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„Ich Hab' Ihr Bier immer herg'stellt, Herr Schneeberger," sagte sie dünn, ehe sie ging. Und als sie Zehn Minuten später wieder durch das Vorzimmer nach der Küche schritt, da war die Stelle, wo das Krügel „Pilsner" gestanden hatte, leer. Ganz leise — denn sie hatte nichts gehört — mußte er es Zu sich hineingenommen haben. Im Kampf des gekränkten Stolzes mit den Verlockungen des kühlen Trunkes hatten die letzteren in diesem Fall gesiegt.
Aber der Riß, der durch die Ablehnung von Herrn Schneebergers Antrag zwischen ihm und der Frau Bang entstanden war, blieb darum doch bestehen. Mit starrköpfiger Konsequenz verschloß und verkroch sich der Zimmerherr in seine Stube und wich jedem längeren Gespräche und Zusammentreffen mit Frau Bang aus. Wie im Anfang der Zeit, die er nun hier wohnte, war er wieder: in sich gekehrt, unnahbar und unfaßbar.
Mehrmals hatte Frau Bang, der dieses Benehmen des alten Freundes im Herzen wehetat, beschlossen, ihn zu stellen, sich mit ihm auszusprechen. Aber ihr freundlicher Gruß und die herzlichen Worte, die sie dann für ihn hatte, prallten ab an seinem mürrisch verkniffenen Gesicht, an der verdrießlichen Hast und Unrast, mit der er an ihr vorbeidrängte oder sich in seine Zeitung vertiefte.
So vergingen Tage, ohne daß die Verstimmung wich. Frau Bang hoffte noch immer, daß mit der Zeit der alte gemütliche Zustand wiederkehren werde — da machte eines Abends Herr Franz Schneeberger diesem Hoffen ein Ende.
Wieder war er später als sonst nach Hause gekommen. Frau Bang und Georg hatten schon gegessen, als sie die Tür vom Gang her und gleich darauf auch seine Stubentür gehen hörten.
Nebenan schritt er ein paar Minuten lang auf und nieder, dann kam er heraus und klopfte an die Tür des Zimmers von Frau Bang.
„Herein!" Eine erwartende Freude lag in ihrer Stimme. Nun kam er also wieder, nun hatte er verwunden, was ihn drückte, nun würden sie sich wie in den vergangenen Tagen als Freunde wiederum zusammenfinden!
Herr Franz Schneeberger trat mit einem steilen Nicken des Kopfes ein.
„Guten Abend, Frau Bang — grüß Gott, Georg!"
Frau Bang schob schon den großen Stuhl zurecht und rückte die Teller auf dem Tisch zusammen.
„So — das is' schön, daß Sie jetzt wieder Zeit für uns haben! Ich Hab' dem Georg schon gesagt, daß Sie jetzt auch zu Haus' immer noch für Ihr Geschäft haben arbeiten müssen — am Abend. Sie haben uns beiden so gefehlt in der Zeit . . ." Sie fühlte, daß ihre Stimme zitterte, und mochte um alles nicht aufsehen in diesem Augenblick. So glitten ihre Hände noch ordnend und zusammennehmend über den Tisch -— und dabei dachte sie: Warum kommt er nicht näher? Warum
setzt er sich nicht. . .?
Herr Franz Schneeberger aber blieb ganz nahe bei der Tür stehen, nickte und brummelte: „Hm — ja — ganz
recht — so — so . . ."
Dann räusperte er sich mehrmals und holte die Brille von der Nase; umständlich und wie wenn ihn das allein beschäftigte, zog er den Bügel erst über dem rechten Ohr heraus, beschrieb dann einen Halbkreis um sein Gesicht und holte nun den zweiten Bügel über dem linken Ohr hervor. Und während er nun mit dem großen roten Taschentuch, dessen unterer Zipfel ihm bis an die Knie hing, die Brillengläser rieb und dabei mit zusammengekniffenen Augen in das Licht der Lampe blinzelte, begann er zu reden:
„Ja — also Frau Bang, was ich Ihnen Hab' sagen wollen. Mir is' der Weg zu weit — i' kann net alle Tag a paarmal bis nach Mariahilf hinaus laufen — ja — i' muß näher wohnen bei mein' G'schäft — i' versäum' nur z'viel Zeit mit dem Umanandersausen..."
