Heft 
(1906) 20
Seite
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Drüben in seiner Stube rumorte er noch lange herum, bis endlich ein dröhnendes Schnauben und Schneuzen, 'mit dein er, schon im Bett, sein Tagewerk alltäglich wie mit einem Nacht­gebet beschloß, Frau Bang erkennen ließ, daß Herr Schneeberger sich zur Ruhe begeben hatte.

Am nächsten Tage aber kam für Frau Marie Bang die peinvoll schwere Stunde, die sie, ohne sich selbst ganz volle Klarheit über ihr Empfinden Zu geben, in all der Zeit ahnend hatte näher und näher kommen sehen.

Herr Schneeberger hatte bei seinem Frühstück, das er wie immer in seinem Zimmer nahm, länger als sonst verweilt, so daß Georg, als er zur Schule ging und den Hut des Zimmer­herrn noch auf den: Kleiderhaken im Vorzimmer hängen sah, die Mutter ganz erstaunt fragte, ob Herrn Schneeberger et­was fehle.

Dem aber fehlte nichts. Nur eine nervöse Unruhe war in ihm, wie er an seinem Tisch vor der geleerten Kaffee­tasse saß, die Semmelbrösel auf dem Tischtuch mit den

Fingern hin- und herschob und dabei zwischen all den an­deren Gedanken, die er nun so oft schon erwogen, geprüft

und in Ordnung gefunden hatte, immer wieder das eine denken mußte: Wenn nur der Vua erst fort war'! So a

Herumlandlerei umanand, wia dös heut is'! Was er nur

gar so lang' braucht?! . .

Daß dann, wann der Bub erst fort war, zwischen ihm und Frau Bang alles glatt abgehen würde, darüber

bestand für ihn kein Zweifel, nur das Warten machte ihn

nervös, die Zeitversäumnis denn eigentlich sollte er ja jetzt schon bald in seinem Geschäft stehen und mit der Arbeit beginnen.

Sein Geschäft. Bei dem Gedanken wurde er ruhiger und rückte sich aufrecht auf dem Stuhl. Als ob er jetzt nicht sein eigener Herr wäre! Als ob ihm jemand etwas zu sagen hätte! Als ob er nicht kommen und gehen könnte, wie ihm das paßte!

Ja, das war doch ein anderes Gefühl als früher, wo man so ganz abhing von der Gnade des Herrn Tiburtius senior und des jungen Herrn Felix. Daß ihn: das noch so

geglückt war, dafür mußte er schon dem Schicksal dank­bar sein.

Und jetzt jetzt fehlte ihm, damit er sich, bevor's zu spät war, die feste sichere Ruhestelle schaffte, eben nur noch das eine . .

Von draußen hörte Herr Schneeberger Georgs fragende Stimme. Ihm war es, als wäre sein Name genannt worden. Dann klang unverständlich die Stimme der Frau Bang ein Gruß noch hin und wider, und die Tür nach der Treppe fiel leise klappend in das Schloß.

Herr Schneeberger nickte und stand auf vom Tisch. So jetzt war der Georg fort. Zur Vorsicht trat er dann noch ans Fenster und wartete hinter der Gardine verborgen, bis er den Buben unten über den Hof schreiten sah. Dann aber wie er sich wieder umwendete und wieder nach der Mitte des Zimmers schritt, da hatte er doch ein so ganz seltsames, beinah' beklommenes Gefühl. Das Herz klopfte ihm heftig, und auch seine Hände zitterten ein wenig.

Wie a junger Bua! dachte er mit einem Anflug von brummiger Verächtlichkeit. Aber da war doch etwas in ihm, das sich zugleich über den Gedanken freute und Herr Schneeberger, der vielleicht durch Jahre, außer zu seiner wenig umständlichen Toilette des Morgens, den Spiegel über seinem Waschtisch keines Blickes gewürdigt hatte, sah nun ganz un­willkürlich einen Augenblick nach seinem Spiegelbild. Dann aber nahm er sich zusammen, schritt auf die Tür zu, klinkte auf und trat hinaus. Jnr Nebenzimmer hörte er Frau Bang hantieren. So klopfte er dort an und schritt auf ihrHerein" zu ihr ins Zimmer.

Frau Bang hatte soeben den Staub von den Möbeln gewischt und legte nun, als sie den Zimmerherrn erblickte, das Tuch rasch beiseite.

