abstimmung noch nicht völlig gelungen. Die Apparate aller Systeme reagieren aufeinander. Und als im Juni 1903 ein bei der Marconigesellschaft angestellter Professor einer Versammlung in London, Albemarle Street, Zeigen wollte, daß die Apparate schon so gebaut seien, daß nichts als die exakt bemessene Ätherwelle der fernen Station am Cape Code sie beeinflussen könne, leisteten sich Dr. Sanders und Mr. Mas- kelyne den Hauptspaß, von ihrer kleinen Experimentierstation Piccadilly Hall dazwischen zu telegraphieren, so daß der Marconiapparat zum Gaudium der Festgäste Gedichte aus dem „Punch" in Morseschrift aufzeichnete. Dieser Mangel einer Abstimmung ist sehr schlimm, denn zurzeit heißt ein drahtloses Telegramm ebensoviel, wie sein Geheimnis auf offenem Markte ausschreien; da die Wellen nach allen Seiten — so wie Lichtstrahlen
— gleichmäßig ins Weite schwingen, kann eben jeder die Depesche in seinem Empfänger
— nota baue wenn er einen hat — ablesen.
Und noch etwas können die elektrischen Wellen, worauf wir schon hindeuteten: sie
schwingen unter Umständen auch in einer gebogenen Linie, indem sie sich der Erdkrümmung anpassen. Anderenfalls könnte man doch nicht über große Strecken telephonieren, da die Erde, selbst Flachland und Ozean, riesenhohe Berge zwischen den Stationen bildet, die von den Wellen bestimmt nicht durchdrungen werden.
Sogar Gebirgsketten werden schon auf verhältnismäßig kurze Entfernung übersprungen. Die einen sagen, die Erdatmosphäre bilde bestimmte Schichten, denen die Wellen sich anschmiegen; die anderen, Erdmagnetismus oder -Elektrizität beeinflußten die Geradlinigkeit; doch die Wahrheit dürfte darin liegen, daß die Luftschichten Media sind, die die Wellen Lrechen, wie denn auch ein Lichtstrahl im Wasser gebrochen wird. Ein besseres Gleichnis: Man kann Licht durch eine stark gebogene, lange Röhre nicht sehen, wohl aber, wenn sie mit Paraffin gefüllt ist, das auf Lichtwellen anscheinend ebenso wirkt wie Luft auf die elektrischen Wellen.
Unter Ausnutzung all dieser und noch hundert anderer Erfahrungen ist die Anlage in Niederschöneweide aufgebaut. Dort sind die Batterien, die mit Hilfe von Leydener Flaschen dem elektrischen Strome die nötige Spannung von Hunderttausenden Volt und der Funkenstrecke die erforderlichen Wechsel — auch nach Millionen Zählend -— berbringen, aufgestellt. Ein nach außen führender Gebedraht setzt sich nach seinem Austritt aus der Station nicht mehr einheitlich fort, sondern führt die Ätherwellen seines schwarzen Inneren in viele andere Kupfer
drähte über. Diese werden, ein stetig sich verbreiterndes Bündel formend, zum benachbarten Dache geführt, wo sie — siehe das zweite Bild — isoliert an einem Metallsechseck befestigt erscheinen und von diesem aus erst den Aufstieg in die Lüfte versuchen. Das untenstehende Bild zeigt endlich ihre Aufhängung hoch oben an der Spitze von vier mächtigen Schloten, die zu ihrer alten Beschäftigung als Kamine eine neue als Drahtmasten dazubekommen haben. Speziell die Verwendung so vieler Gebedrähte, die alle ein und dieselbe Ätherschwingung in den Raum senden, gewährleistet eine große Steigerung des Effektes; es ist, als wenn statt einer Lampe deren hundert im Leuchtturm erstrahlen würden.
Schon hat die neue Station — angesichts der vielen Drähte hält es schwer, von einer „drahtlosen" Telegraphie zu sprechen — bei den Telegrammen mit Dresden gute Proben
ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt. Bewähren sich die neuesten Produkte — Berlin und Dresden — der vereinigten Systeme weiter, dann dürfte die Unternehmung durch nichts abgehalten werden, durch den Bau radial abstehender Nachbarstationen große Teile Deutschlands in drahtlose Nachrichtenverbindung zu bringen. Ungeheure Mengen an Kupferleitung blieben gespart, und darum muß bei zunehmendem Gebrauch das drahtlose Telegramm billiger als das bisherige werden, namentlich, wenn die brennende Frage der Abstimmung der elektrischen Wellen einwandfrei gelöst sein wird, ein Erfolg, der die eventuelle gegenseitige Beeinflussung der Stationen aufhebt und auch die notwendige Geheimhaltung der Depeschen verbürgt. Und wenn auch sobald nicht Australien mit dem Kaplande und dieses mit Canada funkentelegraphieren wird, wie es die Marconiprospekte verkünden: das drahtlose Depeschieren über 200 bis 300 Kilometer ist bereits eine Tatsache, die durch nichts besser illustriert wird als durch die auf den deutschen transozeanischen Postdampfern erscheinende Tageszeitung mit ihrer ständigen Rubrik: Drahtlose Telegramme.
Kabelwerke in Niederschöneweide bei Berlin nebst darauf errichteter Station für drahtlose Uberlandtelegraphie, System „Telefunlen".
« -