nun aber, da er da war, ergriff er sie doch über alle Maßen.
Da sprach ein Mann, der so viel Jahre still neben ihr gelebt hatte, den sie bis in die fernsten Winkel seines Wesens kannte, von seiner Sehnsucht. In seiner seltsam rauhen, spröden Art, die gütig war und die sich doch zu schämen schien, ein weiches Wort zu sprechen und immer nur das Praktische als Maske vorhielt, sprach er auf sie ein. Und was er sagte, war alles so richtig. Es wäre eine Ruhestelle auch für sie, die ohne Rückhalt vor dem Alter voll Arbeit und voll Sorge stand und deren Leben eine Kette von kleinen Leiden und Verzichten bleiben mußte, bis — bis vielleicht der Bub einmal als Mann sich seinen Platz errang. Es wäre wie ein
Schutz und eine Heimat-. Liebe? Nein, das war es ja
freilich nicht — aber doch eine große Achtung — -— ein gläubiges Vertrauen.
Sie mußte daran denken, wie sie ihn gestern in seinem Geschäft gesehen hatte, freudig und mit einer würdigen Sicherheit — — und sie kam sich auf einmal müde vor und zermürbt von all der rastlos schaffenden Arbeit, von all dem sorgenden Bangen, die ihr Leben erfüllt hatten seit ihres Mannes Tod ohne Unterlaß. Eine Sehnsucht, die Hände nur ein wenig ruhen lassen zu dürfen, stieg in ihr auf. Ihr Blick ging nach der Kommode, auf der ein Stoß von weißer Wäsche lag — und sie dachte: die Augen nicht mehr so damit quälen müssen — — ein bißchen sich besinnen können auf das Leben --wie ein schöner Traum
müßte das sein!
Ganz versunken war sie für einen Augenblick.
Aber da kam ihr plötzlich der Sinn seiner letzten Worte erst zum Bewußtsein.
„— und — daß i' dem Georg immer a
sorgsamer Vater sein werd', das können Sie sich doch auch denken — —"
Und sie sah, wie an jenem Abend die großen Augen des Buben in ängstlichem Fragen auf sich gerichtet, und die Sorge, die in diesen Augen stand, griff ihr ans Herz und löschte all das andere aus. Sie fühlte klar und völlig sicher, daß sich Georg in das Wesen des Herrn Schneeberger niemals so würde finden können, daß es nicht trennend zwischen sie und ihren Buben getreten wäre, wenn sie ihm diesen Mann zum neuen Vater geben wollte.
Ein Schlucken ging durch ihre Kehle, dann griff sie über den Tisch nach der Hand des Herrn Schneeberger und stand auf.
„Nein, lieber Herr Schneeberger — ich kann nicht. Nicht etwa, weil ich Sie nicht höher achten tät' als irgend einen anderen Menschen —' aber — das kann ich nicht. Ich bin Zu alt geworden — -— und dann der Bub' — denken S'' doch selbst -— —"
Herr Schneeberger war gleichfalls aufgestanden. Seine Stirn zog sich zusammen — er schien erst gar nicht zu verstehen.
„Was is'? — Also was is' — —?"
„Lassen woll'n wir alles, wie's bisher war-schau'n
S', Herr Schneeberger, ich kenn' ja kein' Menschen, den: ich so dankbar wür' für alles, und der mir so viel war' wie Sie -— — aber — — net wahr? -— davon sprechen wir nimmer-?"
Er hatte seine Hand freigemacht und rückte und zerrte an seinem Hemdkragen und der Krawatte, als wäre ihm das alles mit einemmal zu eng geworden.
„So —! so!" sagte er nur. „Na ja! — Na —- wie
S' woll'n-!" Und dann schob er plötzlich den
schweren Lehnstuhl ein wenig beiseite, eilte zur Tür und ging ohne Gruß rasch aus dem Zimmer und hinüber in seme Stube.
Als Frau Bang ihm unruhvoll in das Vorzimmer folgte, hörte sie, wie er die Tür von innen mit Geräusch verschloß.
Sie trat vor die Tür und klopfte leise an.
„Herr Schneeberger — — —!"
Keine Antwort.
