Heft 
(1906) 20
Seite
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Wer verdient haben Sie's, das Glück! Das muß ura sagen. Wo's doch so oft den Unrechten trifft Lei Ihnen hat's den Rechten 'troffen!" Und sie nickte ihm mit Rührung und Zuversicht zu und warf dann rasch und erschrocken einen Blick auf die Uhr, denn draußen von der Küche schlug es eben ein viertel Drei, und seit zwei Uhr sollte Herr Schneeberger eigentlich schon hinter seinem Pult stehen.

Diesmal aber beunruhigte den sonst so Pünktlichen

diese Verspätung nicht. Beinahe übermütig meinte er im Gehen:

Wer, weiß, wie lang' ich jetzt noch Gehilf' bin!" Mit leisem behutsamen Klopfen schlug er an seine Brust, dort wo er in der inneren Rocktasche den Brief des Doktors Wenzel Jadlizek aus Brünn geborgen hatte.Wer das hat, liebe

Frau Bang, der braucht nicht mehr gar so ängstlich sein!

Mit dem da laßt sich allerhand versuchen!"

Daß er an diesem schönen Sommernachmittag an seinem Pult in der Antiquariatsbuchhandlung von I. Tiburtius besonders viel gearbeitet hätte, hat Herr Schneeberger auch in späteren Jahren nie behauptet. Einen Brief an den

Notar in Brünn hatte er geschrieben und einen mehrtägigen Urlaub erbeten dann hatte er denConducteur" stu­diert und sich den besten Frühzug nach Brünn notiert das war so ziemlich seine ganze Tätigkeit im Dienste der Firma gewesen.

Uud am Abend, als er wieder mit Georg und seiner Mutter in dem Zimmer der Frau Bang zusammen saß, ent­warf er Pläne für die Zukunft.

Er hatte zu der Feier des Ereignisses eine Flasche Rot­wein mitgebracht, und vor einem jeden stand das gefüllte Glas. Manchmal griff Herr Schneeberger nach dem seinen und hob es hoch, daß der Wein im durchfallenden Lichte der Lampe leuchtete.

Soll'n leben, Frau Bang!"

Und er trank mit kleinen Zügen wie ein ausgemachter Kenner. Er brauchte dann seinen Schnurrbart nicht aus­zusaugen, das war nicht wie beim Bier. Nur ganz leise, beinahe zärtlich strich er mit der Zungenspitze darüber hin. Dann baute er wieder an seinen Luftschlössern und Zukunfts­träumen.

Wissen S', Frau Bang, a eigenes G'schäfterl haben, das wür' schon was ander's. Und für das Geld-die Haupt­

fach' wär eben, daß ma' die Konzession kriegert. Das beste wär', ma' kaufert a klein's G'schäft, aus dem sich noch 'was machen laßt . . . Sorgen natürlich müßt' ma' im Anfang fest dahinter sein . . . aber ma' hätt' doch 'was davon, es wär' doch auch 'was ander's als so!"

Frau Bang nickte.Freilich, freilich ..." Und als sie sah, daß Herr Schneeberger mit einem fast verträumten Lächeln an seinen Plänen weiterspann, schwieg sie, um ihn nicht zu stören.

Und der Georg wenn der Bub erst den Buchhandel g'lernt hat und lernen müßt' er 'n in Leipzig, wo ich auch meine Lehrzeit g'habt Hab' das wär doch auch was ander's, wenn er sich dann gleich so ins warme Nest setzen

könnt' . . .?! Na, was meinen S', Frau Bang? . . . Na,

prost! derweil!"

Er hob wieder sein Glas und trank und phantasierte weiter. Ein ganz verschmitztes, wohliges Lächeln hatte er

manchmal dabei, und hier und da warf er eine nur halb verständliche Andeutung hin, aufmunternd und Zurückhaltend zugleich, als wüßte er Dinge, von denen er noch nicht so

reden wollte, als hielte er noch hinterm Berge mit manchem Gedanken und manchem Plane vielleicht mit dem besten von allem.

Frau Bang tat ihm Bescheid mit ihrem Glase, wenn er ihr zutrank, und gab ihm Antwort auf seine Fragen. Eine stille, versonnene Freude war auch in ihr, sie fühlte dieses Glück mit ihrem Zimmerherrn und wußte, daß bei allen diesen Zukunstsplänen auch sie und Georg nicht vergessen waren.

