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Es war das erstemal, daß er für den Buben ein solches SchmeichelworL gebrauchte, und der ward ganz verlegen unter dieser rauhen Zärtlichkeit. Er wurde rot bis in die Haare, und seine Augen blickten beinahe ängstlich zu der Mutter hin.
Die aber sah nicht auf von ihrer kleinen Näharbeit.
Erst als Georg später, nachdem Herr Franz Schneeberger sich in sein Zimmer begeben hatte, die Mutter plötzlich fragte, ob sie wohl manchmal noch an den Herrn Heinrich Gerold dächte, da rief sie ihn zu sich. Und wie er nun vor ihrem Stuhle stand, schlang sie die beiden Arme um ihn und sah so zu ihm auf in seine Augen.
„Dummer Bub!" sagte sie nur.
Er aber drückte seinen Kopf an ihren Hals. Tief barg er ihn zwischen ihrer Wange und ihrer Schulter, und eine heiße Scham erfüllte ihn. —
Ein paar Wochen später hatte Herr Schneeberger sein „G'schäfterl" richtig gefunden.
Es war keine große und erste Buchhandlung, um deren Erwerb er da in Unterhandlung trat und die er nach langem Hin- und Widerreden, nach vielen Tagen des Überlegens und nach einer ganz kritischen Periode, in der sich der ganze Plan beinahe wieder zerschlagen hätte, endlich erwarb. Nein, es war ein kleines, aber solides Geschäft, ziemlich weit draußen in Mariahilf, eine Buchhandlung, die der Besitzer, der sie nun aufgab, um sich an einem Fabrikunternehmen zu beteiligen, vor einem Dutzend Jahren gegründet hatte, und die ihren Mann, wenn er tüchtig arbeiten wollte, bescheiden ernährte. Die Firma I. Tiburtius legte Herrn Franz Schneeberger keine Schwierigkeiten in den Weg, als er dort, nun da er seiner Sache sicher war, um seine Entlassung bat.
„Ich Hab' mir ja so gedacht, daß irgend 'was derartiges am Schluß dabei herauskommt, mein lieber Herr Schneeberger!" sagte ihm der alte Herr Tiburtius. „Die Sache mit dem Urlaub, mit Ihren geheimnisvollen Ausgängen in dieser letzten Zeit — das alles war mir nicht ganz geheuer . . . Nun, mich freut's vom Herzen, daß Ihnen die Sache bisher geglückt ist, und ich wünsche Ihnen allen Erfolg und Segen für Ihr Geschäft! Die kleine Handlung ist gut und solid, Sie werden sie bei Ihrem Fleiß sicher bald noch weiter ausbauen. Mir waren Sie in all der Zeit ein lieber Mitarbeiter, mir tut es leid, daß wir uns trennen müssen, aber ich würde an Ihrer Stelle ebenso gehandelt haben. Ich war ja wohl niemals ein unangenehmer Chef, aber die Unabhängigkeit ist halt doch was anderes!"
Und als dann Herr Schneeberger mit seiner anderen Bitte kam, ihm die Kündigungsfrist, die beinahe ein Vierteljahr betrug, zu erlassen, da zog Herr Tiburtius senior die Augenbrauen hoch, daß seine Stirn sich wie eine Ziehharmonika in Falten legte, sah seinen lieben Mitarbeiter mit einem sinnenden Blick an, als ob er sagen wollte: Du bist mir ein Kerl! Möcht'st mich jetzt sitzen lassen! und griff dann plötzlich zwei alte Bände aus dem Regal neben sich. Herr Franz Schneeberger dachte noch: es sind das „Hippoerateg' maäioorum om- nium lovM prineipw opera" und Eckhardtshausens „Reden zum Wohl der Menschheit" -— aber da schlug Herr Tiburtius senior die beiden Bände, den alten schweinsledernen Mediziner von 1695 und den Münchener Pappband von 1788 , schon gegeneinander, daß die Staubwolken stoben.
Als die Luft wieder klar geworden war, stellte er die Bände befriedigt an ihren Platz zurück, streichelte mit der Hand über die Rücken der Bücher hin und wendete sich mit geglätteter Stirn und freundlichen Augen an Herrn Schneeberger.
„Wie lang' haben wir zusammen gearbeitet? Ein Dutzend Jahre — sicher. Und viel Urlaub haben Sie in dieser Zeit ja nicht gehabt. Also wissen S' was, Herr Schneeberger, ich geb' Ihnen nachträglich die rückständigen Urlaube. Sie können geh'n — heute noch — ich zahle Ihnen das Vierteljahr — Sie betrachten sich als auf Urlaub."