Er schwieg, hauchte an seine Gläser und rieb sie wieder, als wollte er sie in Atome zerreiben.
Aber Frau Bang antwortete nicht. Nur eine rasche Bewegung hatte sie gemacht, als sie den Sinn seiner Worte verstanden hatte, und da waren zwei Gläser auf dem Tische, wie in einem leisem Schrei, aneinandergeklungen.. Und Georg sah mit großen fragenden Augen auf Herrn Schneeberger, der immer noch ins Licht der Lampe zwinkerte.
Als dieses Schweigen immer drückender ward, nahm er noch einmal einen Anlauf. Aber es fiel ihn: schwerer
mit jedem Worte, das er sprach. Die Stimme war ihm seltsam belegt, und ein paarmal mußte er sich räuspernd unterbrechen.
„Ja ^ Frau Bang — mir tuat's ja natürlich selber leid ... ja ... no aber ... es geht halt net anders. Und dann — hm — hm! — also, weil jetzt meine Möbel von der Erbschaft an'kommen sind ... ja, da Hab' i' mir a kleine Wohnung von zwei Zimmer gstunden — gleich neben mein' Geschäft ... da Hab' ich's jetzt hin- stell'n lassen. Und mit dem Hausknecht von mein' G'schäft da Hab i' ausg'macht, daß er mir alles besorgen muß — den Kaffee in der Früh — und 's Aufbetten -—- na —- und überhaupt ..."
Wieder schwieg er. Er setzte jetzt die Brille wieder auf, stopfte das Sacktuch in die Tasche und fuhr sich dann mit den Fingern über die Stirn.
Frau Bang beugte leise nickend den Kopf.
„So —- Sie woll'n fort von uns. . .? Mein Gott — wenn Ihnen der Diener nur alles machen kann, wie Sie's gern mögen..."
Herr Franz Schneeberger setzte an zum Sprechen, dann brach er wieder ab. Ein Hustenreiz war ihm in der Kehle aufgestiegen.
„Und wann woll'n S' denn schon fort. . .?"
„Morgen, Frau Bang..." Das stieß er hastig und in seltsam hohem Ton hervor. „Das heißt — natürlich zahl' ich bis . . ."
Sie machte eine stille, abwehrende Handbewegung, und er schwieg.
Dann sagte sie: „Ja also — von mir aus is' ja alles in Ordnung. Die nächste Wäsch', die schick' ich halt dann nach, wenn's fertig g'waschen is . . . Und alles Gute wünsch' ich Ihnen — und der Georg auch . . . Und hoffentlich vergessen Sie uns nicht — vielleicht, daß S' doch am Sonntag Hier und da zu uns herüberfinden — mein Gott — die langen Jahre — was hat man da nicht alles durch - gemacht ..."
Die Stimme versagte ihr, und Tränen traten ihr in die Augen. Aber sie schämte sich dieser Rührung nicht. Und wie sie nach der Tasche tastete und bemerkte, daß sie kein Taschentuch bei sich hatte, griff sie die Schürze auf und drückte sie an die Augen. Ein gutes, wehes Lächeln stand dabei unter ihren Tränen.
Und Herr Schneeberger, dem es im Gesichte zuckte, sagte nur immer wieder:
„Aber Frau Bang — gehn S', Frau Bang — übergehn S', Frau Bang — jetzt so was, Frau Bang ..."
Als sie ruhiger war, ging sie auf ihr: zu und streckte ihm die Hand entgegen.
„Eins müssen S' mir aber doch verspreche!:, Herr Schneeberger ..."
Er nahm die Hand. Aber er sah an ihr vorüber. Ec hatte die Lippen fest aufeinander und nickte nur, während ihm die Wangenmuskeln zitternd flatterten.
„Den Diener — wissen S' — den Hausknecht, den müssen S' mir herschickenF daß ich ihn: alles sag — wie Sie's gern haben wollen . . ."
Da fühlte sie den Druck der Finger um ihre Hnnll, dann aber war Herr Schneeberger aus dem Zimmer.