„Herr Schneeberger -— —! So hören Sie doch - !"
Alles ruhig, wie vorher.
Da ging Frau Marie Bang mit einem leisen Seufzer wieder in ihr Zimmer.
Mein Gott, daß das noch hat kommen müssen! dachte sie. Ihr war weh ums Herz, sie hätte weinen mögen. Bor Georgs Bett stand sie lange und sah mit schlaff herniederhängenden Armen in gedankenlosem Weh auf die gehäkelte Bettdecke hinunter.
Plötzlich schreckte sie auf. Das Türschloß nebenan war aufgesperrt worden. Aber ehe sie sich selbst noch recht besann, klappte auch schon die Flurtür draußen. Und als sie in das Vorzimmer trat, hörte sie nur noch die eiligen Schritte des Herrn Schneeberger, der fluchtartig schnell die Treppe hinunterlief.
Kopfschüttelnd kam Frau Bang zurück in ihr Zimmer.
Nun war er fortgestürmt, ohne Gruß, ohne ein Wort. Sie mußte unwillkürlich an jene erste Zeit zurückdenken, da er, wenn ihn die Sehnsucht, sich auszusprechen, des Abends einmal zu ihr Herübergetrieben hatte, dann fluchtartig wie nun, mürrisch und unnahbar sich stets wieder zurückgezogen hatte. Wie lange war das her!
Wieder fiel ihr Blick auf den Stoß weißer Wäsche, der auf der Kommode lag. In wenig Tagen sollte das alles sauber gestickt und fertig abgeliefert werden! Das gab zu tun, sie hatte keine Zeit zum Träumen.
Mit einem Seufzer band sie ihre weiße Arbeitsschürze um, steckte den großen Brustlatz der Schürze an dem Kleide fest und nahm ihre Arbeit vor. Aber immer wieder sah sie heute auf von ihrer Stickerei, blickte von ihrem Sitz am Fenster hinunter in das dunkele Grün der beiden Kastanienbäume und dachte an das, was sie erlebt hatte — an Herrn Schneeberger und an ihren Buben.
Und wenn sie dann die Nadel wieder durch die Leinwand stach, dann wußte sie es stets aufs neue, sie hatte recht gehandelt, sie hatte nicht anders handeln können — des Georg wegen.
Ar: diesem Abend kam Herr Schneeberger seit langer Zeit zum ersten Male nicht hinüber in das Wohnzimmer von Frau Marie Bang. Er kam erst später als sonst nach Hause und aß dann noch auf seinem Zimmer von geheimnisvollen Dingen, die er sich mit heimgebracht hatte. Auch das war lange nicht vorgekommen, denn es war längst ein Übereinkommen geworden, daß er das Abendessen mit Frau Bang und mit Georg zusammen nahm.
Als sie ihn drüben mit den Papieren so rascheln und rumoren hörte, stand Frau Marie Bang vom Tisch auf und ging hinaus und klopfte wieder an seine Tür.
Ein hastiges Geräusch wie von Rücken und Zusammenraffen klang heraus und dazu seine Stimme, verschlossen, abwehrend und mürrisch:
„Was is' denn los — wer is' denn da?"
Frau Bang, die erst die Tür hatte öffnen wollen, ließ sie geschloffen und zog die Hand wieder von der Klinke. Nur den Kopf beugte sie näher, und so sprach sie:
„Ich bin's, Herr Schneeberger. Ich Hab' nur fragen wollen, ob S' noch was brauchen? Vielleicht Bier. . . oder sonst 'was..."
Ein Augenblick verging, ehe der Zimmerherr da drin die Antwort fand. „Nein —- nein — plagen S' Jhna net, Frau Bang — was i' brauch', kann i' mir scho' selbst besorgen ..."
Das war wieder ganz bärbeißig hervorgestoßen, in abgerissenen Stößen und mit einer Bestimmtheit, als gäbe es dagegen keinen Widerspruch.
Aber Frau Bang kannte Herrn Schneeberger. Sie stellte ihm trotz dieser Abwehr das Krügel „Pilsner", das wie jeden Abend auch diesmal drüben schon auf ihn gewartet hatte, auf einen Stuhl vor die Tür.