Dagegen hatte der Herr Franz Schneeberger nichts einzuwenden, und als er das Gespräch mit dem „Alten" mn Abend der Frau Bang erzählte, da konnte er nicht umhin, wie einen Nekrolog zu seinem Verhältnis zu Herrn Tiburtius senior, noch einmal das eine gründlich festzustellen.
„Nein — lumpen laßt er si' net, der Alte — und das muß ma'überhaupt sagen: für an' Chef is' er immer ein ganz anständiger Mensch g'wesen."
Auch der Abschied vom jungen Herrn Felix und den beiden Hausknechten war zur Zufriedenheit ausgefallen. Der junge Herr war sogar viel „anständiger" gewesen, als der Herr Schneeberger vermutet hatte, denn am Nachmittag dieses letzten Tages, den er in der Firma I. Tiburtius verbrachte, war Herr Felix noch einmal zu dem Pult des Herrn Schneeberger gekommen und hatte „dem neuen Herrn Kollegen" zur Erinnerung an die gemeinsame Tätigkeit ein Etui mit einem Paar goldener Manschettenknöpfe übergeben. Und wie Herr Schneeberger nun beim Abendessen an diesen Augenblick zurückdachte, da fand er, daß „der junge Schnüffel" doch eigentlich schon ganz gereift und männlich aussah, und es wollte ihn fast be- dünken, als ob er gar nicht mehr so gigerlmäßig angezogen ginge wie früher.
Laut aber sagte er nur: „Der junge Herr, mein Gott — gar so jung is' er auch nimmer — und wann er so weitermacht, dann kann er no' a' ganz orntlicher Buchhändler werden — ja." —
Am nächsten Morgen schon übernahm der neue Chef dann sein Geschäft in Mariahilf, und zwei Tage später am Nachmittag gingen Frau Bang und Georg auf Herrn Schneebergers besondere Einladung zusammen hinaus, um das neue Besitztum und den neuen Wirkungskreis des alten Freundes zu sehen. Und Herr Schneeberger führte seine Gäste durch sein Reich, er stellte ihnen den jungen Gehilfen vor, den er beschäftigte, zeigte ihnen den Ladenraum vorn und das Zimmer dahinter, das er für ein kleines Antiquariat einrichten wollte, ließ sie dann, als Leute eintraten, auf zwei mit verschossenen: grünen Plüsch bezogene Hocker niedersetzen und verkaufte vor den Augen seiner Gäste ein „Davidis Kochbuch" an eine Kundin, während sein Gehilfe auf die Leiter kletterte und „Schillers Räuber in der Reclamschen Ausgabe" für zwölf Kreuzer aus dem obersten Fach des Regals herunterholte. Mit staunenden Blicken sah Georg auf den Käufer, einen jungen Menschen mit fliegender Krawatte, langen: Lockenhaar und bleichem Gesicht.
Als die beiden Kunden gegangen waren, kam Herr Schneeberger mit vergnügtem Brummeln wieder hinter dem Ladentisch hervor.
„Ja, liebe Frau Bang, es wird schon geh'n — ich glaub', ich kann mit meinem Kauf zufrieden sein."
Auch am Abend, als sie wiederum beisammen saßen, kam er noch einmal auf seine neue Stellung in: Leben zurück. Dann aber schwieg er bald und paffte in einer seltsamen Stimmung, die erregt schien und verträumt zugleich, den blauen Rauch der Pfeife vor sich hin. Es war, als ob
er etwas auf den: Herzen hätte, das er nun doch nicht sagen konnte. Ein paarmal blickte er ein wenig ungeduldig auf Georg, der noch, verspätet wegen des nachmittäglichen Ausganges, über einer französischen Schularbeit saß. Und zu Frau Bang warf er hier und da versonnen eine Bemerkung hin, ohne aufzusehen:
„Heut is' der Avis 'kommen vom Spediteur, daß die Möbel von mein' Onkel jetzt ein'troffen sein. Wann i' nur müßt', wohin i' s' derweil stell' — find doch schöne Mahagoni- fachen —."
Aber Frau Bang schwieg oder nickte nur auf solche Worte, und so brach der Herr Schneeberger dann bald aus.
„Wissen S', der Weg bis da hinaus nach Mariahilf — es is' halt doch weit — das spürt ma' schon — förmlich müd bin i' heut' —."