Herr Schneeberger . .?"

Er nickte und versuchte zu lächeln, und dabei merkte er, daß ihm diese Gedanken alle, die er sich doch so sauber zurechtgelegt hatte und die so gut in Ordnung gewesen ja daß diese Gedanken ihm glatt entfallen waren. Und in der Anstrengung, wenigstens irgendwo den Faden dieser Überlegungen doch wieder aufzugreifen, wurde sein verlegenes Lächeln ganz grimmig, und er sah unzufrieden drein, als käme er, sich über irgend ein Versehen bitter zu beschweren.

Als er dann endlich ein paar Worte fand:Na scho' wieder fleißig, Frau Bang scho' wieder bei der Arbeit . .!" da klang das beinahe mürrisch, daß ihn der Ton seiner Stimme selbst befremdete.

Erst als Frau Bang mit einem leisen Ausdruck der Sorge auf ihn zukam.Fehlt 'was drüben, Herr Schneeberger? Is' irgend 'was nicht in Ordnung?", da fand er seine Ruhe einigermaßen wieder.

Er schüttelte den Kopf, und obwohl er selbst den Buben doch hatte über den Hof gehen sehen, fragte er:Sagen S', is' der Georg schon fort?"

Ja haben Sie 'was von ihm wollen, Herr Schnee­berger?" Die Stimme der Frau Bang zitterte leise, während sie sprach.

Nein nein. Mir is' recht, daß er fort is' - i' Hab' mit Ihnen reden woll'n, Frau Bang - ja. Das heißt,

wann S' Zeit hab'n wissen S', aufhalten macht i' Jhna net weiter ---." Wieder waren ihm die Worte kurz, stoß­weise, brummelig herausgekommen.

Frau Marie Bang, der das Blut plötzlich in drängenden Stößen nach dem Herzen trieb, nickte nur. Mit der Schürze wischte sie rasch über den ohnehin blitzblanken Tisch und zeigte dann auf den bequemen Ledersessel, in dem Herr Schnee­berger des Abends immer thronte.

Wenn S' sich setzen wollen Herr Schnee­berger"

Und sie selber setzte sich auf einen von den glatten Stühlen. Sie fühlte, was kommen würde, und dachte: Mein Gott! Mein Gott! wenn das nur erst vorüber wäre-! Ihre Hände zitterten auf der Tischplatte. Da faltete sie die Finger fest ineinander, daß er das Zittern nicht sehen sollte. So erregt war sie, daß sie die ersten Worte, die

Herr Franz Schneeberger dann zu ihr sprach, kaum hörte, daß es nur wie ein allgemeiner Schall auf sie eindrang, bis sie nach einer Weile den Sinn seiner Rede dann deutlich unterschied.

- und schaun S', Frau Bang, 's is' halt do'

was ganz ander's, ob mm jetzt sei' eigen's Hauswesen hat oder ob ma' so sein Lebtag lang a' Zimmerherr is'! A wirkliches ordentlich's Z'haus haben, das is' jetzt mei' Sehn­sucht g'west die ganzen Jahr' hindurch. Jetzt endlich

könnt' ich mir's schaffen. Und daß wir zwei

zuanander passen jetzt, i' mein', das hätten wir in

all' die Jahr' g'seh'n. na, und g'sorgt

wür' ja dann auch für Sie und für den Georg

gelns? Also mein' i', es wird Ihnen der Entschluß net

schwer fall'n und na ja- daß i' dem Georg immer a sorgsamer Vater sein werd', das können Sie sich doch auch denken"

Frau Marie Bang saß still und nickte nur ein wenig kurz und hastig mit dem Kopf.

Was ihr der Herr Schneeberger jetzt da sagte, das war ihr in den letzten Tagen, wenn sie allein in der

Wohnung umherging, wenn sie still bei der Arbeit am Fenster saß und Stich um Stich in die feinen Tücher und Leinenstücke stickte, und nachts, wenn sie wach lag und die gleichmäßigen Atemzüge Georgs in dem stillen Zimmer hörte, oft und oft durch die Gedanken gezogen. Sie hatte gefühlt, daß dieser Augenblick der Aussprache kommen werde, und hatte gemeint, ihn ruhig bestehen zu können;