Aber bei all dein hatte sie doch zugleich ein seltsam unsicheres Gefühl, und das wuchs, je mehr der Inhalt in der Rotwein­flasche sich zu Ende neigte und je öfter Herr Franz Schnee­berger als Abschluß seiner Pläne spinnenden Gedankenketten, das Glas erhob und, eh' er trank, nickend zu ihr und Georg herüberblickte. Eine Unruhe kam über sie, daß sie ein paar­mal von der Näharbeit sich zurückbeugte, tief atmen mußte und dann, ehe sie fortfuhr, an dem zerschlissenen Futter von Herrn Schneebergers schwarzem Bratenrock ihre Kunst zu üben, lange auf ihren großen Buben sah, der still verträumt auf seinem Stuhl saß.

Nicht nur, was Herr Schneeberger von Georg gesagt hatte, daß er dann fort nach Leipzig in die Lehre sollte, ging ihr im Kopf herum und brachte ihr schon heute ein Vorgefühl der Bitterkeit von Trennungsleid und Sehnsucht, auch noch ein Anderes, worüber sie nicht denken wollte, und das sie doch näher kommen fühlte, lag wie ein leiser Druck auf ihr.

Das Fenster der Stube war weit geöffnet, nur der dünne Vorhang war vorgezogen, damit man aus der Küche des Vorderhauses nicht so hineinsehen könnte in die Stube. Von draußen strich ein leiser Wind zeitweilig gegen diesen Vorhang. Dann blähte er sich weich nach innen und rieb sich leise raschelnd an den Scheiben. Aber Frau Marie Bang war es so seltsam heiß bei alledem. Zweimal stand sie auf und legte den Rock des Herrn Schneeberger, der doch auf jeden Fall noch heute fertig werden mußte, damit ihn sein Besitzer am Tage darauf auf die Fahrt nach Brünn mitnehmen konnte, auf den Tisch und ging für Augenblicke in die Küche. Und beide Male strich sie im Vorbeigehen dem Georg mit der Hand über die Schultern und über den Rücken hin, seltsam innig, als versteckte sich eine tiefe, beruhigende Zärtlichkeit in diesem Streicheln.

Am nächsten Tage fuhr Herr Franz Schneeberger nach Brünn zum Doktor Wenzel Jadlizek, und nach zwei weiteren Tagen kam er wieder zurück nach Wien. Er brachte das geerbte Geld gleich mit und hatte auch die Nachsendung des Hausrats angeordnet.

Und nun begann er seine Zukunftsträume in die Wirk­lichkeit umzusetzen.

Daß er seine Stellung aufgeben und sich selbständig machen wollte, stand fest in ihm. Lange und ausführlich hatte er diesen Plan an einem Abend mit Frau Bang erörtert, und aus den vielen Gründen, die er da in seiner kurzen ab­gerissenen Art hinwarf, hatte sie immer wieder eines heraus­gehört, dem er nicht Worte gab: er wollte in seinen alten Tagen noch einen Wirkungskreis besitzen, der sein war; Herr Franz Schneeberger, der als Gehilfe in fremdem Dienst und als Zimmerherr grau geworden war, sehnte sich nun, da das Geschick ihm dieses kleine Kapital gegeben hatte, nach einem eigenen Plätzchen an der Sonne, man sollte ihn nicht länger übersehen, mit einem Achselzucken übergehen dürfen. Auch darüber, daß er aus seiner Vaterstadt, aus Wien, nicht fort- gehen wollte, war er sich klar.

Und wenn ich auswärts auch a G'schäfterl finden tät', das mir passen könnt' schaun S', Frau Bang, wegzieh'n von Wien, das könnt' i' net. Da bin i' halt doch schon a viel zu alter Baum dazu, als daß i' so a Umpflanzen noch vertragen könnt'. Und dann, Frau Bang, wir bleiben bei­sammen, wir drei, Sie und der Georg und ich wir bleiben beisammen, gelns? und überhaupt"

Er schwieg und schüttelte dann rasch den Kopf, als ob er für jetzt schon zuviel gesprochen hätte.

Und als es dann ganz still im Zimmer war, lachte er plötzlich kurz ein wenig auf, schnob sich mit dröhnendem Po­saunenstoß die Nase und schlug dann, als er sein großes rotes Taschentuch umständlich wieder versorgt hatte, dem Georg derb und aufmunternd auf die Schulter.

Ja Bürscherl! Nur Zeit lassen! Wird schon noch alles werden!"